Urban Swiss Design: Die Glattalbahn in Zürich
Text von Dr. phil. Friederike Mehlau Wiebking
Zürich, Schweiz
28.04.09
Erster Beitrag der Architonic Reihe 'Aktionsfeld öffentlicher Raum'
Dass das Nahverkehrs-Projekt Glattalbahn im Nordosten Zürichs in der Schweiz realisiert wurde, ist kaum zu übersehen: trotz komplexem Planungs- und Bauprozess sticht die Glattalbahn in allen Massstäben ins Auge, aus urbanistischer Sicht bis hin zu Details der Ausführung. Sie ist ein beispielhaftes Vorbild, wie durch höchsten gestalterischen Anspruch und übergreifende Gesamtkoordination ein identitätsbildendes urbanes Projekt entstehen kann.
Die 12,7 km lange Glattalbahn durchzieht mit samt ihren Hochbauten die (Stadt)-Landschaft im Norden Zürichs wie ein roter Faden. Er verbindet die einzelnen Städte und Gemeinden der ’Glattalstadt’ zu einem urbanen Raum – die Bahn wird zum integrativen Teil einer Gesamtgestaltung von Stadt- und Landschaftsraum.
Das ’Mittlere Glattal’ ist der am stärksten wachsende Wirtschaftsraum der Schweiz. Die Glattalbahn ist deshalb nicht nur ein Verkehrsprojekt des öffentlichen Transports für dieses Agglomerationsgebiet. Sie ist vielmehr ein komplexes Produkt der Raumplanung, Gebietsentwicklung, Wirtschaftsförderung, Landschafts- und Verkehrsplanung.
Netzstrecke der Glattalbahn. Wie ein roter Faden verbindet die Bahn-Trasse die Zürcher Agglomerationsgebiete des Glattals. Bildquelle/Copyright: Heierli AG Zürich/VBG, Glattalbahn
Netzstrecke der Glattalbahn. Wie ein roter Faden verbindet die Bahn-Trasse die Zürcher Agglomerationsgebiete des Glattals. Bildquelle/Copyright: Heierli AG Zürich/VBG, Glattalbahn
×Entscheidend für die Qualität der Umsetzung ist das interdisziplinäre Zusammenwirken aller am Projekt Beteiligten: Bauträgerschaft, Gemeinden, Planer, Architekten und ausführende Unternehmen. Während lediglich zirka 2% der Planungsresultate oberirdisch sichtbar sind, musste im Untergrund bereits alles für heute oder später geplante Bauten vorbereitet werden.
Werkleitungsplan. Bildquelle 'Heierli AG Zürich/VBG, Glattalbahn'
Werkleitungsplan. Bildquelle 'Heierli AG Zürich/VBG, Glattalbahn'
×Die Corporate Identity der Glattalbahn wird entscheidend durch ein geniales Baukastensystem modularer und daher kostenoptimierter Elemente erreicht - bis ins Detail entworfen von Architekt Kai Flender, der lange bei Nicholas Grimshaw tätig war.
Alle Elemente der Hochbauten für Bahn- und Bus-Haltestellen, Fahrleitungsmasten und Geländer sind durchgehend vorfabrizierte Systemelemente von Burri public elements und tragen so zu einer einheitlichen Formensprache bei. Das Gesamtkonzept schliesst auch die Bepflanzung, die benachbarten öffentlichen wie privaten Räume, die Beleuchtung bis hin zum Strassen- und Gleisbau mit ein. Wie selten bei Projekten im öffentlichen Raum ist bei der Glattalbahn die gesamtheitliche Betrachtung aller die Strecke begleitenden Elemente gelungen.
Haltestelle Glattalbahn, modulare Elemente aus Kai Flenders hoch.bau.kasten®, Hersteller: Burri public elements
Haltestelle Glattalbahn, modulare Elemente aus Kai Flenders hoch.bau.kasten®, Hersteller: Burri public elements
×Das Konzept der Haltestellen - die Aushängeschilder der Glattalbahn – basiert auf einer raumhaltigen Wandscheibe mit vorkragendem Dach. Hierin sind alle für eine Haltestelle notwendigen Elemente eingelassen, wie Windschutz, Ticketautomat, Info- und Leuchtkästen, Abfallbehälter, Lautsprecher, technische Installationen und die Sitzbank aus Lärchenholz.
Als ’Fenster zur Stadt’ und ’Wahrzeichen der Glattalbahn’ interpretiert Kai Flender den verglasten Wandscheiben-Ausschnitt. Damit gibt er den Blick frei auf unterschiedliche und dennoch verbindende Motive zum Thema der ’Glattalstadt’.
Das freigespielte Wandscheibenkonzept ermöglicht den Verzicht auf eine weitere Möblierung, so dass die Glattalbahn für behinderte Personen hürdenfrei zugänglich und eine maschinelle Reinigung möglich ist.
Entlang des ganzen Streckennetzes der Glattalbahn sind 300 Fahrleitungsmasten plaziert. Sie fügen als durchgehendes Gestaltungselement die Verkehrsanlage wie auch die urbanen Räume der ’Glattalstadt’ zusammen. An den Haltestellen werden die Masten zu Informationsträgern oder Leuchten und beinhalten Funktionen wie Lautsprecher, Videoüberwachung, etc.
Multifunktional und modular: Fahrleitungsmast. Bildmaterial/Copyright: Kai Flender. Experte HSI, Glattalbahn
Multifunktional und modular: Fahrleitungsmast. Bildmaterial/Copyright: Kai Flender. Experte HSI, Glattalbahn
×Das Projekt Glattalbahn bestätigt mit seinem gestalterischen wie funktionalen Niveau die Rolle des Architekten als Gesamtleiter komplexer Planungsaufgaben. Dies entgegen dem heutigen Trend, die übergreifende Koordination in die Hände der reinen Kostenkontrolle zu geben und den Architekten auf die formale Gestaltung zu reduzieren.
Links zum Thema 'Glatttalbahn'
Literatur zum Thema Glattalbahn:
HOCHPARTERRE, Beilage, 2006
Flender, Kai; Huber, Werner; Gestaltung auf der ganzen Linie
baublatt, 2006
Flury, Andreas; Koller, Bernard; Die "Netzstadt Glattal" erschliessen. Glattalbahn
Glattalbahn, Hrsg. VBG
A. Temperli, Wie sich die Glattalbahn in die Netzstadt einfügt