Svizzera 240

«All right, fine, I’ll take the house tour.»
Larry David, Curb Your Enthusiasm (S03 E08)

Die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia präsentiert den Schweizer Beitrag an der 16. Internationalen Architekturausstellung – La Biennale di Venezia «Svizzera 240: House Tour». Die Ausstellung im Schweizer Pavillon richtet ihren Fokus auf das unmöblierte Innere im zeitgenössischen Wohnungsbau und zelebriert dazu eine ganz besondere Form der architektonischen Repräsentation – die «House Tour».

Auf Augenhöhe ermöglicht die «House Tour» einen begehbaren Blick auf das Wohnungsinnere. Diese Betrachtungsweise resultiert aus einer Reihe von Bildern. Dokumentationen qualitativer Eigenschaften von Wohnungen, welche sich aus dessen wesentlicher architektonischen Palette erschliessen: Eine Raumhöhe von ±240 Zentimetern, weisse Wände, Sockelleisten, Ho lz- oder Fliessböden sowie standardisiert hergestellte Komponenten und Armaturen.

Der Schweizer Pavillon lädt die Besucherinnen und Besucher der Biennale Architettura auf eine «House Tour» durch das typische Wohninterieur von heute ein. Die in den Pavillon gebaute Installation stellt keine Wohnung als Einheit dar, sondern besteht aus einer Abfolge von Szenen in unterschiedlichen Massstäben, die sich zu einer labyrinthartigen Sequenz perspektivischer Innenräume zusammenfügt. Zur Entwicklung der «House Tour» durchforstete das kuratierende Team die Webseiten von Schweizer Architekturbüros und erstellte ein umfangreiches Archiv von Fotografien unmöblierter Wohninnenräume. Durch den Fokus auf die nackte, unbekleidete Hülle der Wohnung, heben diese Bilder eine ikonoklastische Oberfläche hervor, welche sich lange der architektonischen Repräsentation entzog, um sich hinter dem Versprechen des Grundrisses nach Rationalität und Kontrolle zu verstecken. Wie die weiss gestrichenen Wände von Kunstgalerien oder protestantischen Kirchen sind auch die Wände einer Wohnung nie dazu gemacht worden, um betrachtet zu werden. Für die Architektinnen und Architekten von «Svizzera 240: House Tour» – Alessandro Bosshard, Li Tavor, Matthew van der Ploeg und Ani Vihervaara – impliziert die paradoxe Präsenz des Bildes von unmöbliertem Wohnraum eine Herausforderung der Tradition des unscheinbaren Interieurs und antizipiert eine alternative architektonische Sensibilität als Grundlage für eine Neuinterpretation dieser äusserst intimen Kontaktfläche zwischen Architektur und Gesellschaft.

Die Installation im Schweizer Pavillon kehrt das klassische Format einer Architekturausstellung um: Statt um die Repräsentation von Architektur geht es hier um den Bau einer Repräsentation. Die Struktur der Installation orientiert sich denn auch stärker an den Gesetzmässigkeiten des Bildes einer Wohnung als an denjenigen einer tatsächlichen Wohnung. Das Unvermögen des Bildes, Dimensionen, Proportionen, Tiefe oder räumliche Nähe zu vermitteln, wird dem Betrachter in gebauter Form präsentiert. Wer sich auf diese «House Tour» begibt, betritt eine unmögliche Welt, in der er oder sie weder Bewohner, Bauherr oder potenzieller Käufer noch Wissenschaftler oder Architekt ist, sondern zu einem völlig neuen architektonischen Subjekt wird: einem House Tourist.

Anknüpfend an das Thema «Freespace», das Yvonne Farrell und Shelley McNamara für die diesjährige Biennale gewählt haben, propagiert «Svizzera 240: House Tour», dass sich die Relevanz der Architektur nicht darauf beschränkt, grosszügige Räume zu bauen, sondern auch die Konstruktion von Repräsentation umfasst, die alternative Perspektiven auf die Welt eröffnen und so verborgenes Potential, innerhalb der eingeschränktesten Konditionen, zum Vorschein bringen.

Begleitend zur Ausstellung erscheint eine in Zusammenarbeit mit Adam Jasper, Studio Martin Stoecklin und Park Books entstandene Publikation. Das Buch präsentiert eine fotografische «House Tour» durch das unmöblierte Wohnungsinterieur der Schweiz, ergänzt durch kommentierte Texte einer interdisziplinären Gruppe von Autorinnen und Autoren.

Curators & exhibitors: Alessandro Bosshard, Li Tavor, Matthew van der Ploeg and Ani Vihervaara
Project architect: Milena Buchwalder
Commissioner: Swiss Arts Council Pro Helvetia - Head of Visual Arts, Marianne Burki
Project Leader: Sandi Paucic
Project Coordinator: Rachele Giudici Legittimo