Fotograf: Stefan Müller
Fotograf: Stefan Müller
Fotograf: Stefan Müller
Mitten im Zentrum von Berlin, nur wenige Gehminuten von der berühmten Museumsinsel und dem Bahnhof Friedrichstraße entfernt, hat die traditionsreiche Humboldt- Universität zu Berlin ihre neue Zentralbibliothek realisieren lassen, die die bisher über das Stadtgebiet verstreuten Teilbibliotheken -zum ersten Mal in der 200 jährigen Geschichte der Universität- in einem Gebäude zusammenführt. Das neue Jacob- und Wilhelm- Grimm- Zentrum ist momentan die größte Freihandbibliothek Deutschlands und beinhaltet außerdem das Rechenzentrum der Universität, die Bibliotheksverwaltung sowie Versammlungs- und Schulungsräume.
Städtebaulich ist die Tatsache berücksichtigt, dass Berlin eine sehr flache, mehr in die Horizontale als in die Vertikale ausgedehnte Stadt ist, deren Bauten in der Regel nicht über 22 Meter hoch sind – mit der Ausnahme der öffentlichen Bauwerke. Um die Bedeutung der Bibliothek als öffentlicher Ort gesammelten Wissens zu markieren, um ein städtebauliches Zeichen für das Buch zu setzen, wird die Linie der oberen Stadtbegrenzung in einem Teil des Gebäudes überschritten. Dieser auf 38 Meter emporragende Gebäudeteil reiht sich zugleich in die Silhouette der Kulturlandschaft der nahen Museumsinsel ein. Die Konzentration eines großen Teils der Nutzungen in diesem großen Gebäudetrakt eröffnet stadträumlich im Nahbereich die Möglichkeit das Gewebe der Blöcke der Berliner Dorotheenstadt, für einen kleinen städtischen Vorplatz längs des S-Bahnviadukts zu öffnen. Der Platz dient als Entree für die große Anzahl der täglichen Nutzer der Bibliothek.
Vom Vorplatz aus gelangt man zentral in ein langgestrecktes, zweigeschossiges Foyer, dessen Höhe sich an dem gegenüberliegenden S-Bahnviadukt orientiert. Dieser an der Südseite des Platzes gelegene Raum bildet den lichtdurchfluteten Auftakt einer raffinierten Raumfolge zum Herzstück des Gebäudes, dem großen Lesesaal.
Der Lesesaal wurde (durch den erhöhten Gebäudeteil, vor direktem Südlicht geschützt) im rückwärtigen Gebäudeteil angeordnet. Durch seine Größe, seine terrassierte, gleichsam landschaftliche Konzeption erzielt der Raum eine außenraumartige Wahrnehmung, die noch durch die großflächige Verglasung des „Himmels“ unterstützt wird. Der freie Blick in die Wolken suggeriert fast ein Lesen unter dem freien Himmel.
Die Diskussion, ob ein zentraler Lesesaal oder eine Anzahl dezentraler kleiner Säle zu schaffen seien, wurde mit der Entscheidung für beides abgeschlossen: Von dem großen, abgetreppten Saal aus sind alle 2,5 Millionen Medieneinheiten zu erreichen, auf den Terrassen des Saals verteilen sich die Leseplätze, darunter befinden sich die Computerarbeitsplätze. Mit dem Lesesaal wurde ein zentraler Raum geschaffen, der auch ein dezentrales Arbeiten ermöglicht. Da alle Medien unter einem Dach vereint und fei zugänglich sind, werden im humboldtschen Sinne Wissensgebiete zusammengeführt und die Besucher zugleich angeregt die Grenzen dieser Gebiete im wahrsten Sinne des Wortes zu überschreiten.
Trotz der großen Gebäudetiefe von ca. 50m und inneren Möblierungsdichte besitzt die Bibliothek eine überraschende Durchlässigkeit und Offenheit. Der Grund dafür liegt in der konsequenten Maßordnung, welche Architektur und Möblierung gleichermaßen zugrunde liegen. Die Nutzer haben von fast jedem beliebigen Standpunkt aus eine Aussicht aus - bzw. eine Durchsicht durch das Gebäude. Dem Wunsch nach einfacher Orientierung entsprechend wurde die innere Organisation des Gebäudes aus einer einfachen Symmetrie in der Mittelachse entwickelt.
Der Lesesaal erhält durch die Symmetrie ein Gegenüber. Aus dem Zweck und Anlass seiner Errichtung ist durch architektonische Mittel ein Raum des Buchs und seiner Leser gestaltet worden, Ein Raum dessen Identität an die Bedeutung alter Bibliotheken anknüpfen kann. Ergänzend zum introvertierten, zentralen Lesesaal sind in der Bibliothek flexibel erweiterbare, individuelle Leseinseln an der Fassade angeordnet. Eigentlicher Höhepunkt der Rauminszenierung ist die auf etwa 24 Meter Höhe befindliche Forschungsbibliothek, welche die wertvollen Bestände der Sammlung der Brüder Grimm bewahrt. Von diesem erhabenen Stadtbalkon aus blickt man, wie einst Eduard Gärtner, auf ein Panorama der Stadt Berlin.
Die Fassaden vermitteln subtil die dahinterliegenden Nutzungen des Gebäudes durch die variierenden Öffnungen im Steinkörper nach außen. Die auf der Basis des Grundrasters von 1,50 m variierten Abstände der Fassadenlisenen, die bildlich auch als Bücherrücken gelesen werden könnten, stehen im inneren Zusammenhang mit den Funktionen Freihandmagazin und Leseplätzen. Die Fassade wurde in gelblich gebändertem realisiert, welcher unterstützt durch ein Hochdruck- Wasserstrahlverfahren durch seine natürliche Steinstruktur wirkt.
Im Inneren wird die Ruhe und Klarheit des Entwurfes durch die Reduzierung des Farbkanons auf wenige Töne erreicht: weißgrau, schwarzgrau, rötliches Holz (Black Cherry), dunkelrot und dunkelgrün gehaltene Möbeloberflächen. Die Freihandbereiche sind mit glatten schwarzen Linoleumböden, matten schwarzgrauen Stahlblech- Bücherregalen und weiß gestrichenen Wänden und Decken gestaltet. Die Sonderbereiche wie Lesesäle, Lesekabinen sowie die Einbauten der Haupteingangshalle sind mit Wandverkleidungen und Deckenverkleidungen in amerikanischem Kirschbaumfurnier ausgestattet. Stark beanspruchte Bereiche wie die Haupteingangshalle und die Lesesaalbegleitende Freitreppe sind mit einem Natursteinboden in dem gebänderten Juramarmor der Fassade ausgestattet.
Lesetische und Tischleuchten sind ebenfalls Architektenentwürfe. Für die obere Leuchtenabdeckung wurden transluzente Verbund- Quarzitstein- Glasplatten in Referenz zu Tischbeleuchtungen in historischen Lesesälen verwendet. In der Haupteingangshalle wurde von der Humboldt- Universität Fotokunst- Paneele des New Yorker Künstlers Arun Kuplas in die Wandverkleidungen integriert.
Um die Speichermasse der Decken nutzen zu können und um das Raumklima so angenehm wie möglich zu gestalten, wurde auf abgehängte Decken verzichtet. Sämtliche haustechnischen Installationen sind im Boden oder in den Betondecken geführt. Die zuluftführenden Leitungen zur Aktivierung der Betonspeichermassen sind in den Decken geführt. Die Rohdecken werden dadurch gekühlt und nehmen im Gegenzug Raumwärme auf, so dass auf eine energieaufwendige Klimatisierung des Gebäudes verzichten werden konnte.
Fläche: 37 460 m²
Humboldt-Universität zu Berlin
Max Dudler
Architects: Andreas Enge, Jochen Soydan, Andrea Deckert, Gesine Gummi
Project management: ProCon, Ingenieurgesellschaft für wirtschaftliches Bauen mbH
Construction management: Ingenieurbüro Peter Widell, Berlin
Building contractor: Humboldt-Universität zu Berlin
Support structure planning: Leonhardt, Andrä und Partner, Berlin
Technical installations planning: ZWP Ingenieur-AG NL Berlin
Fire protection consept: Müller- BBM Brandschutz GmbH NL Berlin
Free space planning: Max Dudler mit Lützow 7
Art acquisition: Arun Kuplas/ New York, Dr. Ruth Tesmar/ Berlin, Rolf Wicker/ Berlin
Fotograf: Stefan Müller
Fotograf: Stefan Müller
Fotograf: Stefan Müller
Fotograf: Stefan Müller
Fotograf: Stefan Müller