Fotograf: ©architekturfotografie gempeler
Städtebau
Grossmassstäblich und grossflächig bildet das Wylerfeld den südlichen Abschluss des Industriegürtels zwischen dem Wankdorf und der Lorraine. Harte Schnittstellen, Brüche und von mächtigen Mauern getragene Terrassen kennzeichnen die geschichtete und tektonische städtebauliche Struktur zwischen dem Wylerquartier, dem Bahndamm, dem Industriegürtel und dem Breitenrain- resp. Lorrainequartier. Das spannungsvolle direkte Nebeneinander von Industriebauten und Wohnbauten prägt und charakterisiert mit seinen geschnittenen Zwischenräumen das Wylerfeld. Mit dem Bezug zu den historischen wie zu den gewachsenen Tugenden des Ortes wird eine unverwechselbare Authentizität angestrebt. Der Geist der Industriebaute lebt weiter. Ungeschönt wird der gleichmachenden Verwischung der Quartiere ein robustes städtebauliches Zeichen in der Tradition der qualitätsvollen Fabrik- und Industriebauten am Ort entgegengesetzt. Auf der ganzen Länge von Wylerfeld 2 erinnert die erhöhte Terrasse mit dem raumgreifenden Vordach an frühere Bauetappen. Sämtliche Zugänge für das Wohnen und das Arbeiten sind von der Terrasse erschlossen und teilen sich gleichberechtigt den Nutzen und die Qualitäten des Ortes. Terrassenrestaurant, Aussensitzungsraum, Pausenraum, Raucherzone und Spielort sind Beispiele der vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten des gedeckten Aussenraumes. Auch das Quartier profitiert durch die neue Öffnung und Öffentlichkeit der Anlage und gewinnt darüber hinaus einen Quartierpark.
Dieser neue öffentliche Quartierpark versteht sich auch als Fortsetzung des Dammwegparkes und der bereits bestehenden Spielmeile Lorraine - Schulhaus Steckgut, Polygonstrasse und Dammweg. In dieses Konzept „Park- und Spielmeile“ sollte später auch die Stadtparzelle 2867 integriert werden.
Freiraum
Bei der Neugestaltung des Freiraumes bleiben die mächtigen Stützmauern mit ihren Terrassen ein wichtiges Thema. Sind die Formgebungen der Mauern heute weitgehend durch die Fahrgeometrie bestimmt, so sollten einmal durch entsprechende Korrekturen Niveausprünge und Quartierabschlüsse klarer definiert werden. Auf der unteren Ebene bilden die Stützwände neue, interessante Raumgrenzen und werden nun wichtiger Bestandteil der Gesamtarchitektur Wylerfeld. In der Neugestaltung der Freifläche bleibt die ehemalige Bahntrasse räumlich spürbar, wesentliche Merkmale der ursprünglichen Nutzung werden aufgenommen und neu interpretiert. Das entstehende Bild ist Schnittstelle der vergangenen und kommenden Geschichte des Ortes: die Urbanisierung einer Brache. Anstelle des heutigen Umschlagplatzes entsteht ein parkartiger offener Platz als Fortsetzung des grünen Korridors, aus dem kleinen Park - Schrebergärten - Dammweg bestehend, und stärkt dadurch die städtebauliche Identität des Ortes. Die einheitliche Belagsfläche unterstützt die Grosszügigkeit des Raumes und lässt vielseitige Nutzungen zu. Sie besteht aus einem abgesplitteten, somit sickerfähigen Belag. Zusammen mit den locker gestreuten Baumgruppen aus Ailanthus, Sophora und Akazien wird das Bild eines städtischen Parks unterstrichen und verleiht öffentlichen Charakter. Sitzbänke laden zum Verweilen ein.
In der Fläche liegen, gleich Schienensträngen, Blütenbänder als Zitat/Relikt/Fragment der Industriebrache. Die Pflanzenwahl entspricht dem Spektrum der Sukzession, wie zum Beispiel Mohn oder Kamille. Es sind Initialpflanzungen, die sich zusammen mit der Spontanvegetation weiterentwickeln und verändern, gleich der Vegetation entlang der Geleise. Diese Beete sind leicht vertieft, dienen gleichzeitig der Entwässerung (Retension) und sind mit rostenden Eisengittern überdeckt, deren Zwischenräume Pflanzenwachstum ermöglichen und sie zugleich begehbar (befahrbar) machen. Alle diese Beete fügen sich in die Fläche ein, sind keine Unterbrechung im Raumfluss und unterstreichen den grosszügigen Eingangsbereich. Entlang der umgebenden Mauern ranken weissblühende Clematis, die Wildform und Ursprung der gezüchteten Arten. Mit ihren anmutigen zerbrechlichen Blüten und ihrem zarten Duft bilden sie den Kontrast zur Härte der Stützwände, geben menschlichen Massstab.
Wohnen und Arbeiten
Die formale wie inhaltliche Überlagerung von Wohnen und Arbeiten im Wylerfeld widerspiegelt die besondere Stimmigkeit des Ortes mit dem einzigartigen sozialen kulturellen Mix des Lorrainequartiers. Die Lorraine versinnbildlicht unkonventionelles Wohnen und Arbeiten wie kein anderes Quartier in Bern. Vorfabrizierte Holzrahmenelemente werden auf die vormontierte Plattform „just in time“ gehievt und zusammengefügt. Dem Wohnen wird der attraktivste Ort zugestanden, nämlich über den Dächern der Nachbarschaft, mit Blick in die einzigartige Alpenkette des Berner Oberlandes, auf die attraktive Silhouette der Berner Altstadt mit Münster und Bundeshaus und in den offenen Horizont des Westens. Grosszügige, 2.50 m breite, offene Erschliessungslauben führen zu den einzelnen Wohnungseinheiten. Eine halbtransparente, individuell schiebbare Membrane trennt den öffentlichen vom privaten Raum. Die privaten Vorplätze dienen als praktische Abstellflächen für Kinderwagen u. dgl., aber insbesondere auch als Aufenthaltszone zum Geniessen der Nachmittags- und Abendsonne. Die Lichthöfe gewährleisten genügenden Lichteinfall wie auch eine optimale Luftumwälzung. Die durchgängigen Wohnungen profitieren ohne Ausnahme von den hervorragenden Situationsqualitäten und differenzierten Sonneneinstrahlungen. Die einfache, stringente Tragstruktur und damit Wohnungsstruktur, ermöglicht differenzierte Wohnungsgrundrisse mit verschiedenen Wohnungsgrössen. Basis des Wohnungsangebotes sind 3 1/2 und 4 1/2 Zimmerwohnungen, ergänzt mit wenigen 1 1/2 Zimmerwohnungen. Gerade für die im Lorrainequartier beliebte Wohngemeinschaft für Junge und Alte lässt das flexible Angebot keine Wünsche offen. Mit dem vorgeschlagenen Wohnungsmix sind 39 Einheiten vorgesehen. Von allen Wohnungen zugänglich, erhöht die grosse Spiel- und Aufenthaltszone im 3. Obergeschoss das Aussenraumangebot zusätzlich zum WylerPark.
Höfe
In den Höfen wird das Thema der urbanisierten Brache fortgesetzt. Die Höfe, als abgeschlossene Räume innerhalb des Gebäudes begriffen, fordern in einer logischen Abfolge die gesteigerte, artifiziellere Anwendung der Gestaltungselemente und somit eine Verlagerung von der Brache zur Urbanisierung, zum Garten. Alle Höfe bestehen aus den selben Elementen: Moose, Farne, Gräser, rostendes Eisen als Belag und differenziert geformte Wasserbecken. Durch ihre abwechslungsreiche Kombination entstehen Variationen. Gemeinsam ist ihnen ihre Stimmung, bestimmt vom Farbenspiel der mannigfaltigen Grünnuancen mit dem Rostrot der Eisenplatten, den Wasserspiegeln, den sich verändernden Lichtreflektionen und Schatten. Sie sind Mosaiksteine im gewebten Ornament des nachindustriellen Gartenreiches im Wylerfeld.
Baustruktur
Die Überlagerungen der horizontalen und vertikalen Raumschichtungen und Raumfolgen mit den konsequent offen geführten Installationen nach dem Prinzip der Systemtrennung generieren den Grundsatz der Flexibilität, des Prozesshaften. Raumstruktur und technische Infrastruktur folgen dem rhythmischen Gesetz des Skelettbaus, schaffen Klarheit, innere Logik, Ordnung und Ruhe und erzeugen dadurch grösstmögliche Freiheit für die sich stets wandelnde flexible Nutzung. Innerhalb des gegebenen Rahmens der Raumkonstanten sind der Variabilität, Erweiterbarkeit und Verdichtung baulich wie architektonisch keine Grenzen gesetzt. Ausgangspunkt für die geometrische Koordination der verschränkten Systembausteine sind das bestehende Untergeschoss, der Skelettbau ab dem Erdgeschoss und die geschossübergreifend abgestimmten Steig- und Installationszonen.
Die überhohen Räume von 3.30 m im Licht lassen auch in der Tiefe des Raumes genügend Luft und Freiraum zu, um eine offene, durchlässige und gut belichtete Arbeitsatmosphäre entstehen zu lassen. Die vorgesehene Raumhöhe gewährleistet auch bei relativ hoher Arbeitsplatzverdichtung ein grosszügiges Raumgefühl und widerspiegelt, zusammen mit dem Betonskelettbau, der offenen Installationsstruktur und einer adäquaten Materialwahl, eine dem Ort entsprechende Werkstatt- und Atelierstimmung
Fassade
Die Fassadengestaltung entwickelt sich aus der Baustruktur heraus und trägt dem Anspruch Rechnung, ca. alle 1.20m mit inneren Trennwänden anschliessen zu können. Eingespannt zwischen den Decken wird durch die modulare additive Teilung der Fassadenelemente ein vertikales industrielles Erscheinungsbild erzeugt. Im Bereich der gedeckten Terrasse wird der Fassade die Tragstruktur für die Wohncontainer vorgelagert, welche massgeblich und raumhaltig die Architektur prägen. Die Sockelfassade zu den Geleisen erhält über die enge Rhythmisierung der Betonstützen den angestrebten geschlossenen Sockelcharakter.
HLKS
Die Aufbereitung der Medien erfolgt in den bestehenden Zentralen im zweiten Untergeschoss. Für die Kälteerzeugung wird ein reversibles Gerät installiert, mit welchem im Sommer gekühlt und im Winter geheizt wird. Die mechanische Belüftung der Räume erfolgt über einzelne, den verschiedenen Nutzen und Anforderungen angepasste Anlagen. Die horizontale Hauptverteilung aller Medien ab den jeweiligen Zentralen bis auf die gemeinsamen Steigzonen erfolgt innerhalb eines Installationskorridors im ersten Untergeschoss. Von den Steigzonen aus werden die Medien entlang den Hauptträgern an der Decke der einzelnen Geschosse bis auf die einzelnen Deckenpaneele geführt.
Durch die klar strukturierte Kanal- und Leitungsführung sowie die quer dazu angeordneten Deckenpaneele entsteht eine gleichmässige Rasterung der haustechnischen Installationen. Die Deckenpaneele sind ein Raumkonditionierungssystem, mit dem die Funktionen Heizen, Kühlen, Lüften, Schallabsorption, Grundbeleuchtung und Sprinkler erfüllt sind. Zwecks Abschirmung der kühlen Fassade im Winterbetrieb sowie zur strahlungstechnischen Kompensation der warmen Fassade im Sommerbetrieb sind die Akustik-Metallplatten bei den Paneelen in den Aussenzonen mit Wärmeleitschienen aktiviert. Diese Schaltung erlaubt bei einem mittleren U-Wert von < 1.2 W/m2K eine Lösung ohne Heizkörper im Fassadenbereich. Das Glas kann sich vom Boden bis zur Decke erstrecken, ohne dass dadurch der thermische Komfort im Fassadenbereich gefährdet ist. Die kompakte und gegliederte Anordnung aller Medien im Deckenbereich gewährleistet eine grösstmögliche Flexibilität der Raumnutzung und Raumeinteilung. Mit der Installation einer Regenwassernutzungsanlage, mit eigenem Verteilnetz auf alle WC, Urinoirapparate und die Auslaufventile der Aussenbewässerung, wird gewährleistet, dass der Trinkwasserbedarf minimiert wird.
Livermore Investments AG, Gartenstrasse 10, 8002 Zürich vertreten durch Helbling Beratung + Bauplanung AG, Hohlstrasse 614, 8048 Zürich
Fotograf: ©architekturfotografie gempeler
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