Bauten aus dem Drucker: Revolutioniert der 3D-Druck die Architektur?
Text von Alyn Griffiths
London, Großbritannien
12.09.13
Die Vorstellung von gigantischen 3D-Druckern, die direkt auf der Baustelle ganze Häuser ausspucken, mutet heute noch sehr futuristisch an. Einige Architekten experimentieren jedoch bereits mit der 3D-Drucktechnologie und versuchen die Ideen für die Gebäude von morgen bereits in innovativen Projekten der Gegenwart umzusetzen. Architonic hat in diesem zukunftsträchtigen Bereich recherchiert.
Die additiven Fertigungsverfahren beziehungsweise 3D-Druckverfahren, wie sie häufiger genannt werden, sind in den letzten zehn Jahren Schritt für Schritt weiterentwickelt worden. Mittlerweile werden mit der Methode, die anfangs vornehmlich von Gestaltern zur raschen Erstellung von Prototypen genutzt wurde, verkaufsfertige Produkte produziert.
Das riesige Potential der 3D-Drucktechnologie wird allerdings nach wie vor erst begrenzt ausgeschöpft, denn die benötigten Apparaturen und Materialien sind noch sehr teuer. Wird das Verfahren in grösserem Umfang im Bereich der Architektur eingesetzt, vervielfachen sich die Kosten nochmals. Dies hält jedoch einige Architekten nicht davon ab, die Möglichkeiten dieser neuen Bauweise zu erkunden und sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie die Technologie in der Zukunft die Konstruktion von Gebäuden revolutionieren könnte. Die Pioniere auf dem Gebiet des 3D-Drucks in der Architektur experimentieren mit der Technologie in verschiedene Richtungen. Was ihnen vorschwebt, sind massgefertigte Gebäude, die direkt auf der Baustelle „gedruckt“ werden können, Fassaden, deren Tragfähigkeit und Oberflächenstruktur durch digitale Gestaltungstechniken optimiert werden oder Methoden für eine nachhaltige Bauweise durch die Speisung des 3D-Druckers mit natürlichen Werkstoffen.
Eine mit Enrico Dinis D-Shape Drucker hergestellte Skulptur. Der lose Sand muss noch vollständig aus den Zwischenräumen entfernt werden
Eine mit Enrico Dinis D-Shape Drucker hergestellte Skulptur. Der lose Sand muss noch vollständig aus den Zwischenräumen entfernt werden
×Die Anwendung von 3D-Druckverfahren in der Architektur blieb bisher auf Modelle und einige kühne Versuche im grösseren Rahmen beschränkt. In all diesen Projekten wird erforscht, wie das Verfahren in Zukunft genutzt werden könnte, um bewohnbare Gebäude zu erstellen. Der italienische Unternehmer Enrico Dini hat mit seinem riesigen D-Shape Drucker als erster ein Gebilde mit grösseren Dimensionen produziert. Die Maschine verfügt über einen riesigen gerüstartigen Aufbau, mit dessen Hilfe schichtweise Sand auf eine horizontale Fläche gestreut wird. Von einer computergestützten Designsoftware (CAD) gesteuert, wird jede frische Sandschicht an den erforderlichen Stellen über Druckdüsen mit einem Bindemittel besprüht. In den besprühten Bereichen verfestigt sich der Sand und verwandelt sich in eine Art von künstlichem Sandstein.
Der D-Shape Drucker in Aktion. Die dunklen Bereiche sind Stellen, an denen soeben Bindemittel aufgetragen worden ist
Der D-Shape Drucker in Aktion. Die dunklen Bereiche sind Stellen, an denen soeben Bindemittel aufgetragen worden ist
×Dinis Experimente, wie etwa eine 3 Kubikmeter grosse, gedruckte Skulptur, die vom italienischen Architekten Andrea Morgante entworfen worden ist, zeugen nicht nur vom Potential des 3D-Druckverfahrens im Bereich der Architektur, sondern auch von den noch existierenden Problemen: „Das Material ist sehr fragil. Letztes Jahr unterschätzten wir dies und verwendeten beim Transport einer zweieinhalb Tonnen schweren Skulptur in eine Galerie nach New York nicht genügend Verpackungsmaterial, weshalb die Skulptur zerbrach“, erinnert sich Dini. „Andere Probleme, die wir derzeit haben, ist die Unzuverlässigkeit des Zuführsystems für den Drucker sowie die Befreiung der fertigen Skulptur vom überschüssigen Sand. Letzteres ist eine sehr arbeitsintensive und staubige Angelegenheit." Er fügt an, dass das Verfahren trotz des einfachen Konzeptes sehr teuer sei. "Unser Hauptproblem ist derzeit weniger die Technik, sondern die Finanzierung."
Enrico Dini ist überzeugt, dass die Probleme, die er derzeit mit seinem riesigen 3D-Drucker hat, gelöst werden können – wenn nicht von ihm selbst, dann von seinen Konkurrenten. Dini sagt weiter, dass seine Arbeit das Interesse unterschiedlicher Kreise geweckt habe: "Zuerst dasjenige von Designern, dann dasjenige von Architekten und anschliessend auch dasjenige von Bauunternehmern, privaten Investoren und Risikokapitalgebern, die alle erkannt haben, dass die Anwendung des additiven Fertigungsverfahrens auch im grossen Massstab möglich ist."
Das "Landscape House" von Universe Architects könnte in einem Stück gedruckt werden
Das "Landscape House" von Universe Architects könnte in einem Stück gedruckt werden
×Architekten stellen denn auch bereits ambitiöse Projekte vor, in denen auf das Potential des D-Shape Druckers gesetzt wird. Das "Landscape House", ein Entwurf von Janjaap Ruijssenaars vom holländischen Büro Universe Architecture, weist beispielsweise die Form eines endlosen Möbiusbandes auf und könnte gemäss dem Architekten in einem Stück gedruckt werden, ohne dass eine separate Anfertigung hochkomplexer Gussformen nötig wäre. Die Oberflächen des Gebäudeäusseren und -inneren sowie der Treppen könnten gleich mitgedruckt werden und erhielten eine rohe, körnige Struktur, die aufgrund geringer Abweichungen beim Auftragen der Schichten entstehen würde. Ruijssenaars ist der Ansicht, dass durch dieses Bauverfahren Zeit und Energie gespart und der Arbeitsaufwand verringert werden könnte. Zudem würde das 3D-Druckverfahren wandlose Gebäudestrukturen ermöglichen, die sich gut in die Umgebung einpassen liessen.
Entwurf einer Mondbasis von Foster + Partners, die unter Verwendung von auf dem Mond vorhandenen Materialien gedruckt werden könnte; Bild © Foster + Partners
Entwurf einer Mondbasis von Foster + Partners, die unter Verwendung von auf dem Mond vorhandenen Materialien gedruckt werden könnte; Bild © Foster + Partners
×Die Art und Weise, wie der D-Shape Drucker lose Sandpartikel in eine feste Struktur verwandelt, hat etwas Magisches an sich und erinnert an Science-Fiction. Es ist daher nicht allzu verwunderlich, dass führende Raumfahrtorganisationen testen, ob die Methode anderswo im Sonnensystem angewendet werden könnte, um Behausungen zu erstellen.
Das modulare System besteht aus aufblasbaren Kuppeln, die miteinander verbunden und von einer im 3D-Druckverfahren produzierten Hülle ummantelt sind; Bild © Foster + Partners
Das modulare System besteht aus aufblasbaren Kuppeln, die miteinander verbunden und von einer im 3D-Druckverfahren produzierten Hülle ummantelt sind; Bild © Foster + Partners
×Roboter produzieren unter Anwendung der 3D-Drucktechnik aus Mondmaterial und einem Bindemittel eine leichtgewichtige, aber robuste Zellstruktur; Bild © Foster + Partners
Roboter produzieren unter Anwendung der 3D-Drucktechnik aus Mondmaterial und einem Bindemittel eine leichtgewichtige, aber robuste Zellstruktur; Bild © Foster + Partners
×Die europäische Weltraumorganisation ESA hat in Zusammenarbeit mit dem Londoner Architekturbüro Foster + Partners ein Konzept für eine Mondbasis entwickelt, die mit Hilfe der 3D-Drucktechnologie aus Material von der Mondoberfläche, sogenanntem Mondregolith, erstellt werden könnte. Die Hülle aus Regolith würde in Verbindung mit einem Bindemittel um eine aufgeblasene Kuppel herum Schicht für Schicht von einem robotergesteuerten Drucker aufgetragen. Das speziell entwickelte Druckverfahren ermöglicht die Produktion eines Materials mit einer schaumartigen Zellstruktur. Unter einem reduzierten Einsatz von Bindemittel kann so eine leichtgewichtige Hülle geschaffen werden, die stark genug wäre, um die Bewohner vor den unwirtlichen atmosphärischen Bedingungen auf dem Mond zu schützen. Diese etwas abgehoben wirkende Idee könnte leicht als eine Fantasie aus dem Reich der Science-Fiction abgetan werden; das Team hat allerdings bereits in einer Vakuumkammer mit nachgebildetem Mondmaterial Testversuche durchgeführt.
Gestaltungsvorschlag für das "Canal House" von DUS architects, das im 3D-Druckverfahren erstellt wird. Die Fassade fällt gegen oben hin detailreicher aus, denn mit zunehmender Erfahrung soll die Drucktechnik immer versierter eingesetzt werden
Gestaltungsvorschlag für das "Canal House" von DUS architects, das im 3D-Druckverfahren erstellt wird. Die Fassade fällt gegen oben hin detailreicher aus, denn mit zunehmender Erfahrung soll die Drucktechnik immer versierter eingesetzt werden
×Ein Modell von der Baustelle des Canal Houses im Massstab 1:20. Der 3D-Drucker KamerMaker befindet sich im glänzenden Metall-Kontainer
Ein Modell von der Baustelle des Canal Houses im Massstab 1:20. Der 3D-Drucker KamerMaker befindet sich im glänzenden Metall-Kontainer
×Kehren wir zurück auf die Erde. Eine Alternative zum Drucken ganzer Gebäude durch gigantische Apparaturen ist die Herstellung kleinerer, zusammensetzbarer Einheiten. Diesen Ansatz verfolgt das holländische Architekturbüro DUS. Es hat testweise damit begonnen, Elemente für ein Grachtenhaus in Amsterdam zu drucken. Verwendet wurde dazu der 3D-Drucker KamerMaker (Raum-Ersteller). Es handelt sich dabei um eine grössere Version des geläufigen, handlichen 3D-Druckers Ultimaker. Die einzelnen Gebäudeelemente werden direkt auf der Baustelle im 6 Meter hohen KamerMaker gedruckt und Stück für Stück zusammengebaut. Vor den Augen der Öffentlichkeit soll so allmählich eine zeitgemässe Version eines traditionellen, vierstöckigen Grachtenhauses entstehen. Das Forschungs- und Entwicklungsprojekt ist ein Pilotversuch vor Publikum. Die Macher des Projekts werden in dessen Verlauf die Stärken und Schwächen der Maschine und der verwendeten Materialien immer besser kennenlernen und mit zunehmender Erfahrung das Design der Bauteile optimieren können. "Unser Ziel ist es, das Haus möglichst vollständig zu drucken. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass wir dennoch gezwungen sein werden, es mit zusätzlichem Material zu ergänzen", erklärt Martine de Witt, Gründungspartnerin von DUS. "Es ist auch interessant zu sehen, wie sich die Verwendung von traditionelleren Baumaterialien wie Glas mit den im 3D-Druckverfahren gefertigten Elementen kombinieren lässt."
Der Rahmen eines Rosenfensters im Originalmassstab. Jedes Fenster und jeder Gebäudeteil wird eine Einzelanfertigung sein
Der Rahmen eines Rosenfensters im Originalmassstab. Jedes Fenster und jeder Gebäudeteil wird eine Einzelanfertigung sein
×Für die Initiatoren ist das Projekt auch ein Instrument, um für die 3D-Drucktechnologie zu werben. Die Baustelle ist öffentlich zugänglich und es finden vor Ort regelmässig Vorträge und Workshops statt, in denen das neuartige Fertigungsverfahren interessierten Kreisen und potentiellen Geschäftspartnern vorgestellt wird. Das erste Etappenziel von DUS ist die Erstellung eines zweistöckigen "Empfangsraums", in welchem Besucher über die Fortschritte im Projekt informiert werden. Zudem soll durch die vollständige Errichtung der Fassade die Aufmerksamkeit der Passanten geweckt werden. Die Reaktionen sind laut de Witt bisher äusserst positiv ausgefallen. Viele Leute seien hergekommen, um den Drucker in Aktion zu sehen. Dass sich im Zusammenhang eines solchen Projekts auch skeptische Stimmen zu Wort melden, ist unvermeidlich. "Einige Leute sagen, dass sich dieses Verfahren niemals durchsetzen werde. Andere sind hingegen überzeugt, dass die 3D-Drucktechnik die Art und Weise, wie wir Dinge herstellen, grundlegend verändern wird", erläutert de Witt.
Das ProtoHouse von Softkill Design besteht aus einer faserartigen Struktur. Diese erinnert an Knochengewebe, das nur dort wächst, wo es benötigt wird; Foto: Julia Kubisty
Das ProtoHouse von Softkill Design besteht aus einer faserartigen Struktur. Diese erinnert an Knochengewebe, das nur dort wächst, wo es benötigt wird; Foto: Julia Kubisty
×Auf einer konzeptuellen Ebene versuchen einige Architekten herauszufinden, worin das wirklich bahnbrechende Potential der 3D-Drucktechnologie liegt und wie sie zu einer völlig neuen Art von Gebäude führen könnte. Während ihres Studiums an der Architectural Association haben Nicholette Chan, Gilles Retsin, Aaron Silver und Sophia Tang vom Londoner Architekturstudio Softkill Design einen Plan für ein Wohnhaus entwickelt, das im 3D-Druckverfahren erstellt werden könnte. Es verfügt im Aufbau über eine faserartige Struktur, die von der Art und Weise, wie Knochengewebe wächst, inspiriert ist. Das Team hat einen speziellen Algorithmus entwickelt, der es ermöglicht hat, die Baustruktur so zu optimieren, dass nur an jenen Stellen Material angebracht wird, an denen es auch wirklich benötigt wird.
Die Gebäudestruktur würde aus 31 Einzelteilen bestehen, die alle separat gedruckt und vor Ort zusammengesetzt werden könnten
Die Gebäudestruktur würde aus 31 Einzelteilen bestehen, die alle separat gedruckt und vor Ort zusammengesetzt werden könnten
×Die Studienabsolventen schlagen vor, das Haus in 31 Einzelteilen zu drucken, wobei das Volumen jedes Teils dem Fassungsvermögen der grössten, heute verfügbaren 3D-Druckermodelle entsprechen würde. Die einzelnen Elemente würden mit Lastwagen auf die Baustelle transportiert und miteinander verbunden, ohne dass zur Fixierungen zusätzliches Material benötigt würde. Die netzartige Struktur würde von einer wasserdichten Schutzhülle ummantelt. Das von Softkill Design hergestellte Modell im Massstab 1:33 vermittelt einem auf fesselnde Weise eine Vorstellung davon, wie durch 3D-Druckverfahren in Kombination mit der aktuellsten CAD-Software Formen erzeugt werden können, die mit konventionellen Fertigungstechniken unmöglich herstellbar wären.
Ein vollendete Skulptur, die mit dem D-Shape Drucker von Enrico Dini erstellt worden ist und zeigt, welch organische Formen über das 3D-Druckverfahren erzeugt werden können
Ein vollendete Skulptur, die mit dem D-Shape Drucker von Enrico Dini erstellt worden ist und zeigt, welch organische Formen über das 3D-Druckverfahren erzeugt werden können
×Es ist derzeit noch zu früh, um vorhersagen können, ob wir eines Tages in einem Netz von filigranen, durch Roboter erzeugten Gebäude leben werden – oder gar in Regolith-Höhlen auf dem Mond. Die 3D-Drucktechnologie wird aber mit Sicherheit weiterentwickelt werden. Je günstiger und einfacher das Verfahren in der Anwendung wird, desto mehr Architekten werden aufspringen und das Potential dieser Technologie nutzen wollen, um Bauwerke zu entwerfen, die nachhaltiger, wirtschaftlicher und effizienter sind. Martine de Wit glaubt, dass die Revolution bereits begonnen hat: "In fünf Jahren, denke ich, wird es ziemlich normal sein, 3D-Drucker in der Bauindustrie zu verwenden und in noch fernerer [Zukunft] wird vermutlich die Hälfte von all dem, was wir bauen, gedruckt werden."