Loch-Fassaden: Perforierte Architektur-Materialien
Text von Alyn Griffiths
London, Großbritannien
20.08.11
Perforierte Wände, Fassadenelemente und Raumabschlüsse werden seit Jahrhunderten eingesetzt, sei es als Schutz vor Blicken oder um den Lichteinfall zu kontrollieren. Die Funktionen sind bis heute mehr oder weniger dieselben geblieben, doch die Materialien, Methoden und Herstellungstechniken haben sich beträchtlich verändert. .Was früher von Hand ausgeschnitten, gekerbt oder geschnitzt wurde, wird heute mittels computergesteuerter CNC Technik schnell und präzise aus den verschiedensten Materialien heraus gefräst. Architonic stellt Ihnen hier einige der neuesten Projekte vor, bei denen perforierte Materialien gekonnt eingesetzt wurden.
Die Perforationen des vom Pariser Architekturbüro Jakob + Macfarlane entworfenen Orange Cube ist mit perforiertem Streckmetall verkleidet; Foto: Roland Halbe
Die Perforationen des vom Pariser Architekturbüro Jakob + Macfarlane entworfenen Orange Cube ist mit perforiertem Streckmetall verkleidet; Foto: Roland Halbe
×Perforierte Blenden und Läden können über ihre Funktionalität hinaus dazu dienen, der Fassade eines Gebäudes einen besonderen Charakter zu verleihen. Im mediterranen Raum prägen in fröhlichen Farben gestrichene Fensterläden das Stadtbild und schützen das Innere des Hauses vor der Hitze der Mittagssonne. Darüber hinaus schaffen sie Privatsphäre und dienen als Einbruchschutz. Im mittleren Osten, Nordafrika und Asien finden sich ornamentale, handgeschnitzte Trennwände, oft kunstvoll in traditioneller Handwerkstechnik gefertigt.
Die Komplexität der Schnitzkunst zeugt vom Wohlstand oder Status des Besitzers, wobei die aufwändigsten Arbeiten meist in Moscheen, Tempeln oder anderen religiösen Stätten zu finden sind.
Zeitgenössischen Architekten dienten diese ornamentalen Raumabschlüsse als Inspiration und fanden sich in letzter Zeit in einem modernen Kontext oder in abstrahierter Form oft wieder.
Die Fassade des Restello Appartmenthauses von Piercy Conner Architects besteht aus perforierten Stahl-Blenden, die sowohl vor Sonne als auch vor Regen schützen und den Lichteinfall in das Gebäude regeln; Foto © Piercy Conner Architects
Die Fassade des Restello Appartmenthauses von Piercy Conner Architects besteht aus perforierten Stahl-Blenden, die sowohl vor Sonne als auch vor Regen schützen und den Lichteinfall in das Gebäude regeln; Foto © Piercy Conner Architects
×In Klimata mit aggressiver UV Strahlung ist eine den Umweltbedingungen gut angepasste Planung der Tageslichtöffnungen, Beschattung und Sonnenschutz sowie natürlicher Ventilation und Kühlung unabdingbar. Piercy Connor Architects zeigen mit dem Restello Apartment Building im indischen Kalkutta, dass Ganzglasfassaden auch in sonnenintensiven Gegenden möglich sind – vorausgesetzt, dass ein adäquater aussenliegender Sonnenschutz vorhanden ist. Dieser besteht aus perforierten Stahl-Blenden, die sowohl vor Sonne als auch vor Regen schützen und den Lichteinfall in das Gebäude regeln – ohne auf den spektakulären Ausblick zu verzichten.
Die perforierte Hülle wird horizontal durch doppelstöckige Terrassen unterbrochen.
Dadurch wird die klare Trennung zwischen innerer und äusserer Gebäudehülle verwischt.
Das filigrane Muster der Perforation zitiert auf abstrahierte Weise den lokalen Stil und bringt einen gesprenkelten Lichteinfall hervor, der den Eindruck natürlichen Schattenwurfs erweckt.
Das filigrane Muster der Perforation zitiert auf abstrahierte Weise den lokalen Stil und bringt einen gesprenkelten Lichteinfall hervor; Foto © Piercy Conner Architects
Das filigrane Muster der Perforation zitiert auf abstrahierte Weise den lokalen Stil und bringt einen gesprenkelten Lichteinfall hervor; Foto © Piercy Conner Architects
×Die Stahl-Glas-Konstruktion bietet maximalen Lichteinfall unter Ausschluss der negativen Effekte aggressiven Sonnenlichtes und eine luxuriöse Optik
Die Stahl-Glas-Konstruktion bietet maximalen Lichteinfall unter Ausschluss der negativen Effekte aggressiven Sonnenlichtes und eine luxuriöse Optik
×Der Einsatz der Materialien Stahl und Glas bedingt sich zum einen durch die hohe Luftfeuchtigkeit der Region, die den raschen Verfall weniger feuchtigkeitsresistenter Materialien zur Folge hätte, und zum anderen durch den wachsenden Markt höherer Einkommensschichten, die Wert auf modernen und komfortablen Wohnraum legen. Die Stahl-Glas-Konstruktion bietet dabei maximalen Lichteinfall unter Ausschluss der negativen Effekte aggressiven Sonnenlichtes und eine luxuriöse Optik.
Zwei grosse Hohlräume durchbrechen das Volumen und bringen Tageslicht ins Innere; Foto: Roland Halbe
Zwei grosse Hohlräume durchbrechen das Volumen und bringen Tageslicht ins Innere; Foto: Roland Halbe
×Ein scheinbar zufälliges Muster überzieht das gesamte Volumen; Foto: Roland Halbe
Ein scheinbar zufälliges Muster überzieht das gesamte Volumen; Foto: Roland Halbe
×Die Perforationen des vom Pariser Architekturbüro Jakob + Macfarlane entworfenen Orange Cube in Lyon entbehren jeder Regelmässigkeit eines Musters. Sie sehen aus wie zufällig dahingekleckerte Löcher und der Reiz der Fassade liegt darin, dass diese dem Fensterraster überlagerte Textur dem Gebäude die geometrische Strenge nimmt.
Aus dem kubischen Volumen wurde die untere Ecke ausgespart – als ob ein Stück des Würfels herausgebrochen wäre. Dort befindet sich der Eingang in das Bürogebäude, das auch einen Design Showroom beherbergt. Ein weiterer trichterartiger Hohlraum durchdringt den Kubus – aus ihm heraus entstehen Atrien, Terrassen und innere Erschliessungswege, die einen dynamischen Blick auf den nahegelegenen Fluss und die umliegenden Büros bieten.
Der trichterförmige Hohlraum schneidet sich durch die Deckengeschosse hindurch und bildet Balkone und offene Bereiche; Foto: Roland Halbe
Der trichterförmige Hohlraum schneidet sich durch die Deckengeschosse hindurch und bildet Balkone und offene Bereiche; Foto: Roland Halbe
×Die L-förmige Wand im Showroom ist mit polygonalen Aussparungen durchbrochen, die als glaslose „Vitrinen“ der Exponate dienen
Die L-förmige Wand im Showroom ist mit polygonalen Aussparungen durchbrochen, die als glaslose „Vitrinen“ der Exponate dienen
×Der optische Effekt der Fassade bezieht sich auf die Lichtreflektionen der Wasseroberfläche des nahegelegenen Flusses. Doch die Funktionalität wurde nicht ausser Acht gelassen:
Lichteinfall und thermische Optimierung standen bei der Planung der Öffnungen im Vordergrund. Das Thema der Perforation wird im Inneren des Gebäudes weitergeführt: Die L-förmige Wand im Showroom ist durchbrochen mit Aussparungen derselben Formensprache, die als glaslose „Vitrinen“ der Exponate dienen.
Der polygonale Körper wurde in CNC gefrästen Sperrholzplatten verkleidet, deren Muster durch polnische Scherenschnittkunst inspiriert wurde
Der polygonale Körper wurde in CNC gefrästen Sperrholzplatten verkleidet, deren Muster durch polnische Scherenschnittkunst inspiriert wurde
×Die narrativen Möglichkeiten eines Perforationsmusters einer Fassade wurden mit dem Entwurf von WWAA Architects für den polnische Pavillon der Shanghai Expo 2010 ausgelotet.
Der polygonale Körper wurde in CNC gefrästen Sperrholzplatten verkleidet, deren Muster durch polnische Scherenschnittkunst inspiriert wurde.
Mit der Bewegung des Besuchers durch den Pavillon verändern sich auch die Muster; Foto © WWAA
Mit der Bewegung des Besuchers durch den Pavillon verändern sich auch die Muster; Foto © WWAA
×Bei Nacht dringt das Licht aus dem Inneren des Polnischen Pavillons von WWAA nach aussen und lässt ihn wie eine grosse Laterne erscheinen; Foto © WWAA
Bei Nacht dringt das Licht aus dem Inneren des Polnischen Pavillons von WWAA nach aussen und lässt ihn wie eine grosse Laterne erscheinen; Foto © WWAA
×Tagsüber wirft das durch die Fassadenöffnungen hindurchfallende Licht faszinierende Projektionenins Innere des Volumens. Diese verschmelzen mit den Bildern und Filmen, die die Geschichte Polens, den polnischen Alltag und Landeskultur dokumentieren. Nachts scheint das Licht durch die perforierte Fassade nach aussen und gibt dem Baukörper die Optik einer riesigen Laterne.
6000 Löcher durchdringen die Fassade der Umimirai Bibliothek von Coelacanth K&H Architects; Foto: Satoshi Asakawa
6000 Löcher durchdringen die Fassade der Umimirai Bibliothek von Coelacanth K&H Architects; Foto: Satoshi Asakawa
×Die Öffnungen spenden ein weiches, natürliches Licht; Foto: Satoshi Asakawa
Die Öffnungen spenden ein weiches, natürliches Licht; Foto: Satoshi Asakawa
×Die Decke des 12 Meter hohen Lesesaals der Umimirai Bibliothek ruht auf 25 schlanken Stützen; Foto: Satoshi Asakawa
Die Decke des 12 Meter hohen Lesesaals der Umimirai Bibliothek ruht auf 25 schlanken Stützen; Foto: Satoshi Asakawa
×Perforierte Fassaden spenden natürliches Tageslicht und Filtern die Lichtintensität so, dass Blendung und direkte Sonneneinstrahlung vermieden werden. Durch das gedämpfte Licht entsteht eine entspannte und ruhige Atmosphäre, in der man konzentriert arbeiten, aber auch entspannen kann. Dieses Prinzip war die Grundlage des Entwurfs des japanischen Architekturbüros Coelacanth K&H für die Umimirai Bibliothek in Kanazawa. Er folgte der Erkenntnis, dass die Qualität des Lichts ausschlaggebend sein würde, um eine angenehme Atmosphäre für die Besucher zu schaffen und den Ort zu einer Stätte sozialer Begegnung zu machen, an dem man gerne seine Freizeit verbringt. Ähnlich einem lichten Blätterwald dringt die Sonne durch die 6000 kleinen Öffnungen, die in den grossen Quader gestanzt wurden. Die Regelmässigkeit der Öffnungen schaffen ein gleichmässig im Raum verteiltes Licht, das ideal zum Lesen und kontemplativen Nachdenken geeignet ist.
Transparenz und Tageslichteinfall waren massgebend für den Entwurf des Hauptsitzes der Schweizer Raiffeisenbank in Zürich von DGJ+NAU; Foto: Jan Bitter
Transparenz und Tageslichteinfall waren massgebend für den Entwurf des Hauptsitzes der Schweizer Raiffeisenbank in Zürich von DGJ+NAU; Foto: Jan Bitter
×Licht war ebenfalls massgebend für den Entwurf des Hauptsitzes der Schweizer Raiffeisenbank in Zürich. Ziel war es, eine offene und transparente Atmosphäre zu schaffen und das Image des steifen, traditionellen Bankgeschäftes abzustreifen. Kunden und Bankangestellte interagieren in einer lounge-artigen Atmosphäre, die von den Räumlichkeiten luxuriöser Ladengeschäfte inspiriert wurde. Der offene Grundriss wird durch fliessende Wände unterteilt und optisch durch leichte Vorhänge und perforierte Blenden strukturiert. Die Blenden schaffen private, abgeschirmte Räume, die von aussen nicht einsehbar sind, jedoch einen hohen Lichtdurchlässigkeitsgrad besitzen. Abstrahierte Konterfeis regionalgeschichtlicher Persönlichkeiten zieren die Oberfläche der Blenden. Sie sollen das futuristische Auftreten der Bank traditionell verankern. Die Blenden bestehen aus Hi-Macs, einem transluzenten Komposit, in welches die Bilder herein gefräst wurden.
Das detaillierte Muster wurde mittels CNC-Fräse umgesetzt; Foto: Jan Bitter
Das detaillierte Muster wurde mittels CNC-Fräse umgesetzt; Foto: Jan Bitter
×Ob im Inneren oder Aussen appliziert, perforierte Oberflächen sind im Stande, einen Dialog zwischen Räumen herstellen. Sie können sowohl vor Blicken schützen oder zur Beobachtung einladen, als auch Lichteinfall und Temperatur angenehm regulieren. Neue Technologien bringen neue Möglichkeiten zur rationalen und trotzdem massgeschneiderten Perforationen mit sich, welche grosse gestalterische Freiheit ermöglichen. Detaillierte und gemusterte Oberflächen können nun effizient hergestellt werden und somit grosse Flächen kosteneffizient verkleidet werden. Die Grundfunktionen perforierter Flächen, Schatten und Privatsphäre zu bieten, werden sich nicht ändern – doch das gestalterische Potenzial und die Anwendungsmöglichkeiten sind grösser denn je.
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