Auf dem roten Teppich: Domotex 2018
Brand story von Barbara Jahn-Rösel
Wien, Österreich
04.12.17
Vom 12.-15. Januar 2018 findet die DOMOTEX in Hannover statt. Mit einem hochkarätigen Talkprogramm nähert sich die weltweit führende Messe für Teppiche und Bodenbeläge unter dem Leitthema "Unique Youniverse" dem Trend zur Individualisierung.
Auf eine persönliche Art der Umgebungswahrnehmung setzte Jürgen Mayer H., als er mit XXX Times Square With Love den reizüberfluteten Platz in New York mit überdimensionalen Stadtmöbeln in eine Art Ruheoase verwandelte
Auf eine persönliche Art der Umgebungswahrnehmung setzte Jürgen Mayer H., als er mit XXX Times Square With Love den reizüberfluteten Platz in New York mit überdimensionalen Stadtmöbeln in eine Art Ruheoase verwandelte
×Ressourcenverknappung, wachsende Weltbevölkerung, Platznot – wir müssen diesen Entwicklungen ins Auge sehen und anstatt sie weg zu retuschieren offen angehen. Es wird ein gemeinsamer Kraftakt aller Beteiligten – Designer, Hersteller, Konsumenten. In Zukunft, so scheint es, werden alle drei gleichberechtigte Partner sein. Der Zuzug in die Städte – 2050 sollen zwei drittel der Menschen in urbanem Umfeld leben – evoziert ein verändertes Bewusstsein für den Lebens- und Wohnraum. Es wird weniger davon geben für jeden Einzelnen. In dieser quantitativen Einschränkung liegt aber zugleich die grosse Chance, den vorhandenen Raum qualitätsvoller zu gestalten. Und tatsächlich zeigt sich die zunehmende Sensibilität der Menschen für ihr dingliches Umfeld in dem vermehrten Bedürfnis nach individualisierten, speziell auf den Geschmack und das aktuelle Lebensgefühl des Konsumenten zugeschnittenen Produkten.
Fruchtbarer Boden
Unter dem Leitthema „Unique Youniverse“ schafft die Domotex 2018 eine Bühne, um mit Fokus auf den starken Trend zur Individualisierung Ideen zu dieser Entwicklung zu skizzieren, Gedanken auszutauschen, Projekte zu planen und in weiterer Folge in die Tat umzusetzen. Denn der Bereich der Raumausstattung bietet zahlreiche Möglichkeiten detaillierte Individualisierungen vorzunehmen. Dabei ist gerade die Bodenbelagsbranche in der glücklichen Lage, besonders auf Kundenwünsche eingehen zu können – auch dank Digitalisierung.
Architekt Jürgen Mayer H. arbeitet mit seinen Partnern an den Schnittstellen von Architektur, Kommunikationsdesign und Neuen Technologien. In der Mitbestimmung des Konsumenten sieht er sowohl Herausforderung als auch grosse Chancen
Architekt Jürgen Mayer H. arbeitet mit seinen Partnern an den Schnittstellen von Architektur, Kommunikationsdesign und Neuen Technologien. In der Mitbestimmung des Konsumenten sieht er sowohl Herausforderung als auch grosse Chancen
×Starke Stimmen
Um das grosse Ausstellungsthema noch weiter zu vertiefen, hat die Domotex neben namhaften Experten aus Forschung und Zukunftsentwicklung kreative Köpfe der Architektur- und Designszene zu spannenden Talks eingeladen. Zum Thema „Retail Interactive: Virtual vs. Real?“ referiert der Architekt Jürgen Mayer H., dessen international renommiertes Büro an den Schnittstellen von Architektur, Kommunikationsdesign und neuen Technologien arbeitet. Über „Modulares Design: Individuell vs. Seriell?“ spricht Designer Werner Aisslinger, dessen Schwerpunkt in der Auseinandersetzung mit ungewöhnlichen Materialien und neuen Technologien liegt, die er auf die Welt des Designs anwendet.
Wie Co-Work funktioniert
Architonic konnte den Architekten und den Designer – beide mit Büro in Berlin und damit ausgewiesene Städter – getrennt voneinander dazu befragen, was sie bewegt und mit welchem Blick sie in die Zukunft schauen.
Aus dem Wettbewerb für das Shopping- und Erlebniszentrum VOLT Berlin ging das Büro von Jürgen Mayer H. als Sieger hervor. Durch seinen ausgeprägten Eventcharakter unterscheidet sich das Projekt deutlich von anderen Einkaufscentern
Aus dem Wettbewerb für das Shopping- und Erlebniszentrum VOLT Berlin ging das Büro von Jürgen Mayer H. als Sieger hervor. Durch seinen ausgeprägten Eventcharakter unterscheidet sich das Projekt deutlich von anderen Einkaufscentern
×Menschen wollen sich Trends nicht mehr vorsetzen lassen sondern ihr eigenes privates Universum kreieren. Was angesagt ist, wird sekundär, und in ist, was gefällt. Diese immer grösser werdende Loslösung vom Mainstream wird generell betrachtet enorme Auswirkungen haben. Welche, denken Sie?
Werner Aisslinger: Vor allem durch die Online-Welt informieren sich Menschen selektiv, und jeder bildet sich seine persönliche Schnittmenge an Meinungen, Vorlieben und Haltungen. Dennoch bleibt der Mensch ein soziales Wesen, das gerne zu Gruppen und Communities gehört. Diese werden in Zukunft inkonsistenter sein, schnelllebig und variantenreich. Also viele kleine Parallelstreams …
Jürgen Mayer H.: Auf ökonomischer Ebene geht dieser Trend mit einer zunehmenden Ausdifferenzierung der Märkte einher und ist für die Hersteller eine Herausforderung und Chance zugleich. Auf sozialer Ebene stärkt der Wunsch nach Individualität auch den Gemeinsinn. Das klingt auf den ersten Blick paradox, aber der Anstieg der Genossenschaften ist ein stichhaltiger Beleg dafür, wie eine hochindividualisierte Gesellschaft neue Unterstützungs- und Gemeinschaftsformen herausbildet. Mit dem Zusammenschluss können Menschen dann ihre individuellen Lebensentwürfe und Wünsche realisieren.
Experimentierfreudig und neuen Entwicklungen gegenüber aufgeschlossen: Dass der Konsument zunehmend individualisierte Varianten aller Produkte verlangt, ist für Designer Werner Aisslinger eine natürliche Folge der Entwicklung unserer Zivilisation
Experimentierfreudig und neuen Entwicklungen gegenüber aufgeschlossen: Dass der Konsument zunehmend individualisierte Varianten aller Produkte verlangt, ist für Designer Werner Aisslinger eine natürliche Folge der Entwicklung unserer Zivilisation
×Als Architekt und Gestalter haben Sie einen Beruf gewählt, der Räume bzw. Dinge hervorbringen soll, die das Leben von Menschen lebendiger, angenehmer, schöner machen sollen. Wie können Sie als Designer dem Ruf nach mehr Personalisierung nachkommen?
Jürgen Mayer H.: Mit Neugier, Aufgeschlossenheit und durch Gespräche, Hinhören und Fragen. Aber auch mit Provokation und Herausforderung, um die individuelle Wahrheit und Grenzen des Einzelnen zu erfahren.
Werner Aisslinger: Personalisierung und Customizing passieren so und so, und ein Teil der Gestaltungshoheit wird auf den User übergehen – dabei werden die User nicht alle Künstler und Kreative werden, sondern sie werden sich in einer Algorithmuswelt wiederfinden, die ihnen Tools zur Customization von Produkten und Räumen zur Verfügung stellt.
Stets mit den Augen künftiger Nutzer betrachtend verleiht Werner Aisslinger Funktionen eine Form, lässt aber bei Farbe und teilweise auch beim Material Optionen offen, etwa bei Stuhl Hemp für Moroso (oben) und Stuhl Juli für Cappellini (unten)
Stets mit den Augen künftiger Nutzer betrachtend verleiht Werner Aisslinger Funktionen eine Form, lässt aber bei Farbe und teilweise auch beim Material Optionen offen, etwa bei Stuhl Hemp für Moroso (oben) und Stuhl Juli für Cappellini (unten)
×Wenn es nun Produkte, aber auch ganze Lebensräume geben wird, die sich jeder sozusagen selbst gestalten kann, wird es zwischen Hersteller und Konsument ein direktes, aktives Austauschen geben. Der Konsument entwirft mit. Begrüssen Sie das, oder würden Sie das nicht so gerne sehen?
Werner Aisslinger: Es wird praktisch ein Gestaltungssharing geben – aber die Algorithmen für die Konsumenten werden auch wieder von kreativen Menschen erstellt – von Designern, Architekten. Nur das Profil des Kreativen ändert sich.
Jürgen Mayer H.: Design, Architektur entstehen immer in einer Art „Komplizenschaft“ zwischen unterschiedlichen Akteuren.
Beim multifunktionalen Bürosystem Level 34 für Vitra und bei Badewanne Grid für Kaldewei zeigt Werner Aisslinger sein Können im Spiel der Formen und lässt dem Nutzer viele Möglichkeiten zur Mitgestaltung offen
Beim multifunktionalen Bürosystem Level 34 für Vitra und bei Badewanne Grid für Kaldewei zeigt Werner Aisslinger sein Können im Spiel der Formen und lässt dem Nutzer viele Möglichkeiten zur Mitgestaltung offen
×Wie viel an Mitbestimmung würden Sie „ertragen“?
Jürgen Mayer H.: Der Dialog ist immer eine wichtige Komponente für die Weiterentwicklung einer Idee oder eines Entwurfs.
Werner Aisslinger: Ich finde diesen Prozess spannend und gar nicht erschreckend – das ist die Evolution der Zivilisation, die wir ohnehin nicht aufhalten können.
Welche Chancen birgt in Ihren Augen der Aufbruch zu mehr „bespoke living“?
Werner Aisslinger: Die Chancen sind auch hier die permanente Veränderung – Wohnen wird in Zukunft kurzweiliger und in kurze Lebensphasen unterteilt sein. Diese Phasen sind dann natürlich sehr intensiv und bespoke.
Jürgen Mayer H.: Jeder kann heute den Raum viel stärker nach seinen persönlichen Wünschen und Vorstellungen gestalten – ist aber umgekehrt auch sehr viel stärker als früher in der Pflicht, sich über die Art der Ausgestaltung Gedanken zu machen. Die Freiheit der Wahl bedingt den Zwang zur Entscheidung.
© Architonic