Gott steckt im Detail: Die neuen Sakralbauten
Text von Barbara Jahn-Rösel
Wien, Österreich
17.09.17
Inmitten einer Abwanderungsbewegung von den religiösen Institutionen entwerfen Architekten sakrale Räume, die offen sind für ihre Umgebung, die Menschen und die Gegenwart.
In der Architektur den richtigen Zugang finden: Orte der Spiritualität und der Meditation in zeitgenössischer Interpretation werden in allen Konfessionen nachgefragt; hier die Lourdes-Kapelle in Krumbach, Österreich. Foto: Adolf Bereuter
In der Architektur den richtigen Zugang finden: Orte der Spiritualität und der Meditation in zeitgenössischer Interpretation werden in allen Konfessionen nachgefragt; hier die Lourdes-Kapelle in Krumbach, Österreich. Foto: Adolf Bereuter
×Was ihre Mitgliederzahlen angeht befinden sich die grossen Religionsgemeinschaften vor allem im Westen seit langem auf Talfahrt. Gleichzeitig verzeichnen Anbieter von Meditations-, Achtsamkeits- und anderen Abschalttechniken ungebremsten Zulauf. Rund um den Globus entwerfen Architekten Sakralgebäude, die diesen Kontrast reflektieren. Wie so oft liegt alles in den Details: Massive Bauten leuchten als wären sie aus Papier, warme Holzinterieurs werden mit Metallfassaden kombiniert und natürliche Elemente mit menschengeschaffenen Oberflächen. Die neuesten irdischen Sakralbauten evozieren Transzendenz und geben gleichzeitig Raum für Kontemplation.
Am Stadtrand der chilenischen Hauptstadt Santiago können bis zu 600 Besucher gleichzeitig auf den ledergeposterten Walnussholzbänken des Bahá’í Temple of South America in sich gehen. Das lichtdurchflutete Innere des vom kanadischen Büro Hariri Pontarini Architects gestalteten Tempels am Fusse der Anden ist komplett mit transluzentem Marmor verkleidet. Auf der Aussenhaut besteht jeder einzelne der neun identischen, blütenblattartigen Flügel aus 1129 unterschiedlichen Gussglaselementen. Zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang saugt der Tempel die breite Farbpalette des chilenischen Himmels auf. Nachts wirft das von innen beleuchtete Gebilde ein sanftes Glimmen gegen das Bergpanorma.
Eine leuchtende Kuppel aus blätterförmigen Gussglas-Elementen legt sich um das in Marmor und Nussholz gehaltene Innere des Bahá´í Tempels in Santiago de Chile. Fotos: Hariri Pontarini Architects (1, 3), S. Wilson León (2, 5), G. Wenborne (4)
Eine leuchtende Kuppel aus blätterförmigen Gussglas-Elementen legt sich um das in Marmor und Nussholz gehaltene Innere des Bahá´í Tempels in Santiago de Chile. Fotos: Hariri Pontarini Architects (1, 3), S. Wilson León (2, 5), G. Wenborne (4)
×Das chinesische Büro Archstudio realisierte einen Bau mit buddhistischem Schrein an einem flachen Bachlauf in Tangshan, Hebei (China). An diesem Ort der Kraft laufen die essentiellen Fäden des Lebens zusammen: Wasser und Erde, Spiritualität und Nahrung von den benachbarten Feldern. Für die in die Erde versenkten Räume setzten die Architekten auf Licht von oben. Das Konzept gleicht einer architektonischen Verästelung, die in fünf Funktionen mündet: Eingang, buddhistischer Meditationsraum, Teestube, Wohnzimmer und Bad. Natürliche Elemente wie Holz und Kies lockern die menschengemachten Materialien wie Beton, Zement und Terrazzo auf.
Der offene, tief mit der Erde verbundene doch lichtdurchflutete Bau mit buddhistischem Schrein in Tangshan, Hebei (China) verknüpft minimalistischen Lebensraum mit spiritueller Bestimmung, ausgedrückt in Form und Material. Fotos: Wang Ning, Jin Weiqi
Der offene, tief mit der Erde verbundene doch lichtdurchflutete Bau mit buddhistischem Schrein in Tangshan, Hebei (China) verknüpft minimalistischen Lebensraum mit spiritueller Bestimmung, ausgedrückt in Form und Material. Fotos: Wang Ning, Jin Weiqi
×Weniger organisch präsentiert sich Neri&Hus Kapelle im chinesischen Suzhou. Die äussere Hülle wurde als imposanter, leuchtend weisser Metallwürfel konzipiert und kontrastiert mit den nahezu labyrinthisch angelegten Gänge aus recycelten grauen Ziegelsteinen. Der warme, einladende Hauptraum ist komplett in Holz verkleidet und erinnert mit seinem Giebeldach an ein christliches Gotteshaus. Über eine Treppe gelangt man auf das Dach und kommt in den Genuss eines spektakulären Ausblicks auf den nahegelegenen See.
Kontrast. Das Aussen lässt das Innen nicht vermuten. Graue Ziegel und weisses Metall definieren Neri&Hus Kapellenkubus in Suzhou (China) von aussen; innen entfaltet sich ein fast klassisches Kirchenschiff aus Holz. Fotos: Pedro Pegenaute
Im Bregenzerwälder Krumbach (Österreich) beauftragte man die Bernardo Bader Architekten mit einem Neubau der Lourdes-Kapelle. Da der Vorgängerbau nicht mehr restaurierbar war, entschloss man sich für eine Neuinterpretation in Holz und Stein. Als Referenz an den historischen Bau übernahm man die Grundform, beschritt in der materiellen Ausformung jedoch neue Wege. Innen besticht die Homogenität des Materials ebenso wie der Ausblick von der weiss gestalteten Apsis in die umliegende Natur. Auf der Aussenseite kommuniziert die Holzverkleidung mit dem einsetzenden natürlichen Färbungsprozess den Beginn ihrer eigenen Tradition.
Wandlungsfähig. Die neu errichtete, in Holzschindeln gehüllte Lourdes-Kapelle nimmt den Grundriss ihrer Vorgängerin an gleicher Stelle auf. Als prägende Silhouette in der Landschaft ist sie der Witterung ausgesetzt. Fotos: Adolf Bereuter
Wandlungsfähig. Die neu errichtete, in Holzschindeln gehüllte Lourdes-Kapelle nimmt den Grundriss ihrer Vorgängerin an gleicher Stelle auf. Als prägende Silhouette in der Landschaft ist sie der Witterung ausgesetzt. Fotos: Adolf Bereuter
ש Architonic