Sia by Boss Design: ein Stuhl auf Nachhaltigkeitsmission

Die Nachricht, die gerade beim Schreiben aufblitzt, verheisst nichts Gutes: „Handeln Sie jetzt, sonst ist es zu spät.“ Der gerade veröffentlichte Lagebericht zur Klimakrise, der die Erkenntnisse der letzten Jahre zusammenfasst, ist Tausende von Seiten stark, doch sein Fazit ist simpel: Der anhaltende Anstieg der Treibhausgase treibt die globale Erderwärmung an einen Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt. Oder, um mit dem UN-Generalsekretär António Guterres zu sprechen: „Unsere Welt braucht Klimamassnahmen an allen Fronten: alles, überall, auf einmal.“

Das klingt ein wenig nach der Design-Vision, an der sich vielleicht einmal die Herstellung des multifunktionalen Arbeitsstuhls orientierte. Im Jahr 2023 ist der Anspruch an das Design eines Bürostuhls jedoch ein ganz anderer. Wichtiger als jede ausgefallene Funktionalität ist die Notwendigkeit, die negativen Auswirkungen auf die Umwelt zu verringern, wenn nicht gar zu vermeiden. „Man kann nicht nur an ein paar Äusserlichkeiten herumfeilen. Nachhaltigkeit muss in jeder Phase des Entscheidungsprozesses eine wesentliche Rolle spielen“, erklärt Mark Barrell, der Designdirektor von Boss Design, dem britischen Unternehmen, das seit 40 Jahren hochwertige und erschwingliche Büromöbel herstellt. Sia ist der neueste Arbeitsstuhl von Boss Design und sein Design das bislang nachhaltigste des Unternehmens. Die dahinterstehende Idee verändert nicht nur die Zusammensetzung des Stuhls, sondern auch das Geschäftsmodell des Unternehmens.

Ökologisch verantwortliches Handeln ist heute ein fester Bestandteil der Bürogestaltung. Wer Arbeitsumgebungen schafft, will den Kohlenstoffausstoss für Kunden und potenzielle Mieter reduzieren. Dabei wird von allen Elementen der Bürogestaltung erwartet, dass sie ihren Teil zur Verringerung des CO2-Fussabdrucks beitragen. Da kommerzielle Sitzmöbel in der Vergangenheit einen hohen Anteil an kohlenstoffhaltigen Kunststoffen aufwiesen, lange Lieferketten, einen hohen Energieverbrauch bei Prozessen wie dem Spritzguss und eine Lebensdauer von nur 7-8 Jahren hatten, ist die Anpassung von Arbeitsstühlen an die neuen Anforderungen kein leichtes Unterfangen. Einrichtungsmarken wetteifern darum, den Anteil an recyceltem Material zu erhöhen und den Energieaufwand auf jede nur erdenkliche Weise zu reduzieren. Einige entscheiden sich dafür, ihre Arbeitsstühle mithilfe von Kompensationsmassnahmen klimaneutral zu machen und sich so von ihren Mitbewerbern abzusetzen. Andere engagieren sich stärker für die Verlängerung der Lebensdauer eines Produkts. Dass der Nachhaltigkeitsnachweis solcher Produkte die Verbraucher:innen verwirren kann, ist nur zu gut verständlichlich.

Dieser ist, wie Barrell einräumt, äusserst komplex. „Ich hatte erwartet, dass eine der naheliegendsten Massnahmen darin bestünde, den Einsatz von Granulat aus recyceltem Material zu erhöhen – vor allem bei spritzgegossenen Kunststoffen. Wie sich jedoch herausgestellt hat, herrscht immer noch ein Mangel an qualitativ hochwertigem Granulat. Man kann also letztlich seinen CO2-Fussabdruck vergrössern, wenn man sich auf die Suche nach recyceltem Granulat macht und nicht neues verwendet, da dies Auswirkungen auf die Verarbeitung hat.“ Bis vor kurzem verwendete Boss hauptsächlich postindustrielle Kunststoffabfälle – wegen ihrer mechanischen Festigkeit. Nachdem man erkannte, dass es sich dabei im Grunde nur um neuen Kunststoff handelt, der es nicht durch die Maschine geschafft hat, hat man sich auf die weniger leicht verfügbare Post-Consumer-Variante verlegt. „Post-Consumer ist das Material, an dem wir interessiert sind – es hat eine Geschichte, die ihm auf seinem Weg durch den Herstellungsprozess und darüber hinaus hoffentlich einen Mehrwert verleiht.“

Die beste Quelle für hochleistungsfähigen Post-Consumer-Kunststoff fand Barrell in Italien, während das Vereinigte Königreich den Rest des Materialbedarfs von Sia deckt. Doch zunächst verschlankte Barrell das Profil des Stuhls, um den Materialbedarf insgesamt zu reduzieren. Der Gesamtanteil an recyceltem Material liegt bei 70,6 %; 43,1 % des Materials besteht aus recyceltem Kunststoff. Der gesamte Zuschnitt, das Nähen der Polster und das Stricken des Netzrückens erfolgen im Vereinigten Königreich.

Der Fussabdruck bei der Herstellung ist jedoch nur ein Teil der Gleichung: Ebenso wichtig ist es, die Langlebigkeit eines Möbelstücks durch zeitlose Ästhetik und Qualität zu gewährleisten und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass der Stuhl und seine Einzelteile recycelbar sind. Dies hat das Team von Barrell dazu bewogen, Sia als einen Stuhl zu entwerfen, der mit wenig mehr als einem Inbusschlüssel zerlegt werden kann, sodass er bei Nachbesserungen leicht mit Ersatzteilen und einer neuen Polsterung aufgearbeitet werden kann. Ausserdem kann bei seinem endgültigen Ausscheiden jedes Teil ein Nachleben als recyceltes Teil oder Post-Consumer-Material führen. Tatsächlich sind 99,4 % der Materialien von Sia recycelbar.

Das Angebot von Boss Design umfasst neuerdings nicht nur die Herstellung, sondern auch den Service. Das Unternehmen hat Stammkunden – eine Reihe von Banken zum Beispiel –, die sich nach Ablauf des 8-Jahres-Zyklus und bei der Wahl eines neuen Farbkonzepts an das Unternehmen wenden, um ihre Auffrischungsmassnahmen zu leiten. Boss Design arbeitet auch mit Waste to Wonder zusammen, einer Organisation, die ausrangierte Möbel überprüft und sie dorthin weiterleitet, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Denn wenn Handlungsbedarf besteht, dann an allen Fronten: alles, überall, auf einmal.

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