Dem Wesen der Dinge auf der Spur
Text von Caspar Schärer
Schweiz
08.07.08
Hannes Wettstein prägte das Schweizer Design der letzten zwanzig Jahre, ohne sich selber in den Vordergrund zu drängen. In der Nacht auf Samstag ist er 50-jährig einem Krebsleiden erlegen.
Hannes Wettstein prägte das Schweizer Design der letzten zwanzig Jahre, ohne sich selber in den Vordergrund zu drängen. In der Nacht auf Samstag ist er 50-jährig einem Krebsleiden erlegen.
Obwohl Hannes Wettstein seit Mitte der Achtzigerjahre erfolgreich Leuchten, Stühle und hunderte andere Dinge entworfen hat, waren seine Entwürfe nie so aufdringlich mit seinem Namen verbunden, wie das bei zeitgenössischen Designern inzwischen weit verbreitet ist. Sein Einfluss und sein Wirken im jüngeren Schweizer Design waren ungleich grösser als seine Eitelkeit. Er diente der Sache und vor allem den Benutzern seiner Produkte, denen er lieber präzise zu Ende gedachte Alltagsgegenstände überliess, anstatt sie mit einer extravaganten Form zu belästigen.
Das heisst nicht, dass Wettstein nicht an Formen interessiert war, auch wenn er selbst eine eigene formalen Handschrift stets bestritt. Gerade in einem seiner aktuellen Projekte ist Wettstein durchaus erkennbar: Die sieben Setdesigns, die er für das Schweizer Fernsehen entwickelte, zeichnen sich durch eine leicht unterkühlte und sachliche Formensprache aus, der die weit ausholende Geste nicht fremd ist. Die Kommandozentrale der «Tagesschau» und das schlichte Design der «Meteo»-Dachaufbauten flimmern täglich in Hunderttausende Wohnstuben und prägen das Bild einer modernen, coolen, aber auch traditionsbewussten Sendeanstalt.
Der Werdegang Hannes Wettsteins zu einem der profiliertesten Gestalter der Schweiz mit internationaler Ausstrahlung war keineswegs vorgezeichnet und ist hauptsächlich seiner eigenen Beharrlichkeit und nie erlahmenden Neugier zu verdanken. Als Hochbauzeichner stiess er durch autodidaktische Weiterbildung in den geschlossenen Zirkel der Designer vor und machte sich 1982, im Alter von 24 Jahren, selbständig. Seine aussergewöhnliche Karriere begann mit einer Erfindung, die später Millionenfach kopiert werden sollte. Das Beleuchtungssystem «Metro» für Belux erlaubt die freie Positionierung von kleinen, leuchtstarken Lampen auf zwei parallelen Drahtseilen. Da die Lichtquellen den Strom aus den Drähten beziehen, sind sie nicht mehr auf eine Verbindung zur Decke angewiesen.
Schon früh konnte Wettstein eigene Entwürfe bei renommierten italienischen Möbelherstellern unterbringen. Der Stuhl «Juliette» für Baleri Italia - ein denkbar einfaches Design aus dünnem Stahl und mit einer angenehm gerundeten Rückenlehne - wurde umgehend zum Klassiker und begründete den Ruf seines Schöpfers. Im Laufe der folgenden Jahre baute Wettstein sein Portfolio Stück für Stück aus und entwickelte ein breites Interesse an allen möglichen Dingen. Neben unzähligen Möbeln war er vor allem auch im Bereich des Produktedesigns ungemein aktiv, gestaltete unter Anderem Kugelschreiber für Lamy, Feldstecher für Carl Zeiss, Lautsprecherboxen für Piega und ein Fahrrad für Velobaze.
Wettstein ging mit offenen Augen durch die Welt, an der er mitformte und versuchte immer wieder aufs Neue, das innerste Wesen der Dinge zu ergründen. «Ich frage weniger nach den Gegenständen, die es zu gestalten gilt, als vielmehr nach den Lebensformen», hat er einmal gesagt. Diese auf ihre eigene Art radikale Arbeitsweise erforderte weit mehr als nur den oberflächlichen Blick und das Schielen auf Trends. Hannes Wettstein setzte die Trends selber, indem er mitunter jahrelang an einem Material, oder einer Technik forschte, um schliesslich in einer Synthese zu einem wahren Prototyp, einer neuen Typologie zu gelangen.
Bei aller grundsätzlichen Analyse- und Forschungsarbeit verfolgte Wettstein nie ein Dogma, weder gestalterische noch gesellschaftliche. Er zwang niemandem etwas auf, sondern liess die Dinge für sich sprechen, versah sie mit einer unerschütterlichen Selbstverständlichkeit, die bei jedem neuen Entwurf aufs Neue überraschte. Und er schaffte es, den weiten Bogen vom einzelnen Produkt bis zum Innenraum zu spannen. In den letzten Jahren häuften sich Aufträge für integrale Raumkonzepte, wie zum Beispiel für die Bijouteriekette Kurz, für den Novartis-Campus in Basel oder für den Prime Tower in Zürich, das künftig höchste Hochhaus der Schweiz. Es wäre noch viel zu tun gewesen für Hannes Wettstein, doch am letzten Wochenende wurde er abrupt und viel zu früh im Alter von erst 50 Jahren aus dem Leben gerissen.