Das Bauhaus, die deutsche Designschule der Zwischenkriegszeit, die massgeblichen Einfluss auf die späteren Entwicklungen in Kunst, Architektur, Produktdesign und Typografie hatte, war eine komplexe und widersprüchliche Ideenschmiede.

Die Frauen aus der Bauhausweberei auf der Treppe des Bauhaus´. Foto: T Lux Feininger Bauhaus-Archiv Berlin/ © Nachlass von T Lux Feininger

ANNI ALBERS UND DIE VERGESSENEN FRAUEN DES BAUHAUS | Aktuelles

Die Frauen aus der Bauhausweberei auf der Treppe des Bauhaus´. Foto: T Lux Feininger Bauhaus-Archiv Berlin/ © Nachlass von T Lux Feininger

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Unter dem Einfluss der Moderne und ihrer Abkehr von der künstlerischen Tradition sowie dem Bekenntnis zu einer sozialdemokratischen Zukunft, die von guter, funktionaler Gestaltung unterstützt wurde, war das Bauhaus in ästhetischer Hinsicht zukunftsweisend. In praktischer Hinsicht war die Schule, die 1933 unter dem Druck der Nationalsozialisten schliessen musste, jedoch alles andere als sozial progressiv.

Vom Architekten Walter Gropius 1919 als eine Art Gesamtkunstwerk aus Kunst, Architektur und Gestaltung gegründet, behandelte die Schule diese Fächer theoretisch auf nicht-hierarchische Weise. Praktisch hingegen erachtete das Bauhaus die Architektur als Königsdisziplin, auch wenn es erst 1927 eine Architekturabteilung einrichtete.

Anni Albers' Wandbild von 1926, ist typisch für den präzisen, geometrischen Stil des Bauhauses. © Die Josef und Anni Albers Stiftung / Artists Rights Society ARS

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Anni Albers' Wandbild von 1926, ist typisch für den präzisen, geometrischen Stil des Bauhauses. © Die Josef und Anni Albers Stiftung / Artists Rights Society ARS

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Knot von 1947 ist ein Beispiel für Albers' innovativste Arbeiten. © The Josef and Anni Albers Foundation/ Artists Rights Society ARS

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Knot von 1947 ist ein Beispiel für Albers' innovativste Arbeiten. © The Josef and Anni Albers Foundation/ Artists Rights Society ARS

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Ihr Manifest aus dem Jahr 1919 hiess „jede unbescholtene Person ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht“ willkommen, und in jenem Jahr bewarben sich mehr Frauen als Männer. Bezeichnenderweise bestand Gropius darauf, dass an der Schule nicht zwischen „dem schönen und dem starken Geschlecht“ unterschieden werde. Und während das Bauhaus Frauen einen noch nie dagewesenen Zugang zur künstlerischen Ausbildung bot, waren am ersten Sitz der Schule in Weimar nur 6 von 45 Lehrkräften Frauen.

„Bei aller Rhetorik war das Bauhaus nie das Paradies der Gleichberechtigung, das Gropius anfangs befürwortete“, betont Libby Sellers, Designkuratorin und Autorin des Buches Women Design (Frances Lincoln). „Aus Angst vor den Folgen, die Frauen auf das berufliche Ansehen der Schule bei der Industrie haben konnten, schränkte Gropius nicht nur die Zahl der zugelassenen Frauen ein, sondern die immer weniger werdenden Studentinnen wurden zudem in die angeblich eher für Frauen geeigneten Gebiete wie Bildende Kunst, Keramik und die Weberei gelenkt.“

„Historiker und Kommentatoren der Zeit, die unbedingt die Liebesaffäre der Moderne mit Architektur und Industriedesign betonen wollten, taten dies häufig auf Kosten anderer Fächer“, fügt sie hinzu. „Entsprechend wurden viele DesignerInnen, die in den Bereichen Textilien, Keramik, Bühne und Innenarchitektur arbeiteten, häufig übersehen.“

Neben Sellers hat die deutsche Wissenschaftlerin Ulrike Müller in ihrem Buch Bauhausfrauen. Meisterinnen in Kunst, Handwerk und Design (Suhrkamp, komplett überarbeitete und aktualisierte Neuausgabe 2019) diese selten behandelte Ungleichheit offengelegt. Während zahlreiche Männer am Bauhaus – darunter der Architekt Ludwig Mies van der Rohe, der die Schule von 1930 bis 1933 leitete, der Künstler Paul Klee, der Maler und Fotograf László Moholy-Nagy und der Möbeldesigner Marcel Breuer – heute als Design-Titanen gelten, sind ihre Kolleginnen relativ unbekannt.

Anni Albers' Webkunst war enorm innovativ, obwohl die Materialien nicht ihre erste Wahl als Designmedium waren. © Die Josef und Anni Albers Stiftung / Artists Rights Society ARS

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Anni Albers' Webkunst war enorm innovativ, obwohl die Materialien nicht ihre erste Wahl als Designmedium waren. © Die Josef und Anni Albers Stiftung / Artists Rights Society ARS

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Ein handgeknüpfter Wollteppich von Albers, 1959 entworfen, ist eines der Exponate der Tate-Ausstellung. © Die Josef und Anni Albers Stiftung / Artists Rights Society ARS

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Ein handgeknüpfter Wollteppich von Albers, 1959 entworfen, ist eines der Exponate der Tate-Ausstellung. © Die Josef und Anni Albers Stiftung / Artists Rights Society ARS

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Die berühmteste ist Gunta Stölzl, die von 1926 bis 1931 die Weberei leitete. Ein weiterer Name ist Anni Albers, die 1931 die Leitung der Weberei übernahm. Albers (geborene Fleischmann), eine gebürtige Berlinerin jüdischer Abstammung, war typisch für die Absolventinnen der Schule. Für diese unabhängige, ehrgeizige Künstlerin und Designerin war das Studium am Bauhaus ein Akt der Rebellion gegen ihre konventionelle, wohlsituierte Familie. Am Bauhaus wurde ihr jedoch der Eintritt in die Glaswerkstatt verwehrt, an der sie zu studieren hoffte. Obwohl sie nur widerwillig in der Weberei begann, entwickelte sie sich zu einer wegweisenden Textildesignerin.

Unterdessen gelangte die androgyne Marianne Brandt, die als erste Frau in die Metallwerkstatt des Bauhaus aufgenommen wurde, mit ihrer kommerziell erfolgreichen, legendären Nachttischlampe Kandem aus den 1920er-Jahren und ihren vom Konstruktivismus inspirierten Kaffeeservices zu Bekanntheit.

Im Jahr 1933 flüchtete Albers aus dem nationalsozialistischen Deutschland und zog mit ihrem Mann, dem Maler Josef Albers, in die USA, wo der Architekt Philip Johnson sie als Dozenten an das avantgardistische Black Mountain College in North Carolina einlud. Hier studierten Berühmtheiten wie der Künstler Robert Rauschenberg und der Architekt Buckminster Fuller. 1949 fand Anni Albers weitere Anerkennung, als ihr das New Yorker Museum of Modern Art als erster Designerin eine Einzelausstellung widmete; zu den Auftraggebern ihrer Textilien zählten Firmen wie Knoll und Rosenthal.

Die Entwürfe von Gunta Stölzl wurden auf Teppichen von Christopher Farr Cloth reproduziert. © Christopher Farr

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Die Entwürfe von Gunta Stölzl wurden auf Teppichen von Christopher Farr Cloth reproduziert. © Christopher Farr

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Trotz aller Unzulänglichkeiten des Bauhaus gefiel Albers sein radikal innovativer Unterricht. Sie selbst war sehr von Klee beeinflusst, der das Zeichnen bekanntlich als „aktive Linie, die sich frei ergeht, ein Spaziergang um seiner selbst willen, ohne Ziel“ beschrieb. Ihr eigener, ähnlich unbekümmerter Ansatz schwankte zwischen der Bildenden Kunst und ambitioniert monumentalen, funktionalen Werken, die in architektonischen Kontexten zum Einsatz kamen.

Die 1994 verstorbene Albers war darüber hinaus eine leidenschaftliche Verfechterin des Webens, wie ihre Bücher On Weaving und On Designing zeigen. Aktuell präsentiert die Tate Modern eine grosse Ausstellung ihrer Arbeiten, in der auch ihre experimentellen Grafiken und Zeichnungen zu sehen sind.

Die Ausstellung zeigt ebenfalls Beispiele für Albers Webbilder, die sogenannten „pictorial weavings“, die sie von den 1930er-Jahren bis in die 1960er-Jahre kreierte und die oftmals von Reisen des Ehepaars nach Mexiko, Peru und Chile beeinflusst waren. Ihr Ziel sei gewesen, „die Fäden von allein eine Form finden zu lassen, die keinen anderen Zweck hat als ihre eigene Orchestrierung, nicht das darauf Sitzen, nicht das darauf Gehen, nur das Betrachtetwerden“.

„Albers interessierte sich sehr für Architektur und ihre Beziehung zu Textilien“, erklärt die Kuratorin der Ausstellung, Ann Coxon. „1928 begann sie mit der Arbeit an einem riesigen, schallabsorbierenden, lichtreflektierenden Gewebe aus Zellophan und Chenille für das Auditorium der von Hannes Meyer entworfenen Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes ADGB. Ein Stück dieses Stoffes ist in der Ausstellung zu sehen. Jahre später erklärte Albers in ihrem Aufsatz ‚The Pliable Plane’ aus dem Jahr 1957, alle primitiven Formen der Architektur wie Zelte und Jurten beruhten auf Textilien.“

Eclat, (1974) ein Siebdruck auf gewebtem Stoff, zeigt Albers' kühnen Umgang mit Farbe. © Die Josef und Anni Albers Stiftung / Artists Rights Society ARS

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Eclat, (1974) ein Siebdruck auf gewebtem Stoff, zeigt Albers' kühnen Umgang mit Farbe. © Die Josef und Anni Albers Stiftung / Artists Rights Society ARS

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1971 gründete das Paar die Josef and Anni Albers Foundation, die seit langem mit der britischen Teppich- und Stofffirma Christopher Farr Cloth zusammenarbeitet, welche Textilien aus dem Archiv der Stiftung neu interpretiert. Einer dieser Stoffe, Orchestra, der zeitgleich zur Ausstellung neu aufgelegt wurde, ist bezeichnend für Annis spielerischen Ansatz: Inspiriert von Annis Kindheitsbesuchen in der Berliner Oper, entstand sein Muster durch das Zerschneiden von auf Stoff gemalten Streifen in Rautenformen, die zu einem scheinbar zufälligen Muster neu zusammengefügt wurden.

„Brillante junge Frauen fühlten sich vom Bauhaus unter der Leitung von Gropius angezogen, weil sie davon träumten, Architektinnen zu werden. Dann allerdings beschied man ihnen zu Unrecht, dass das Weben die einzig angemessene Fachrichtung für Frauen sei“, erklärt Farr, dessen Unternehmen seit 1997 auch Teppiche von Gunta Stölzl reproduziert. „Der Verlust für die Architektur war jedoch ein Gewinn für die Textilien und, wie sich herausstellte, ein gewaltiges Geschenk an die Textilien des 20. Jahrhundert. Anni Albers sicherte er einen festen Platz in den führenden Reihen der berühmten Modernisten.“

Dieser Artikel wurde erstmals auf BBC Designed veröffentlicht

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