Feuer und Flamme
Text von Dominic Lutyens
London, Großbritannien
18.11.14
Feuerstellen waren einst pure Notwendigkeit: vom prähistorischen Zeitalter bis hinein ins 19. Jahrhundert sicherten sie uns Licht, Wärme und die Möglichkeit, Lebensmittel zuzubereiten. Man könnte meinen, dass sie im Zeitalter der Zentralheizung überflüssig geworden sind. Doch hat sich das Bedürfnis nach einem Ort, an dem man in den eigenen vier Wänden ein Feuer entfachen kann, nie ganz verflüchtigt. So ändern sich die Zeiten – erfüllten Feuerstellen früher rein funktionale Zwecke, gelten sie heute als unnötiger, wenn auch höchst romantischer Luxus.
Die zeltartige Holzkonstruktion des Büros Haugen Zohar schützt eine Feuerstelle. Recyceltes Holz ist in konzentrischen, sich nach oben verjüngenden Kreisen übereinander gestapelt, so dass der Feuerschein in der Nacht leuchtet; Foto: Jason Havneraas
Die zeltartige Holzkonstruktion des Büros Haugen Zohar schützt eine Feuerstelle. Recyceltes Holz ist in konzentrischen, sich nach oben verjüngenden Kreisen übereinander gestapelt, so dass der Feuerschein in der Nacht leuchtet; Foto: Jason Havneraas
×Sie sind Blickfang in Wohnzimmern, Hotels und sogar in ultramodernen Büros und die Gründe für ihren ungebrochenen Reiz sind vielschichtig: In erster Linie erinnern sie an die offenen Feuer unserer urzeitlichen Vorfahren, die damals in einfachen, in die Mitte der Höhle oder Hütte gegrabenen Gruben entzündet wurden. Im Mittelalter erleuchteten sie bereits die gemauerten Innenwände stabiler Häuser. Genau wie in den „guten alten Zeiten“, als man sich am Kamin Geschichten erzählte oder sich um ein Lagerfeuer versammelte, deuten Architekten heute Kaminöfen als Drehscheibe sozialer Kommunikation.
Dabei ist die Bewunderung der dramatisch inszenierten, überdimensionierten Kamine aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, wie sie zum Beispiel die Bösewichte in James-Bond-Filmen besassen, zweifellos eine relevante Quelle der Inspiration. Erinnern Sie sich an den monumentalen Kaminsturz aus Stahlblech von Auric Goldfinger, dessen Holz getäftelter Partykeller Anklänge an John Lautner zeigte? Für viele Architekten besteht die Attraktivität von Kaminen und Kaminöfen vor allem in ihrer theatralen und skulpturalen Wirkung sowie darin, dass sie Räumen einen gewichtigen optischen Schwerpunkt verleihen können.
Die enge Verbindung zwischen Feuer und Natur wird durch dieses frei hängende Kaminmodell im von Snøhetta realisierten norwegischen Wildrentierzentrum unterstrichen. Die durchgehende Fensterfront gibt den Blick frei auf Rentiere und die Landschaft
Die enge Verbindung zwischen Feuer und Natur wird durch dieses frei hängende Kaminmodell im von Snøhetta realisierten norwegischen Wildrentierzentrum unterstrichen. Die durchgehende Fensterfront gibt den Blick frei auf Rentiere und die Landschaft
×Auf der diesjährigen Biennale in Venedig stellte Rem Koolhaas eine Publikationsreihe mit dem Titel „Elements“ vor, die 15 archetypische Grundbausteine der Architektur untersucht. Die Tatsache, dass auch Kamine zu diesen Elementen gezählt werden, ist Beleg für ihre Relevanz in der zeitgenössischen Architektur. Der Band über Kamine und Kaminöfen taucht tief in die reiche Mythologie des Phänomens Feuer ein. Der Legende nach zog Prometheus, als er den Göttern das Feuer raubte und es den Menschen zusammen mit der Schrift, Mathematik, Wissenschaft und Medizin brachte, den Zorn der Götter auf sich. Feuer könne, so die Autoren, deshalb als Symbol für Aufklärung, Zivilisation und technischen Fortschritt verstanden werden.
Darüber hinaus enthält die Publikation eine umfassende Entwicklungsgeschichte der Feuerstelle, die durch die Jahrhunderte immer wieder von neuen Technologien verdrängt zu werden drohte: Gekocht wurde quasi über Nacht auf dem Herd und zur Lichterzeugung stieg man auf elektrische Lampen um. Geschichten wurden nicht länger am Lagerfeuer erzählt, sondern im Radio, im TV und am Laptopbildschirm. Auch wird erwähnt, dass in den 1980er Jahren die meisten Häuser in den Vereinigten Staaten ohne einen Kamin gebaut wurden. Doch schon seit den 1990ern kehren Kamine als Luxusobjekte zurück und damit ein Trend, dem auch Sorgen um Feinstaubemissionen und Treibhausgase keinen Einhalt gewähren.
Der vom Feuerschein erleuchtete Pavillon. Die enge Verbindung zwischen Gebäude und Natur erweist sich nicht nur in der besonderen Gestalt des Kamins, sondern auch in der geschwungenen Form der Holzbänke und höhlenartigen Auskleidung des Innenraums
Der vom Feuerschein erleuchtete Pavillon. Die enge Verbindung zwischen Gebäude und Natur erweist sich nicht nur in der besonderen Gestalt des Kamins, sondern auch in der geschwungenen Form der Holzbänke und höhlenartigen Auskleidung des Innenraums
×Wer nun glaubt, Architekten täten den Kamin als reinen Firlefanz ab, irrt. Im radikal offen konzipierten „Glass House“ (1949) von Philip Johnson ist das einzige gemauerte Strukturelement der Backsteinzylinder, der neben der Nasszelle auch den Kamin beherbergt. Letzterer fügt sich erstaunlich organisch in den Raum ein. Auch Frank Lloyd Wright, der erheblichen Einfluss auf die Architekten der Moderne hatte, liess 1935 in seinem Haus „Fallingwater“ einen Kamin einbauen, dessen Bedeutung er dadurch unterstrich, dass er den Schornstein zum höchsten Punkt des Hauses machte. Eingelassen in die Natursteinwand des Kamins hängt eine riesige Kugel, die sich über die Glut schwenken lässt, um darin Glühwein zu erhitzen. Ein Beleg dafür, dass für Wright der Kamin der zentrale Ort war, an dem die Familie zusammen kam.
Fallingwater war ein Experiment, in dem Natur und Architektur eine Einheit bilden sollten. Der Kamin unterstreicht durch die Einarbeitung einer natürlichen Felsformation in den Fussboden ein ewiges Thema von Feuerstellen: ihre Nähe zur Natur und zu den Elementen.
Eine etwas urbanere Interpretation des Kaminthemas findet sich im Lounge-Bereich des Büros von Giant Pixel. Hier erzeugt der Kamin ein 1960er-Retro-Ambiente, das sich nahtlos in die Industrie-Ästhetik der Räume einfügt; Foto: Jasper Sanidad
Eine etwas urbanere Interpretation des Kaminthemas findet sich im Lounge-Bereich des Büros von Giant Pixel. Hier erzeugt der Kamin ein 1960er-Retro-Ambiente, das sich nahtlos in die Industrie-Ästhetik der Räume einfügt; Foto: Jasper Sanidad
×Ein aktuelleres Beispiel für dieses intrinsische Merkmal ist eine überdachte Feuerstelle, die für einen Kindergarten im norwegischen Trondheim entworfen wurde: eine Art „Holzzelt“, das sich kaminartig nach oben verjüngt. Die Form geht auf die traditionellen Hütten aus Torf oder Baumstämmen zurück und als Material wurde recyceltes Holz verwendet. Der Sockel besteht aus Beton, zudem hat die Feuerhütte ein Abzugsloch. „Wir wollten den Kindern nicht nur die üblichen Spielgeräte anbieten, sondern auch einen Ort, an dem sie Feuer machen, einander Geschichten erzählen und miteinander spielen können“, so die Architekten Marit Justine Haugen und Dan Zohar des Architekturbüros Haugen Zohar in Oslo.
Der frontverglaste Pavillon des norwegischen Wildrentierzentrums nahe dem Dovrefjell Nationalpark wurde vom Architekturbüro Snøhetta realisiert. Das an der Decke aufgehängte (und dadurch äusserst Platz sparende) Kaminofenmodell „Gyrofocus“ von Focus greift visuell ein Gefühl der Ursprünglichkeit auf. Gewärmt durch diesen Kaminofen, der bis zu 6 kW Wärme produziert, können die auf sanft geschwungenen, breiten Holzbänken sitzenden Besucher in aller Ruhe die frei durch die mondartige Landschaft ziehenden Rentierherden beobachten. Die organische Form des Kamins schlägt eine explizite Brücke zum Standort des Pavillons inmitten der Natur.
Die Kurvensilhouette und natürlichen Materialien dieses Kamins (Porzellan, Putz, Basalt und Kalkstein) sind die wichtigsten Trümpfe in dem von Jouin Manku gestalteten Interieur der Lounge des Hotels Bayerischer Hof in München
Die Kurvensilhouette und natürlichen Materialien dieses Kamins (Porzellan, Putz, Basalt und Kalkstein) sind die wichtigsten Trümpfe in dem von Jouin Manku gestalteten Interieur der Lounge des Hotels Bayerischer Hof in München
×Ein weiterer „hängender“ Kamin befindet sich in San Francisco im Büro der Softwarefirma Giant Pixel, dessen Gestaltung dem Studio O+A anvertraut wurde und das durch ein gänzlich anderes Ambiente besticht. Diesmal ausgeführt in glattem, glänzendem Metall, schwebt der Kaminkörper über einem hochflorigen Teppich in einem gemütlichen Lounge-Bereich und fügt sich mit seinem 1960er Jahre Retro-Look perfekt in ein Interieur, das mit Möbeln von Ray und Charles Eames und George Nelson ausgestattet ist. Al McKee, Marketing Coordinator von Studio O+A: „Wir vertreten den Standpunkt, dass Lounge-Bereiche in Büros grundsätzlich mit allem häuslichem Komfort ausgestattet sein sollten, und da gehört der Kamin einfach dazu.“
Nicht alle modernen Kamine setzen auf Imposanz und Dramatik. Dieser vom Studio sandellsandberg entworfene Kamin für ein Haus in einem schwedischen Fischerdorf besticht eher durch seinen Minimalismus und die auf Funktion beschränkte Ästhetik
Nicht alle modernen Kamine setzen auf Imposanz und Dramatik. Dieser vom Studio sandellsandberg entworfene Kamin für ein Haus in einem schwedischen Fischerdorf besticht eher durch seinen Minimalismus und die auf Funktion beschränkte Ästhetik
×Einen ebensolchen Blickfang und Magneten für sozialen Austausch bietet der Kamin im „Dominey Pavillon“ von Lightroom Studio, einer pergolaartigen Holzkonstruktion, die um einen Baum herum gebaut wurde. Eine gemauerte, grau verputzte Feuerstelle begrenzt dieses „Draussenwohnzimmer“ an einer Seite, die anderen drei sind zum Garten hin offen und mit einer Sofagarnitur ausgestattet. Auch dieser Kamin greift den üblichen Dialog mit der Natur auf: Die Architekten liessen sich einerseits durch die Tradition frei stehender Kamine des Georgianischen Baustils inspirieren und andererseits durch Frank Lloyd Wrights Liebe zu rustikalen Feuerstellen. Und die Auftraggeber der Architekten sind Fans der „Case Study Houses“ aus den 1940er Jahren, in denen die Grenzen zwischen Innen und Aussen bewusst aufgehoben werden.
Eine weitere ungewöhnliche und zugleich ungewöhnlich grosse und skulpturale Interpretation des Themas ist die des französischen Design Studios Jouin Manku im sechsten Stock des Hotels Bayerischer Hof in München. Die den Kamin kreisförmig einfassenden Lederbänke tragen hier wesentlich zur Lounge-Atmosphäre bei. Inspiriert vom Blick durch ein grosses Panoramafenster auf die bayerische Alpenkulisse, strebten die Architekten danach, eine Art „natürliches Landschaftsbild im Gebäudeinneren“ entstehen zu lassen. Die extravagante, organische Ästhetik dieses Kamins wird durch die weiss verputzte Oberfläche, Porzellanfliesen und einen Sockel aus Basalt und Kalkstein unterstrichen.
Dieser eindrucksvolle Kamin in einer Privatresidenz in der Stadt Bridgehampton im US-Bundesstaat New York verknüpft das Funktionale mit skulpturaler Ästhetik: Er ist mit Bronze verkleidet und erinnert somit an eine Plastik; Foto: Bates Masi + Architects
Dieser eindrucksvolle Kamin in einer Privatresidenz in der Stadt Bridgehampton im US-Bundesstaat New York verknüpft das Funktionale mit skulpturaler Ästhetik: Er ist mit Bronze verkleidet und erinnert somit an eine Plastik; Foto: Bates Masi + Architects
×Wegen seiner skulpturalen Wirkung und innenarchitektonischen Relevanz nicht weniger eindrucksvoll ist der vom Architekturstudio Bates Masi + Architects entworfene, mehrere Meter hohe Kaminsturz in einer Privatresidenz in der Stadt Bridgehampton im US-Bundesstaat New York. Die Konstruktion ist tragend, wodurch dem Wohn- und Essbereich mehr Fläche zukommt. Doch auch der dekorative, skulpturale Aspekt kommt nicht zu kurz: An der Aussenseite ist der Kamin in dunkler Bronze gehalten, das Metall an der Innenseite wurde hingegen hell aufpoliert und glänzt im durch ein Deckenfenster einfallenden Licht.
Im Gegensatz dazu wird in einem vom Büro sandellsandberg gestalteten Haus im schwedischen Fischerdorf Kivik das brennende Feuer in einen Betonquader eingeschlossen. Ein Design, das durch seinen Minimalismus, schnörkellose Linien und ästhetische Strenge besticht. Dabei erfüllt der von zwei Seiten zugängliche Kaminblock eine einfache, doch architektonisch intelligente Doppelfunktion: er fungiert als Raumteiler, der Wohn- und Essbereiche zwar optisch voneinander trennt, aber dennoch gleichzeitig warmhält.
Das von Richard Lindvall gestaltete Interieur eines Restaurants in Stockholm verfügt über einen mit Kupferblech verkleideten Kaminsturz, der durch seine Farbgebung die Wärme und den Glanz von Feuer evoziert
Das von Richard Lindvall gestaltete Interieur eines Restaurants in Stockholm verfügt über einen mit Kupferblech verkleideten Kaminsturz, der durch seine Farbgebung die Wärme und den Glanz von Feuer evoziert
×Im polnischen Restaurant Nazdrowje in Stockholm hat der schwedische Designer Richard Lindvall den Kamin mit Kupferblech verkleidet, das durch seine orangerote Farbe feurige Glut assoziieren lässt. Das Ambiente des ehemaligen Parkhauses ist mit seinen kantigen Betonwänden und weissen Fliesen vorwiegend von Industrie-Ästhetik geprägt. Lindvall, der sich auf Reisen durch Polen von dortigen Fabriken inspirieren liess, wollte mit der einladend wirkenden Textur des Kaminsturzes bewusst einen Kontrast erzeugen. „Ich wollte dieser Zone eine warme Note verleihen, die sich vom allgegenwärtigen Beton abhebt“, erklärt er.
Es steht ausser Frage, dass das neu entfachte Interesse für Kamine mehr als nur ein kurzes Aufflackern einer jahrtausendealten Faszination fürs Feuer ist.