Smart bevor es smart gab: die Frankfurter Küche
Text von Jaime Heather Schwartz
Berlin, Deutschland
24.09.18
Vor der intelligenten Küche gab es die standardisierte Küche. Niemand hat das Bild dieses wichtigsten aller Wohnräume mehr geprägt als Margarete Schütte-Lihotzky mit ihrem Projekt der Frankfurter Küche aus dem Jahr 1926.
Prototyp der modernen Einbauküche: die Frankfurter Küche ist ein legendäres Beispiel für die Rationalisierungsbestrebungen der Moderne
Prototyp der modernen Einbauküche: die Frankfurter Küche ist ein legendäres Beispiel für die Rationalisierungsbestrebungen der Moderne
×Sie war die erste Österreicherin, die ein Architekturstudium abschloss: Margarete Schütte-Lihotzky. Und sie war die Urheberin der sogenannten Frankfurter Küche, die sie während ihrer Anstellung als Expertin für Küchen in der Abteilung Typisierung des Frankfurter Hochbauamts 1926 für die Wohnsiedlungen des Neuen Frankfurt entwarf. Schütte-Lihotzky richtete ihre Küche an den Grundsätzen des Bauhauses aus und strebte einen rationellen, wirtschaftlichen Raum an, dessen Form und Funktion perfekt aufeinander abgestimmt waren.
Die Frankfurter Küche war bewusst blau gestaltet, um Fliegen fernzuhalten. Dazu kamen häufig gelbe Wandkacheln und Solnhofer Schieferplatten als Fußboden, die sich von dem schwarzem Linoleum und den Arbeitsplatten aus Buche abhoben
Die Frankfurter Küche war bewusst blau gestaltet, um Fliegen fernzuhalten. Dazu kamen häufig gelbe Wandkacheln und Solnhofer Schieferplatten als Fußboden, die sich von dem schwarzem Linoleum und den Arbeitsplatten aus Buche abhoben
×Mit der Ästhetik der Moderne, die alle unnötigen Designelemente beseitigen und Gegenstände auf das Wesentliche reduzieren wollte, paarte sich der Wunsch nach Selbstoptimierung. Angeregt durch Christine Fredericks Buch „The New Housekeeping: Efficiency Studies in Home Management“ von 1913 setzte sich Schütte-Lihotzky zum Ziel, den damals primär in der Küche Wirkenden – Frauen – die Arbeit zu erleichtern. Als Grundlage diente ihr F.W. Taylors System der „wissenschaftlichen Betriebsführung“, um Arbeitsprozesse in der Küche zu analysieren, Zeit- und Bewegungsstudien durchzuführen, Gespräche mit den zukünftigen Mietern zu führen und somit größtmögliche Effizienz zu gewährleisten.
Oberste Maxime der Frankfurter Küche war die Zeit- und Arbeitsersparnis. Die Küche ermöglichte nicht nur aneinander anschließende Arbeitsgänge, sondern war auch so schmal, dass man sich für den nächsten Arbeitsschritt nur umzudrehen brauchte
Oberste Maxime der Frankfurter Küche war die Zeit- und Arbeitsersparnis. Die Küche ermöglichte nicht nur aneinander anschließende Arbeitsgänge, sondern war auch so schmal, dass man sich für den nächsten Arbeitsschritt nur umzudrehen brauchte
×Neben geringeren Kosten versprach die Frankfurter Küche effizientere Arbeitsabläufe und sparte wie in einer Fabrik Zeit und Arbeit. Mit ihrer reduzierten Größe und verbesserten Funktionalität sorgte ihre Anordnung für nahtlose Arbeitsabläufe und verwandelte die Küche gewissermaßen in ein Labor statt in einen Wohnraum. Anstatt an der Spüle zu stehen, bekamen Frauen einen Arbeitstisch und einen Drehhocker. Statt auf verschmutzten Arbeitsflächen zu lagern, konnten Lebensmittel nun in Schränken mit modularen Aluminiumschütten aufbewahrt werden. Und dank ihrer neuen „intelligenten“ Küchen konnten Frauen mehr Zeit und Energie auf andere Dinge innerhalb oder außerhalb des Hauses verwenden.
Holzschränke boten optimalen Stauraum; in den Betonsockeln sammelte sich kaum Schmutz. Die Küchen waren zudem mit einem ausklappbaren Bügelbrett und belüfteten Schränken ausgestattet, damit Töpfe und Pfannen vollständig trocknen konnten
Holzschränke boten optimalen Stauraum; in den Betonsockeln sammelte sich kaum Schmutz. Die Küchen waren zudem mit einem ausklappbaren Bügelbrett und belüfteten Schränken ausgestattet, damit Töpfe und Pfannen vollständig trocknen konnten
×Zwischen 1926 und 1930 wurden rund 10.000 Küchen in drei verschiedenen Versionen in den unterschiedlich großen Wohneinheiten der Siedlungen des Neuen Frankfurt realisiert. Nachbildungen sind heute in verschiedenen Museen zu sehen, darunter dem MAK in Wien und dem Museum Angewandte Kunst in Frankfurt.
Die Frankfurter Küche war nur ein Beispiel dafür, wie Frauen in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg von der Hausarbeit entlastet wurden; sie war somit auch ein Beitrag zur Emanzipation.
© Architonic
Bildnachweise:
Foto 1 – Die Frankfurter Küche © Stadt Frankfurt am Main
Fotos 2–3 – Reinhard Wegmann, Frankfurt am Main; Archiv der ernst-may-gesellschaft e.v., Frankfurt am Main
Fotos 4–6 – Die Frankfurter Küche in der Dauerausstellung 'Elementarteile. Aus den Sammlungen' im Museum Angewandte Kunst, 2017 Fotos: Anja Jahn © Museum Angewandte Kunst