Bahnbrechende Balkone: Sechs Gründe nach draussen zu treten
Text von James Wormald
22.02.22
Balkone mit Sonnenschutz bieten den Bewohnern eine grossartige Aussicht auf die Landschaft, bieten aber auch zahlreiche andere Vorteile ...
Balkone müssen sich nicht an ein Gebäude anschmiegen. Die miteinander verbundenen Gehwege des Bond House helfen den Gästen, trockene Füsse zu behalten. Foto: KIE
Balkone müssen sich nicht an ein Gebäude anschmiegen. Die miteinander verbundenen Gehwege des Bond House helfen den Gästen, trockene Füsse zu behalten. Foto: KIE
×Ob Queen oder Präsident, ob sie oder er mit offenen Armen oder mit eiserner Faust regiert: Die Mächtigen lieben einen soliden Balkon.
Und nicht nur die Mächtigen lieben ihn. Jeder, der schon einmal ins Theater gegangen ist, weiss den Vorteil zu schätzen, den ein paar zusätzliche Zentimeter Sicht bedeuten. Wenn also ein Haus mit Blick auf ein besonders schönes Areal gebaut wird, sind die BewohnerInnen meist darauf bedacht, diese Gelegenheit nicht ungenutzt zu lassen. Ein Balkon ist einer der ersten Punkte auf ihrer Liste der "Must-haves".
Angesichts dieser Blicke auf den Strand von Malibu (oben) bzw. den balinesischen Dschungel (unten) wäre es nahezu ein Verbrechen, Gebäude ohne Balkon zu bauen. Fotos: Matthew Momberger (oben), KIE (unten)
Angesichts dieser Blicke auf den Strand von Malibu (oben) bzw. den balinesischen Dschungel (unten) wäre es nahezu ein Verbrechen, Gebäude ohne Balkon zu bauen. Fotos: Matthew Momberger (oben), KIE (unten)
×Die Aussicht geniessen
Eines der grössten Missverständnisse in Bezug auf Balkone ist, dass sie zur Sonne hin ausgerichtet sein müssen. Ein schöner Ausblick lässt sich zu jeder Tageszeit geniessen, unabhängig von den Temperaturen.
Das Taylor Beach House am nach Süden ausgerichteten Malibu Beach in den USA zum Beispiel verlängert die Sonnenstunden mit einem offenen Erkerbalkon, der von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang einen 180-Grad-Panoramablick auf die plätschernden Wellen und den goldenen Sand bietet.
Eines der grössten Missverständnisse in Bezug auf Balkone ist, dass sie zur Sonne hin ausgerichtet sein müssen
Im Bond House auf Bali spielt es hingegen keine Rolle, wo die Sonne steht. Mehrere miteinander verbundene Stege sorgen dafür, dass man die Sonne und die tropische Vegetation immer im Blick hat.
Der Infinity-Pool des AEON Spa ermöglicht es den Gästen, die Aussicht auf entspannte Weise zu geniessen (oben); während die Waterfront Terrace (unten) das Konzept umkehrt, mit einem Infinity Lake, der versunkene Sitze überblickt. Foto: Alex Filz (oben)
Der Infinity-Pool des AEON Spa ermöglicht es den Gästen, die Aussicht auf entspannte Weise zu geniessen (oben); während die Waterfront Terrace (unten) das Konzept umkehrt, mit einem Infinity Lake, der versunkene Sitze überblickt. Foto: Alex Filz (oben)
×Über den Dingen schweben
Balkone sind mehr als nur ein Aussichtspunkt. Es kommt darauf an, was man aus ihnen macht. Gibt es einen besseren Ort, um die Aussicht zu geniessen, als ein gemütliches Sofa oder einen privaten Pool? Ein Teil des AEON Spas im italienischen Soprabolzano erstreckt sich über einen weitläufigen Balkon mit Infinity-Pool, von dem aus man die sanften Hügel geniessen kann. Die Waterfront Terrace im belgischen Bierbeek kehrt das Konzept des Aussenpools um, indem sie eine versunkene Lounge in die Mitte des Infinity-Sees gräbt. Von hier aus kann man den See überblicken, sodass die versenkten Sitzgelegenheiten wie eine isolierte Insel wirken.
Der erhöhte Balkon im Hubertus Hotel (oben) ermöglicht einen besseren Blick über und unter den See, während die Stützen in den Häusern Floris (Mitte) und Treehouse (unten) den Raum darunter schützen. Fotos: Alex Filz (oben, Mitte) Arley Mardo (unten)
Der erhöhte Balkon im Hubertus Hotel (oben) ermöglicht einen besseren Blick über und unter den See, während die Stützen in den Häusern Floris (Mitte) und Treehouse (unten) den Raum darunter schützen. Fotos: Alex Filz (oben, Mitte) Arley Mardo (unten)
×Die Natur bewahren
Von zurückhaltend bis hoch hinaus: Das Hotel Hubertus hebt den Infinity-Pool in neue Höhen. Bis zu zwölf Meter hoch, um genau zu sein. Gestützt von grossen Lärchenholzstämmen kann man die zwölf Meter Fallhöhe vom Pool aus sehen, wobei ein Teil des 17 Meter langen Steinsockels durch gehärtetes Glas ersetzt wurde, um den SchwimmerInnen das Gefühl zu geben, in den Wolken zu schweben.
Balkone bieten nicht nur eine atemberaubende Aussicht, sondern ihre Stützen sind auch stark genug, um das Gewicht ganzer Gebäude zu tragen
Balkone bieten nicht nur eine atemberaubende Aussicht, sondern ihre Stützen sind auch stark genug, um das Gewicht ganzer Gebäude zu tragen. Projekte wie die Floris-Hotelsuiten im italienischen Seis oder das Wooden Treehouse C auf der indonesischen Insel Bali kauern vorsichtig wie Raumschiffe in der Tiefe, ohne die empfindlichen Ökosysteme darunter zu zerstören.
Auskragende Gebäude wie Autohaus schaffen natürliche Vordächer und zusätzlichen Wohnraum, ohne die Grundfläche zu vergrössern. Fotos: Charles David Smith
Auskragende Gebäude wie Autohaus schaffen natürliche Vordächer und zusätzlichen Wohnraum, ohne die Grundfläche zu vergrössern. Fotos: Charles David Smith
×Eine Gratwanderung
Jeder, der schon einmal versucht hat, ein Kartenhaus zu bauen, versteht die Faszination, die von ausgewogenen Formen ausgeht. Auskragende Projekte stellen den Sieg ihrer ArchitektInnen über die Schwerkraft dar, während die verblüffende magische Konstruktion mit dem darunter entstandenen negativen Raum spielt. Nehmen wir zum Beispiel das Autohaus im amerikanischen Austin. Durch eine 90-Grad-Drehung des ersten Stockwerks konnte Matt Fajkus Architecture die Oldtimer-Sammlung des Bauherrn schützen und präsentieren – und einen natürlichen Balkon über dem Erdgeschoss schaffen.
Der Balkon im Pole Pass Retreat ersetzt den Rasen der Terrasse (oben), während die BewohnerInnen der Ørsted Gardens Apartments etwas zusätzliches Grün bekommen (unten). Fotos: Benjamin Benschneider (oben), Hampus Berndtson (unten)
Der Balkon im Pole Pass Retreat ersetzt den Rasen der Terrasse (oben), während die BewohnerInnen der Ørsted Gardens Apartments etwas zusätzliches Grün bekommen (unten). Fotos: Benjamin Benschneider (oben), Hampus Berndtson (unten)
×Grüner Raum
Nicht alle Balkone müssen zusätzlichen Wohnraum bieten, doch dieser wird zu genau diesem Zweck genutzt. Die Familie im Pole Pass Retreat auf Orcas Island in den USA wollte einen grossen Teil der Grundfläche des Areals für eine ebenerdige Terrasse nutzen, um den umliegenden Rasen und See unmittelbar zugänglich zu machen.
Die Architekten von Olson Kundig wollten den vorhandenen Rasen nicht zerstören und verfrachteten ihn kurzerhand auf die Höhe der Baumkronen. Die Ørsted Gardens Apartments im dänischen Frederiksberg sind weit von allen Blicken auf See oder Wald entfernt. Die Balkone sind begrünt, um den BewohnerInnen ein Stück Natur direkt vor ihrer Haustür zu bieten.
Kleine und grosse Zwischengeschosse wie diese im Zuidplein-Theater ermöglichen eine visuelle Kommunikation zwischen den Etagen. Foto: Scagliola Brakkee
Kleine und grosse Zwischengeschosse wie diese im Zuidplein-Theater ermöglichen eine visuelle Kommunikation zwischen den Etagen. Foto: Scagliola Brakkee
×Vernachlässigen Sie nicht den Innenraum
Balkone bieten zwar zusätzliche Fläche im Aussenbereich, Innenbalkone – in Form von Zwischengeschossen – nehmen jedoch Platz weg. Wird ein Teil der darüber liegenden Etage entfernt, um ein Zwischengeschoss zu schaffen, kann auf der nun doppelt so hohen unteren Ebene ein epischer Raum entstehen, während der Sichtkontakt zwischen den Etagen erhalten bleibt.
Theatersäle nutzen diese Split-Level-Architektur mit grossem Erfolg; das Zuidplein Theater im niederländischen Rotterdam macht sie sich sogar für sein Foyer zunutze. Mit viel Platz zum Durchatmen und um das Gedränge in der Pause zu vermeiden, werden KulturliebhaberInnen vom Anblick der weitläufigen und sichtbaren Muster des Foyers auf beiden Fenster- und Bodenachsen verwöhnt.
© Architonic