Unter die Erde gehen: zehn unterirdische Bauprojekte
Text von James Wormald
31.03.22
Da der Platz über der Erde immer kostbarer wird, scheint es nur logisch, sich in den Untergrund zurückzuziehen. Unterirdisches Bauen eröffnet neue Welten, sei es, um uns vor den Elementen zu schützen – oder um diese vor uns zu schützen.
MOLD Architects schützten das NCaved-Haus vor den starken Nordwinden der griechischen Ägäis, indem sie es in den Hang der Küstenlinie gruben. Foto: MOLD Architects
MOLD Architects schützten das NCaved-Haus vor den starken Nordwinden der griechischen Ägäis, indem sie es in den Hang der Küstenlinie gruben. Foto: MOLD Architects
ׄAber hier unten, unter der Erde, habe ich so viel Platz, wie ich will!“
Die leicht verwirrten Äusserungen von Willy Wonka in Roald Dahls „Charlie und die Schokoladenfabrik“ sind vielleicht nur eine Erklärung für die unendliche Ausdehnung der gleichnamigen Fabrik, aber indem er den Grossteil der surrealen Schauplätze des Romans unter die Erde verlegt, lässt er unserer kindlichen Fantasie freien Lauf.
Mit innovativer Technik und Beleuchtung bietet diese nachhaltige Architekturtechnik den Raum, den wir brauchen
Auch wenn man für diese nachhaltige Architekturtechnik etwas tiefer Graben muss und sie etwas weniger natürliches Licht bietet schafft sie doch (zumindest mit innovativer Technik und Beleuchtung) all den Raum, den wir brauchen – wie Wonka es uns schon vor fast 60 Jahren zu sagen versuchte. Hier finden Sie eine Auswahl aktueller architektonischer Projekte, die unter der Erde gebaut werden, und die Vorteile, die sie mit sich bringen.
Der Two-Fold Yard von TAOA in Peking trennt das weitläufige, offene Kunstatelier der Bewohner vom unterirdischen Wohnhaus der Familie. Fotos: Tao Lei
Der Two-Fold Yard von TAOA in Peking trennt das weitläufige, offene Kunstatelier der Bewohner vom unterirdischen Wohnhaus der Familie. Fotos: Tao Lei
×Die Eigentümer des Two-Fold Yard von TAOA wünschten sich einen kreativen und flexiblen Atelierraum unter der Oberfläche, ohne das Familienleben darüber zu stören. „Diese zwei parallelen Welten, die durch den Boden getrennt sind“, so TAOA, „kündigt die neue Definition des Hauses an“. Das Untergeschoss des Pekinger Hauses ist funktional und gestalterisch getrennt, um Unabhängigkeit zu erreichen und gleichzeitig natürliches Licht zuzulassen, indem es zwischen versenkten Höfen liegt.
Das House on a Hill von HW Studio in Morelia, Mexiko, wurde vom Bild eines Kindes inspiriert, das sich unter schützenden Bettlaken versteckt, die bunkerartige Form des Hauses ist dabei aber alles andere als ängstlich. Mit einem breiten, gewölbten Fenster, das in Richtung des Waldes zeigt, in dem es sich versteckt, wirkt das Haus wie ein luxuriöses Vogelnest, das sowohl von seiner Umgebung geschützt wird als auch mit ihr verschmilzt.
House on the Hill von HW Studio (oben, Mitte) und NCaved House von MOLD Architects (unten). Fotos: César Béjar Studio (oben), Danae Alonso (Mitte), Yiorgis Yerolymbos (unten)
House on the Hill von HW Studio (oben, Mitte) und NCaved House von MOLD Architects (unten). Fotos: César Béjar Studio (oben), Danae Alonso (Mitte), Yiorgis Yerolymbos (unten)
×Die natürliche Umgebung der Insel Serifos stellt jedoch ein Dilemma dar. Der Standort bietet einen atemberaubenden Blick über das Ägäische Meer zwischen Griechenland und der Türkei, ist aber starken Nordwinden ausgesetzt. Das Architekturbüro MOLD entschied sich daher, das am Meer gelegene Haus NCaved in den Felsen selbst zu setzen. Die schräge Neigung bietet mehrere separate Aussichtsplattformen und Bereiche, die sich gegenseitig nicht behindern und vor dem Wind geschützt sind.
Der Weinverkostungsraum von SAAW im Kellergeschoss mit darunter liegendem Weinkeller (oben) und die Doppelparkerhütten auf Sylt in Deutschland (unten). Fotos: Nicholas Worley (oben), Tobias Schneider (unten)
Der Weinverkostungsraum von SAAW im Kellergeschoss mit darunter liegendem Weinkeller (oben) und die Doppelparkerhütten auf Sylt in Deutschland (unten). Fotos: Nicholas Worley (oben), Tobias Schneider (unten)
×Wie das NCaved-Haus beweist, muss unterirdisches Wohnen nicht zwangsläufig schlechtes Licht oder eine versperrte Sicht bedeuten, sondern es gibt viele nützliche Anwendungen für unterirdische Räume, bei denen eine gute Beleuchtung keine Voraussetzung ist. In London hat SAAW zum Beispiel ein Konzept für einen Weinkeller mit wiederum einem eigenem Weinkeller entwickelt. Im ersten Untergeschoss erwartet die Besucher eine höhlenartige Atmosphäre, in der sie sich zueinander gesellen, diskutieren und den Wein frei von überflüssigen Sinneseindrücken geniessen können. Der Wein selbst wird weiter unten in einem runden Unterkeller aufbewahr.
Und während das utilitaristische Design von Parkhäusern oberirdisch ein Schandfleck sein kann, können Parksysteme im Automatenstil mit Aufzügen und Schienen den Raum für automatisierte Parkdienste optimieren, so dass auch zu Hause mit ein wenig Aufwand ein zusätzlicher Parkplatz verfügbar ist. Auf der norddeutschen Insel Sylt bieten vier schmucke kleine Parkhäuser vier Stellplätze. Mit den Multi-Parking-Systemen von Klaus verdoppelt sich die Kapazität auf acht, was aber nichts an der Postkartenästhetik ändert.
Die Nord-Süd-Metrolinie in Amsterdam erforderte sieben neue grosse, offen gestaltete Stationen von Benthem Crouwel Architects. Foto: Jannes Linders
Die Nord-Süd-Metrolinie in Amsterdam erforderte sieben neue grosse, offen gestaltete Stationen von Benthem Crouwel Architects. Foto: Jannes Linders
×Autos sind natürlich nicht das einzige Verkehrsmittel, das von der unterirdischen Architektur profitiert. Ob man sie nun U-Bahn, Metro oder Tube nennt – seit mehr als 150 Jahren pendeln wir mit dem Nahverkehr, ohne dass die bestehende Infrastruktur darüber beeinträchtigt wird.
Vorstädtische Schnellbahnnetze verbinden uns seit mehr als 150 Jahren, ohne die darüber liegende bestehende Infrastruktur zu beeinträchtigen
Da die Stadt auf einem Gebiet gebaut wurde, das früher ein feuchtes Moorgebiet war, ist es seit jeher schwierig, einen Tunnel unter den Strassen von Amsterdam zu bauen. Bei der neuen Nord-Süd-Metrolinie wurden jedoch innovative Tunnelbautechniken eingesetzt, um bis zu 30 Meter unter die Oberfläche zu gelangen. Und eine intelligente Technik, um breite, weitläufige Stationen zu bauen, die so weit wie möglich zur Strasse hin offen sind, um eine labyrinthische Atmosphäre zu vermeiden.
Turbosealtech New Incubator Office im Iran von New Wave Architecture (oben, Mitte) und das Restaurant Under von Snøhetta in Norwegen (unten). Fotos: Parham Taghioff (oben, Mitte), Ivar Kvaal (unten)
Turbosealtech New Incubator Office im Iran von New Wave Architecture (oben, Mitte) und das Restaurant Under von Snøhetta in Norwegen (unten). Fotos: Parham Taghioff (oben, Mitte), Ivar Kvaal (unten)
×Wenn es möglich ist, sich unter der Erde zu erholen und zu reisen, warum dann nicht auch dort arbeiten? Das Turbosealtech New Incubator and Office Building in Teheran erweckt die Illusion, dass unter der Erde geheime Spitzenforschungsprojekte durchgeführt werden. Indem die Aussenstruktur des gyroskopischen Gebäudes von seinem ebenen Inneren weggedreht wird, bietet es den Mitarbeitern einen interessanten Blick auf die Aussenwelt. Meiner Meinung nach könnte es sich jedoch ein wenig so anfühlen, als würde man auf einem sinkenden Schiff arbeiten, was mich an das ähnlich aussehende Restaurant Under von Snøhetta in Lindesnes, Norwegen, erinnert. Bei Under bestand die Absicht des Projekts jedoch darin, die Lage unter Wasser zu nutzen, um ein unwirkliches Esserlebnis inmitten der norwegischen Landschaft zu bieten.
Der Eingang (oben) und das Mauerwerk (Mitte) der Unterflurgalerie von Carmody Groarke und das Skamlingsbanken Visitor Center von CEBRA (unten). Fotos: Gilbert McCarragher (oben, Mitte), Adam Mørk (unten)
Der Eingang (oben) und das Mauerwerk (Mitte) der Unterflurgalerie von Carmody Groarke und das Skamlingsbanken Visitor Center von CEBRA (unten). Fotos: Gilbert McCarragher (oben, Mitte), Adam Mørk (unten)
×Ein weiterer unterirdischer Raum, der seine Umgebung in den Mittelpunkt rückt, ist die Special Exhibitions Gallery des Science and Industry Museum in Manchester, UK. Die unberührte Umgebung ist dieses Mal jedoch das von Menschenhand geschaffene viktorianische Viadukt, das sich durch das Herz der Stadt Manchester, ihre Geschichte und ihre kreative Kultur zieht. Durch die Hervorhebung des roten Backsteinmauerwerks bietet der Ausstellungsraum den Besuchern einen erfrischenden neuen Zugang zum Museum. Das Skamlingsbanken Visitor Center von CEBRA in Sjølund, Dänemark, befindet sich in einer Umgebung, die für ihre natürliche Schönheit berühmt ist. Es informiert die Besucher über die Geschichte der Landschaft und finanziert den Erhalt der Umgebung, ohne sie durch seine Anwesenheit zu stören.
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