Vier zum Leben erweckte Tunnel mit faszinierenden Innenräumen
Text von James Wormald
31.08.22
Die dunkle, ungemütliche Atmosphäre eines Tunnels kann dazu führen, dass er nur schwer als Innenraum genutzt werden kann. Diese neu gestalteten unterirdischen Gänge beweisen jedoch, dass am Ende des Tunnels auch Licht zu finden ist …
Die Lichthöhle ist ein würdiger Abschluss des 750 m langen Tunnels der Kiyotsu-Schlucht. In ihr spiegelt sich die Landschaft in den Stahlwänden und im flachen Wasser. Foto: Nacasa & Partners Inc
Die Lichthöhle ist ein würdiger Abschluss des 750 m langen Tunnels der Kiyotsu-Schlucht. In ihr spiegelt sich die Landschaft in den Stahlwänden und im flachen Wasser. Foto: Nacasa & Partners Inc
×Angst vor der Dunkelheit?
Nach dem Besuch der immersiven Theateraufführung Tunnel 228 von Punchdrunk, tief in den Katakomben unter der Waterloo Station in London, Grossbritannien, musste ich feststellen, dass ich ganz sicher Angst habe. Die viktorianische Architektur des unbenutzten Tunnels – in dem sich früher ein Leichenschauhaus befunden haben soll – und der Mangel an natürlichem Licht verliehen der Szene einen düsteren und unheimlichen Charakter.
Mit Schauspieler:innen und Künstler:innen, die seltsame und unheimliche Akte aufführten, während sie sich unter ein maskiertes Publikum mischten, das sich frei bewegen konnte, machte sich Punchdrunk die natürliche Angst der Menschen vor der Dunkelheit für theatralische Effekte zunutze. Aber es ist nicht das einzige Projekt, das die erwartungsvolle Kapazität dieser längst vergessenen Unterräume ausschöpft. Mit ein wenig Licht und einer gründlichen Putzaktion werden Tunnel oft gleich viel einladender.
Das House of Vans unter den Bahngleisen der Waterloo Station in London, Grossbritannien, empfängt Besucher:innen mit Betondetails (oben, Mitte), bevor es sie in die Aussenwelt entlässt (unten). Fotos: Tim Greatrex
Das House of Vans unter den Bahngleisen der Waterloo Station in London, Grossbritannien, empfängt Besucher:innen mit Betondetails (oben, Mitte), bevor es sie in die Aussenwelt entlässt (unten). Fotos: Tim Greatrex
×House of Vans in den Tunneln der Waterloo Station, London, UK, von Tim Greatrex
Am gleichen Standort wie Punchdrunks Tunnel 228 – in den Tunneln 228-232 – nutzt House of Vans den unterirdischen Raum, um die Skateboard-Gegenkultur zu zelebrieren, für die die Marke steht. In einem Londoner Stadtteil, der dafür bekannt ist, die kreative, ausdrucksstarke und künstlerische Seite von Graffiti zu zelebrieren, hat sich Vans – anders als die Theatergruppe – von der historischen Dunkelheit der Tunnel entfernt und die fünf Abschnitte mit guter Beleuchtung und positiver Stimmung gefüllt.
In den beiden am weitesten entfernten Tunneln befindet sich ein dreistufiger Skatepark. Die ersten Erfahrungen der Besucher:innen mit dem Raum werden durch die Verwendung von ikonischen Formen und Materialien der Struktur bestimmt. Betonrampen, Bänke, Pipes und Übergänge sind im Eingangsbereich, in der Bar und im Café zu finden, um den Appetit der Skater zu wecken.
Der meditative Raum Periscope (oben), die Lichttunnel von Expressions of Color (Mitte) und die konvexen Spiegel in Drops (unten) verstärken die natürliche Anziehungskraft des Kiyotsu-Schluchttunnels: Fotos: Nacasa & Partners Inc
Der meditative Raum Periscope (oben), die Lichttunnel von Expressions of Color (Mitte) und die konvexen Spiegel in Drops (unten) verstärken die natürliche Anziehungskraft des Kiyotsu-Schluchttunnels: Fotos: Nacasa & Partners Inc
×Tunnel of Light im Kiyotsu-Schlucht-Tunnel, Echigo-Tsumari, Japan, von MAD Architects
Während das House of Vans-Projekt die natürlich dunkle Umgebung eines unterirdischen Tunnels nutzt, um Besucher:innen in eine alternative Welt zu entführen, regen die künstlerischen Installationen im Kiyotsu Gorge Tunnel of Light von MAD Architects Gäste dazu an, die reale natürliche Welt um sie herum wertzuschätzen. Er wurde für Besucher:innen der nahe gelegenen Kiyotsukyo Thermalquelle gebaut, um die Schlucht zu erkunden, nachdem ein Felssturz den früheren Kletterpfad unsicher gemacht hatte. Der 750 m lange Durchgang gabelt sich an drei Stellen, die jeweils mit einem Panoramablick über den Abgrund enden, bevor er sich wieder um sich selbst dreht, um die gesamte Schlucht als Ganzes zu betrachten.
Jeder der drei Aussichtspunkte ist durch eigene kreative Kunstwerke gekennzeichnet und wird durch farbige Tunnelbeleuchtung gespeist, während der kulturelle Höhepunkt der Passage eine Lichthöhle mit Wänden aus Edelstahl ist. Diese reflektiert das Bild der Schlucht auf ihre Wände und das flache Wasserspiel zurück und ermöglicht Gästen, das Spiegelbild der Landschaft auf geheimnisvolle Weise zu verändern, wenn sie sich dem Tunnelrand nähern.
Ungenutzte Tunnel an der Prager Uferpromenade wurden gegen individuell gestaltbare Einheiten ausgetauscht, deren runde Eingänge durch ikonische Glasdrehtüren gekennzeichnet sind. Fotos: Boys Play Nice
Ungenutzte Tunnel an der Prager Uferpromenade wurden gegen individuell gestaltbare Einheiten ausgetauscht, deren runde Eingänge durch ikonische Glasdrehtüren gekennzeichnet sind. Fotos: Boys Play Nice
×Revitalisierung des Flussufers in Prag, Tschechische Republik, von Petr Janda / Brainwork
Die natürliche Schönheit des Wassers wird Besucher:innen immer dazu verleiten, an ihm entlang zu gehen. An der Prager Uferpromenade wurden schöne, bereichernde Spaziergänge am Wasser jedoch durch parkende Autos und veraltete Architektur ziemlich unattraktiv. In 20 Tunneln der Ufermauer – Gewölbe, in denen früher Eis gelagert wurde – wurden die metallenen Sicherheitsgitter durchbrochen und durch sichtbare runde Eingänge ersetzt, die durch um ihre Achse drehbare Glastüren bedient werden.
Die Gewölbe wurden für eine Vielzahl unterschiedlicher Nutzungen ausgerichtet, darunter private Unternehmen wie Cafés, Bars, Ateliers und Galerien sowie öffentliche Einrichtungen wie eine Bibliothek, ein Gemeindezentrum und öffentliche Toiletten, damit mehr Fussgänger:innen den friedlichen Weg zum Wasser nehmen. Denn obwohl der Ruf der Natur stark und manchmal nicht willkommen ist, kann man ihn nur schwer ignorieren.
Das Sozialwohnungskonzept OPod Tube nutzt Wasserrohre aus Beton, um schnelle, aber komfortable Kleinstwohnungen für kurzfristige Nutzungen zu schaffen. Fotos: James Law Cybertecture
Das Sozialwohnungskonzept OPod Tube nutzt Wasserrohre aus Beton, um schnelle, aber komfortable Kleinstwohnungen für kurzfristige Nutzungen zu schaffen. Fotos: James Law Cybertecture
×OPod Tube House in Hongkong von James Law Cybertecture
Das Projekt OPod Tube Housing von James Law Cybertecture ist ein Konzept für gross angelegte soziale Wohnungsbauprojekte, bei dem Wasserrohre aus Beton als temporäre Wohnräume in kleinem Massstab genutzt werden. Der Vorteil dieser ungewöhnlichen Wohnform besteht darin, dass Zylinder von Natur aus selbsttragende Strukturen sind, die sich effizient und ästhetisch stapeln und anordnen lassen – und zudem schnell und einfach herzustellen, zu installieren sowie zu versetzen und an anderer Stelle wieder zu installieren sind.
Der Nachteil besteht natürlich darin, dass moderne Möbel und Einrichtungsgegenstände, die für flache Wände konzipiert sind, an gebogene Wände angepasst werden müssen. Um dem entgegenzuwirken, sind die Innenräume der Röhre im Inneren in drei Teile geteilt. Ein abgeflachter Mittelgang bietet genügend Kopffreiheit, um bequem stehen zu können, während die beiden Drittel, die weniger Fuss- oder Kopffreiheit benötigen, mit massgefertigten Möbeln und Stauraum ausgestattet sind.
© Architonic
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