Geschlechterbedingte Ungleichheit in der Architektur bremst Kreativität, hemmt die Nachwuchsförderung und schränkt die Menschenrechte ein. Diese vier von Frauen geführten Büros balancieren die Waage mit ihrer Arbeit aus.

Die Woodnest Cabins von Helen & Hard im norwegischen Odda bieten vom Baum aus einen ruhigen Blick auf den Hardangerfjord. Foto: Sindre Ellingsen

Wenn Frauen bauen: von Architektinnen geführte Büros im Fokus | Aktuelles

Die Woodnest Cabins von Helen & Hard im norwegischen Odda bieten vom Baum aus einen ruhigen Blick auf den Hardangerfjord. Foto: Sindre Ellingsen

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Das anhaltende Engagement für Inklusion und Vielfalt bedeutet, dass man Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen eingestehen muss und sich die Frage stellen sollte, warum das so ist. „Frauen wurden im vorherrschenden architekturgeschichtlichen Narrativ immer wieder ausgelassen, verdrängt oder ersetzt“, so Women in Architecture, eine Gruppe, die sich für die Gleichstellung der Geschlechter in der Architekturbranche und in der gebauten Umwelt stark macht.

Ziel der Gruppe ist es, „die Abwanderung von Frauen aus der Architektur zu stoppen und sicherzustellen, dass die Stimmen von Frauen gehört werden.“ Doch führende Architektinnen und sogar von Frauen geführte Büros sind nur ein Teil der Lösung; über ihre Arbeit und nicht über ihr Geschlecht zu sprechen, ist ebenfalls wichtig. Um also Frauen in der Architektur zu feiern und zu fördern, stellen wir hier vier erstklassige, von Frauen geführte Architekturbüros aus der ganzen Welt vor – und die technischen, kreativen, stilvollen und durchdachten Projekte, die sie dorthin gebracht haben.

Die Glasfassade des One Hundred Tower von Studio Gang ist im optimalen Winkel geneigt, um maximale Sonneneinstrahlung zu gewährleisten. Die terrassenförmigen Balkone profitieren so von hohem Lichteinfall und aktiver Luftzirkulation. Fotos: Sam Fentress

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Die Glasfassade des One Hundred Tower von Studio Gang ist im optimalen Winkel geneigt, um maximale Sonneneinstrahlung zu gewährleisten. Die terrassenförmigen Balkone profitieren so von hohem Lichteinfall und aktiver Luftzirkulation. Fotos: Sam Fentress

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Wohnturm One Hundred in St. Louis, USA, von Studio Gang

Dem von Jeanne Gang gegründeten Studio Gang geht es darum, Verbindungen zu schaffen. „Wir wollen in einer Welt leben, in der die Menschen einander als Teil des grösseren Netzwerks der Lebewesen auf unserem Planeten aktiv unterstützen“, so das Credo des Büros. Manchmal ist die Anpassung an Dinge, die wir nicht ändern können, jedoch ebenso wichtig wie das Ändern von Dingen, die wir ändern können. So hat das Büro vor kurzem das eigene Lohngefälle zwischen Männern und Frauen untersucht und reduziert. Sein neuer Wohnturm One Hundred in St. Louis berücksichtigt dagegen etwas, das sich nie ändern wird – den Lauf der Sonne.

Das an der nordwestlichen Ecke des Forest Park von St. Louis gelegene Hochhaus bietet allen Bewohner:innen einen dynamischen Blick auf den Park auf der einen Seite und den Mississippi auf der anderen. Durch die Nutzung des Einfallswinkels der Sonne, der die Glasfassade des Gebäudes wie einen kostbaren Edelstein schneidet, werden die Aussenbereiche mit viel Licht und frischer Luft versorgt und es entsteht ein Bezug zwischen den Bewohner:innen und der Sonne bzw. Landschaft.

Das Haus von Samira Rathod Design Atelier wurde so positioniert, dass möglichst wenige Bäume gefällt werden mussten (oben); der Bau experimentiert mit Betonwänden und -böden (Mitte) und spielt mit dem Licht (unten). Fotos: Niveditaa Gupta

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Das Haus von Samira Rathod Design Atelier wurde so positioniert, dass möglichst wenige Bäume gefällt werden mussten (oben); der Bau experimentiert mit Betonwänden und -böden (Mitte) und spielt mit dem Licht (unten). Fotos: Niveditaa Gupta

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House of Concrete Experiments in Maharashtra, Indien, von Samira Rathod Design Atelier

Das House of Concrete Experiments von Samira Rathod Design Atelier betont ebenfalls die positive Beziehung zu seiner Umgebung, indem es die Autorität seines Standorts respektiert und seine Bestandteile auf einem fragmentierten, mäandernden Grundriss verteilt. „Es wurde beschlossen, das Haus um die Bäume herum zu platzieren, ohne sie zu stören“, erläutert das Büro die Anordnung der Strukturen in einem Mangohain.

Die dicken Wände von 450 bis zu 1000 mm werden mittels verschiedener Verfahren in Beton gegossen – die Experimente, von denen im Namen des Hauses die Rede ist, geben den freiliegenden Oberflächen im Inneren alternative Texturen. Während die dicken Wände zu einer natürlichen Isolierung werden, sind einige Abschnitte ausgespart, um kühle Luft durchzulassen und die Innentemperatur zu senken. Im Gegensatz zu vielen zeitgenössischen Projekten ist die Beziehung des Hauses zum natürlichen Licht zurückhaltend und spielerisch; kleinere, niedrigere Fenster und seltsam geformte Oberlichter nutzen Licht und Schatten als konzeptionelle architektonische Werkzeuge.

Hoch oben in den Ästen zweier Kiefern (oben) halten sich die beiden Hütten an ihrem Stamm fest (Mitte). Im Inneren ist die Aussicht aus sechs Metern Höhe atemberaubend (unten). Fotos: Snidre Ellingsen

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Hoch oben in den Ästen zweier Kiefern (oben) halten sich die beiden Hütten an ihrem Stamm fest (Mitte). Im Inneren ist die Aussicht aus sechs Metern Höhe atemberaubend (unten). Fotos: Snidre Ellingsen

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Woodnest Cabin in Odda, Norwegen, von Helen & Hard

Diese beiden 15 m² grossen Baumhäuser hängen in einem norwegischen Wald mit Blick auf die Spitze des malerischen Hardangerfjords in Odda. Wie das House of Concrete Experiments in Indien respektieren auch sie ihre Umgebung, indem sie buchstäblich mit dem Wald verschmelzen. Anstatt sich in den Hang einzugraben, wickeln sich die Hütten um zwei Kiefern und plustern ihre geschichteten Kiefernschindelfassaden wie hockende Eulen auf.

Die Architektinnen Helen & Hard haben ein „einzigartiges Raumerlebnis geschaffen, das mit dem gewöhnlichen und aussergewöhnlichen Gefühl des Kletterns und der Erkundung von Bäumen“ verbunden ist. Man erreicht die Hütten über Seilbrücken, die auch zur Stabilisierung der Strukturen dienen. Sie lassen die Besucher:innen nicht nur bis zu sechs Meter über dem Waldboden schweben, sondern bieten ihnen auch einen atemberaubenden Panoramablick.

Die schiefwinklige Architektur und die eingebauten Möbel bilden eine eindrucksvolle Kulisse und erinnern an ein angespültes Wrack an der Küste Namibias. Fotos: Shawn van Eeden (oben), Denzel Bezuidenhoudt (Mitte, unten)

Wenn Frauen bauen: von Architektinnen geführte Büros im Fokus | Aktuelles

Die schiefwinklige Architektur und die eingebauten Möbel bilden eine eindrucksvolle Kulisse und erinnern an ein angespültes Wrack an der Küste Namibias. Fotos: Shawn van Eeden (oben), Denzel Bezuidenhoudt (Mitte, unten)

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Shipwreck Lodge im Skeleton Coast National Park, Namibia, von Nina Maritz Architects

Anstelle eines im Wald lebenden Greifvogels zeigt die einzigartige Shipwreck Lodge von Nina Maritz Architects die luxuriöse Seite des Lebens als Schiffbrüchiger auf einer einsamen Insel. Jede der sechs Hütten der Ferienanlage ist wie ein kleiner Teil eines Schiffwracks geformt, mit schiefen Fenstern und Wänden, sodass die Besucher:innen zunächst auf festem Boden ihre Seefestigkeit prüfen müssen.

Die Hütten folgen dem Schiffbruch-Motiv innen wie aussen: Die Möbel sind in den Rumpf eingebaut, und jede der Holzhütten nutzt die scharfe Spitze ihres Bugs, um die schnell aufkommenden Küstenwinde in zwei Hälften zu teilen und sie um den Hauptteil herum zu leiten. Das Projekt schützt sich jedoch nicht nur vor seiner rauen Umgebung, sondern schont sie zugleich: Recycelte Wasserflaschenfasern dienen als Isoliermaterial; im Innern werden Solarenergie und solare Warmwasseraufbereitung sowie Biokläranlagen für Abfall genutzt.

© Architonic

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