Zilla Leutenegger – Kunst als Fragezeichen
Text von Karin Frei Rappenecker
Zürich, Schweiz
16.09.16
Das Zusammenspiel von Kunst und Architektur wurde in dieser Rubrik bisher aus Betrachterperspektive beschrieben. Wie steht es aber um den Blickwinkel, den Künstler und Architekten auf diese Kombination haben? In den folgenden Ausgaben werden wir uns dieser anderen Sicht widmen. Ist sie wirklich so anders? Den Anfang macht die Schweizer Künstlerin Zilla Leutenegger.
Zilla Leutenegger: Blue, 2015, Seniorenresidenz Atlas Stiftung, Basel. Foto: Zilla Leutenegger. Architektur: Herzog & De Meuron, Basel
Zilla Leutenegger: Blue, 2015, Seniorenresidenz Atlas Stiftung, Basel. Foto: Zilla Leutenegger. Architektur: Herzog & De Meuron, Basel
×Wie gehst Du bei Kunst & Architektur Projekten vor?
Wenn Kunst in den öffentlichen Raum tritt, begegnet sie Menschen, die ungefragt mit Kunst konfrontiert werden. Dies gilt es mitzudenken bei der Konzipierung von Kunst im architektonischen Kontext. Zweck eines Gebäudes, dessen Nutzung und Unterhalt sind andere Rahmenbedingungen. Sie sollen aber nicht dazu führen, dass sich ein Künstler wegen eines Auftrags total verbiegt. Künstler sollen ihrer Arbeitsweise treu bleiben. Auch Auftragsarbeiten sollen sich organisch in ein Gesamtwerk einreihen können.
Für die Pädiatrie im Triemli z.B. fand ich es wichtig, dass die Kunst die Kinder in ihrer Situation abholt. Die „kleine Enzyklopädie des Alltags“ sollte von den Gründen, warum sie im Krankenhaus sind, ablenken. Aufgrund der vielen Auflagen, die es in einem Krankenhaus gibt, war es eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, etwas zu finden, das eine kleine Aktivität erlaubt, für die Abläufe innerhalb eines Spitals aber nicht störend ist.
Zilla Leutenegger «TriemliMemory - Eine kleine Enzyklopädie des Alltags», 2015, Stadt Zürich, Amt für Hochbauten, Kunst und Bau. Foto: Francisco Paco Carrascosa *
Zilla Leutenegger «TriemliMemory - Eine kleine Enzyklopädie des Alltags», 2015, Stadt Zürich, Amt für Hochbauten, Kunst und Bau. Foto: Francisco Paco Carrascosa *
×Du schaffst mit Deinen Arbeiten oft Raum für Räume, die real nicht existieren, die es nur in der Fantasie gibt. Für das Schulhaus Hardau hast Du das Projekt „Haus im Haus“ entwickelt. Was hat Dich daran interessiert?
In meiner Arbeit geht es darum, bestehende Räume auf das zu reduzieren, was mich im Zusammenhang mit dem Bau und dem Kontext interessiert. Ich erfinde also keine Räume, sondern gehe von Bestehendem aus. „Haus im Haus“ zeigt sich zeichnerisch an 5 Orten im Schulhaus; es ist ein Haus, das in der Vorstellung vervollständigt werden kann. Die gezeichneten Türen und Fenster bieten keine realen Ausgänge oder Ausblicke. Sie sind Einladungen in imaginäre Räume, in dem die Eigenwelt der Schülerinnen und Schüler im Zentrum steht und in die sie sich zurückziehen können wenn sie Ruhe brauchen, gedanklich abschweifen wollen, oder gar Heimweh haben.
Zilla Leutenegger: Das Haus im Haus, 2009, Schulhaus Albisriederplatz, Stadt Zürich, Amt für Hochbauten, Kunst und Bau, Foto: Menga von Sprecher. Architektur: Studer Simeon Bettler, Zürich
Zilla Leutenegger: Das Haus im Haus, 2009, Schulhaus Albisriederplatz, Stadt Zürich, Amt für Hochbauten, Kunst und Bau, Foto: Menga von Sprecher. Architektur: Studer Simeon Bettler, Zürich
×Gibt es Rückmeldungen von Schülern oder Lehrern, die dort in die Schule gehen?
Die Arbeit wurde installiert als die Schule bereits in Betrieb war. Die Schüler wurden mit „Haus im Haus“ ungefragt mit Kunst konfrontiert, und dies an einem Ort, der der ihre ist. Sie haben alles kommentiert, aber auf eine gute Art. Schüler sagen in Bezug auf Kunst noch was sie denken. Und sie handeln auch: eine Clique hat den „Kamin“ sofort abmontiert, und viele Elemente mit ihren Tags versehen. Nach Gesprächen, die ich mit ihnen geführt habe - auch über Tags und die Bedeutung von Signaturen -, haben wir mit dem Abwart zusammen einen neuen Ort für den Kamin gefunden, der für sie auch sinnvoll war. Mit Kunst in architektonischen Kontexten ist man eindeutig nicht im geschützten Raum des white cube .
Zilla Leutenegger: Das Haus im Haus (Kamin), 2009, Schulhaus Albisriederplatz, Stadt Zürich, Amt für Hochbauten, Kunst und Bau, Foto: Menga von Sprecher. Architektur: Studer Simeon Bettler, Zürich
Zilla Leutenegger: Das Haus im Haus (Kamin), 2009, Schulhaus Albisriederplatz, Stadt Zürich, Amt für Hochbauten, Kunst und Bau, Foto: Menga von Sprecher. Architektur: Studer Simeon Bettler, Zürich
×Andere Beispiele?
Dreimal habe ich in Altersresidenzen, respektive Altersheimen Kunst installiert. Die Menschen, denen Du dort begegnest haben eine ganz andere Einstellung zum Leben als z.B. Schüler. Wie meine Erfahrung zeigt kommt es extrem auf die Gesellschaftsschicht an, aus der die Leute kommen, und auf ihre Bildung, ob sie Interesse für Kunst aufbringen oder nicht.
Zilla Leutenegger: Blue, 2015, Seniorenresidenz Atlas Stiftung, Basel. Foto: Zilla Leutenegger. Architektur: Herzog & De Meuron, Basel.
Zilla Leutenegger: Blue, 2015, Seniorenresidenz Atlas Stiftung, Basel. Foto: Zilla Leutenegger. Architektur: Herzog & De Meuron, Basel.
×Was leistet Kunst im Verbund mit Architektur, was Architektur oder Design nicht kann?
Sie soll Fragen stellen. Und wir Künstler dürfen auf der Bühne, die die Architekten bauen - die auch halten muss -, tanzen. Architekten haben einen viel konkreteren Auftrag. Sie machen eine angewandte Arbeit. Wir Künstler nicht. Aber wir begeben uns mit unserer nicht angewandten Arbeit in eine angewandte Welt. Das Zusammenkommen dieser beiden Welten interessiert mich.
Wie erlebst Du die Zusammenarbeit von Dir als Künstlerin mit Architekten?
Das Tandem Kunst und Bau kann extrem gut funktionieren wenn es zwischen Architekt und Künstler stimmt. Das ist sehr wichtig. Aus diesem Grund find ich auch Wettbewerbe etwas unglücklich, weil man die Architekten erst dann kennen lernt wenn man den Wettbewerb bereits gewonnen hat. Dies ist nicht immer ein Nachteil. Aber es kommt bei Wettbewerben immer wieder vor, dass man mit Architekten zusammen kommt, die eigentlich keine Kunst in ihrem Bau haben wollen. Das ist nicht die ideale Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit.
Als Jurymitglied habe ich schon erlebt, dass Architekten Angst haben vor den Künstlern, weil sie eine Dimension in die Architektur einbringen können, die nicht mehr angewandt sein muss.
Zilla Leutenegger: Blue, 2015, Seniorenresidenz Atlas Stiftung, Basel. Foto: Zilla Leutenegger. Architektur: Herzog & De Meuron, Basel.
Zilla Leutenegger: Blue, 2015, Seniorenresidenz Atlas Stiftung, Basel. Foto: Zilla Leutenegger. Architektur: Herzog & De Meuron, Basel.
×Es gibt auch Architekten, die gerne mit bildenden Künstlern zusammen arbeiten – ihnen jedoch lediglich das sehr eng gefasste Aufgabengebiet der Farbwahl anvertrauen. Ich finde diese Haltung fragwürdig, denn Farbe innerhalb von Architektur ist ein architektonisches Element. Und dafür gibt es Spezialisten, die angewandt arbeiten. Wenn jedoch ein Künstler dafür zuständig ist, gibt der Architekt die Verantwortung für die Gestaltung eines architektonischen Elements ab. Kunst kann aber so viel mehr als sich in die Farbwahl einzumischen...
...zum Beispiel Träume und Sehnsüchte evozieren – wie es Deine Arbeit tut. Könntest Du Dir vorstellen, diese Qualität mit einem architektonischen Projekt zu verbinden und etwas Funktionales zu bauen?
Räume schaffe ich ja bereits, manchmal in Beton oder aus Holz, wenn die Situation dies verlangt. So wie mit der Treppe im Schulhaus Albisrieden in Zürich. Da wollte ich für die Schüler einen Raum schaffen, in den sie sich zurück ziehen können - in diesem Fall unter die Treppe. Um solches zu ermöglichen, muss ich in die dritte Dimension gehen. Und dafür muss gebaut werden. Meine Treppe muss am Schluss aber nicht statischen Ansprüchen genügen. Sie führt „lediglich“ in den imaginären Raum jenseits der Treppe.
Das Haus im Haus, 2009, Schulhaus Albisriederplatz, Stadt Zürich, Amt für Hochbauten, Kunst und Bau. Foto: Menge von Sprecher. Architektur: Studer Simeon Bettler, Zürich
Das Haus im Haus, 2009, Schulhaus Albisriederplatz, Stadt Zürich, Amt für Hochbauten, Kunst und Bau. Foto: Menge von Sprecher. Architektur: Studer Simeon Bettler, Zürich
×Ich könnte mir auch vorstellen, einen real betretbaren Raum zu kreieren, wie z.B. eine Hütte, oder einen Pavillon, dessen Nutzung jedoch ad absurdum geführt wird. Kippenbergers U-Bahn-Aufgänge z.B., die einer Idee der globalen Vernetzung entspringen, funktionieren zum Beispiel so. Sie sind zwar gebaut, auch betretbar, sie führen aber nicht zur U-Bahn, haben also nur eine ideelle Funktion.
Was wäre für Dich der perfekte Kunst & Architektur-Auftrag?
Ich denke, das Triemli war ein solcher Fall. Diese Arbeit hat mich aus persönlichen Gründen sehr eingenommen und gefreut, sie war geradezu lebenswichtig für mich! Ich weiss nicht, ob ich das so noch einmal erlebe. Allgemein arbeite ich gerne mit Architekten zusammen, die spannende Architektur machen.
Zilla Leutenegger: Triemli Memory - Eine kleine Enzyklopädie des Alltags, 2015, Stadt Zürich, Amt für Hochbauten, Kunst und Bau. Foto: Francisco Paco Carrascosa*
Zilla Leutenegger: Triemli Memory - Eine kleine Enzyklopädie des Alltags, 2015, Stadt Zürich, Amt für Hochbauten, Kunst und Bau. Foto: Francisco Paco Carrascosa*
×Was wenn Du die Architektur uninteressant findest?
Ideal ist, wenn die Idee mit dem Bau, dem Inhalt und der Funktion zusammen kommt. Man hat ja ständig ein Archiv von Ideen im Kopf. Die kommen aber nur am richtigen Ort richtig zur Geltung. Und da gilt es, die Ideen noch zurückzuhalten, wenn es diesen Ort noch nicht gibt. Das zahlt sich immer aus.
Ich habe eine klare Meinung zu Architektur, die mir gefällt, oder nicht. Und ich finde, man darf als Künstlerin mit der Zeit einen Anspruch haben, mit welcher Architektur die eigene Kunst zusammenspielen darf.
Wenn Du eine Architektur belanglos findest, Zweck oder Inhalt interessieren Dich aber brennend und Du hast auch schon lange eine super Idee für diesen inhaltlichen Kontext in petto... könntest Du da über das Ästhetische / die Qualität der Architektur hinweg sehen?
Vielleicht kann man dieses (Miss)Verhältnis zwischen uninspirierender Architektur und spannendem Inhalt ja aufnehmen und in die Idee einbauen. Man darf nicht unterschätzen: Kunst kann von etwas ablenken, auf etwas hinweisen, mit etwas spielen...
Zilla Leutenegger «TriemliMemory - Eine kleine Enzyklopädie des Alltags», 2015, Stadt Zürich, Amt für Hochbauten, Kunst und Bau. Foto: Zilla Leutenegger *
Zilla Leutenegger «TriemliMemory - Eine kleine Enzyklopädie des Alltags», 2015, Stadt Zürich, Amt für Hochbauten, Kunst und Bau. Foto: Zilla Leutenegger *
×Kannst Du Kunst und Bau Beispiele nennen, die Dir besonders gefallen? Die für Dich inspirierend sind für ein Zusammenspiel von Kunst & Architektur?
Pipilotti Rist macht tolle Kunst und Bau Arbeiten. „Blatt im Wind“ ist mir in besonderer Erinnerung geblieben: Alle 12 Minuten lässt ein Drucker ein mit einer Botschaft bedrucktes Blatt in den Innenhof der Schweizer Botschaft in Berlin schweben. Und je nach Windverhältnissen schwebt es auch weiter.. in die Stadt..
oder noch weiter. Ich weiss nicht, ob die Arbeit noch funktioniert, aber sie hat so viel Poesie – das reicht mir schon. Mir gefallen auch viele Kunst und Bau Arbeiten von Fischli/Weiss, wie z.B. „Schneemann“in Saarbrücken: Da steht ein Schneemann in einem Kühlschrank im Aussenraum - jahrein, jahraus... Mit Humor und Poesie wird der Energie-Kontext des benachbarten Heizkraftwerks in eine Form gebracht.
Peter Regli macht mit seinen reality hackings zum Teil ungefragt und im öffentlichen Raum Verschiebungen, z.B. indem er Alltagsobjekte mit abgeänderten Funktionen versieht, wie zum Beispiel die Uhr an der Fraumünsterpost, die er 1998 für einen Monat hat rückwärts laufen lassen. Es sind die verstörenden, kleinen Fragezeichen, die in die Welt gesetzt werden, die mich beflügeln.
Du unterrichtest auch an der ETH angehende Architektinnen und Architekten. Was ist Dir wichtig, Ihnen mit auf den Weg zu geben?
Weil die ETH das Entwerfen am Computer gepusht hat, ging das freie Zeichnen verloren. Damit Architekten auch in Zukunft einen Bleistift in die Hand nehmen und jemandem zeichnerisch erklären können, wie z.B. ein Eingang aussehen könnte, kommen jetzt 300 Studenten in meine Vorlesung, in der ich freies Zeichnen vermittle. Die Freude am Zeichnen und die Schönheit, die darin liegt, sind Qualitäten, die ich den Studenten mit auf den Weg geben möchte. Ich mache mit ihnen Übungen, in denen sie sehr schnell zeichnen und die Kontrolle verlieren müssen: Musik hören, einen Film gucken und gleichzeitig im Stehen und Gehen skizzieren. Wir zeichnen Hunde, die kläffend in den Saal spazieren, die rennen, kämpfen. Einen Motocross-Töff mit Fahrer, der unter lautem Getöse und stinkend in die Vorlesung reinfährt. Zeichnen ist nicht sitzen und in aller Ruhe ein Aktmodell auf dem Papier wiedergeben. Bei uns ist viel in Bewegung. Es ist laut und stinkt und wird physisch. Wir wissen nie, ob die Feuerpolizei kommt... Das ist die Atmosphäre, in der wir arbeiten. Und wenn es kribbelt, dann denken die Studenten gar nicht daran, ob sie etwas zeichnen können, sie tun es einfach und haben Freude.
Mir ist wichtig, dass aus meinem Unterricht nicht kleine Zillas rauslaufen, weil sie so zeichnen wollen wie ich, sondern dass jeder seine Zeichnungsart individualisiert. Dass sie nicht versuchen, in jeder Zeichentechnik mitzuhalten, sondern dort wo sie gut sind, besser zu werden.
* Bildunterschrift Zusatz: im Rahmen von «Disegno» Neubau Bettenhaus Stadtspital Triemli, Architektur: Aeschlimann Prêtre Hasler Architekten AG, Zürich