Kühle Brise
Text von Katharina Sommer
Zürich, Schweiz
21.09.15
Schon lange vor Erfindung der Klimaanlage zu Beginn des 20. Jahrhunderts nutzte der Mensch natürliche Techniken zur Gebäudekühlung. Und auch heute noch bieten die Nutzung klimatischer Bedingungen und thermischer Effekte sowie der richtige Einsatz von Verschattung und Begrünung vielfältige Möglichkeiten zur natürlichen Temperierung.
Die vorgehängten Pflanzbehälter der Fassade eines Einfamilienhauses von Vo Trong Nghia in Ho-Chi-Minh-Stadt erlauben Variationen in Gewächshöhe und -art. Bewässert werden die Pflanzen automatisch über ein integriertes System; Foto: Hiroyuki Oki
Die vorgehängten Pflanzbehälter der Fassade eines Einfamilienhauses von Vo Trong Nghia in Ho-Chi-Minh-Stadt erlauben Variationen in Gewächshöhe und -art. Bewässert werden die Pflanzen automatisch über ein integriertes System; Foto: Hiroyuki Oki
×Wer schon einmal einen Sommer in südlichen Gefilden verbracht hat, hat sicherlich schnell herausgefunden wie das Ferienhaus trotz hoher Tagestemperaturen einigermassen kühl gehalten werden kann: Tagsüber werden die Räume mittels geschlossener Fensterläden vor Überhitzung geschützt und nachts über Querlüftung gekühlt. Dieses einfache Prinzip der Kühlung durch natürliche Lüftung und Schutz vor Sonne lässt sich auch im grösseren Massstab auf architektonische Strukturen anwenden und durch bauliche Massnahmen und Begrünung perfektionieren, wodurch der Einsatz von zusätzlichen mechanischen Kühlsystemen reduziert oder vermieden werden kann.
Die Arena do Morro sticht durch ihre Dimensionierung und die helle Erscheinung aus der kleinteiligen und bunten Favelastruktur hervor und bildet einen weit sichtbaren, neuen öffentlichen Raum; Foto: Iwan Baan
Die Arena do Morro sticht durch ihre Dimensionierung und die helle Erscheinung aus der kleinteiligen und bunten Favelastruktur hervor und bildet einen weit sichtbaren, neuen öffentlichen Raum; Foto: Iwan Baan
×Erlaubt es der Standort, sind sogar offene Dach- und Wandkonstruktionen möglich. Als die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron den Auftrag für die Planung eines Sport- und Multifunktionszentrums im brasilianischen Natal erhielten, nutzen sie das milde tropische Klima und die Küstenlage für ein solches Konzept. Das 2014 fertiggestellte Gebäude ist Teil einer grösser angelegten Stadtplanung „A vision for Mãe Luiza“ und soll als neuer Treffpunkt für die Aufwertung der Favela Mãe Luiza sorgen.
Eine einfache, offene Stahlträgerkonstruktion überspannt den zentralen Sportplatz sowie daran angegliederte Räume und Tribünen. Eingedeckt ist diese mit gewellten Aluminiumpaneelen, die durch ihre versetzte Anordnung Wind hindurchlassen und gleichzeitig den Regen abhalten. Auch lassen sie indirektes Licht ins Innere und vermeiden dabei die direkte Sonneneinstrahlung. Ebenfalls die vor Ort angefertigte, mäandrierende Betonfassade, welche den Innenbereich räumlich strukturiert, ermöglicht durch die Perforierungen die Zirkulation Luft. Dach und Wände bilden somit eine transluzente und durchlässige Hülle. Diese bietet das erforderliche Mass an Sichtschutz, lässt die aufsteigende heisse Luft aber entweichen und nutzt gleichzeitig die Meeresbrise zur Kühlung. Zusätzliche mechanische Systeme zur Klimatisierung sind dadurch nicht erforderlich.
Im Zentrum des offenen Gebäudes liegt der Sportplatz mit den umliegenden Tribünen, an den verschiedene, runde Funktions- und Sporträume an den kurzen Seiten angeschlossen sind; Foto: Iwan Baan
Im Zentrum des offenen Gebäudes liegt der Sportplatz mit den umliegenden Tribünen, an den verschiedene, runde Funktions- und Sporträume an den kurzen Seiten angeschlossen sind; Foto: Iwan Baan
×Filterung und Lenkung des Sonnenlichts sowie Thermik und Querlüftung nutze auch der vietnamesische Architekt Vo Trong Nghia zur natürlichen Temperierung des 2011 in Ho-Chi-Minh-Stadt errichteten Einfamilienhauses Stacking Green. Ebenfalls in einer tropischen Klimazone gelegen, profitiert es zudem, wie der Name bereits verrät, von den positiven Effekten begrünter Fassaden und Dächer. Den kurzen Seiten des schmalen, viergeschossigen Hauses wurde daher jeweils eine bepflanzte, offene Fassade vorgehängt, die als grüner Filter vor Einblicken schützt, die Innenräume verschattet und dabei dennoch ausreichend Tageslicht ins Innere dringen lässt. Gleichzeitig kann die Luft bei geöffneten Fenstern zirkulieren, ohne dass der Sichtschutz verloren geht. Die in östlichen Kulturen wichtige Bedeutung des Gartens und die Vorliebe für offene Wohnräume wurden hier mit Möglichkeiten der natürlichen Kühlung und Belüftung kombiniert, sodass ein nachhaltiges Gebäude entstand, das auf einfache Weise Tradition mit Innovation verbindet.
Das offene Treppenhaus des Einfamilienhauses von Vo Trong Nghia bildet ein Atrium, das alle Geschosse verbindet und zum Filter zwischen Innen- und Aussenraum wird. Zudem kann die erwärmte Luft wie bei einem Kamin nach oben entweichen; Foto: Hiroyuki Oki
Das offene Treppenhaus des Einfamilienhauses von Vo Trong Nghia bildet ein Atrium, das alle Geschosse verbindet und zum Filter zwischen Innen- und Aussenraum wird. Zudem kann die erwärmte Luft wie bei einem Kamin nach oben entweichen; Foto: Hiroyuki Oki
×Auch in nördlicheren Gefilden lassen sich Bauten finden, die natürliche Systeme zur Temperierung nutzen, wenn hier auch nicht mit derart offenen Strukturen wie in tropischen Regionen gearbeitet werden kann. Ein Projekt von weitaus grösserer Dimension und komplexerer Funktion ist das 2014 von Henning Larsen Architects entworfene Universitätsgebäude in der dänischen Stadt Kolding.
Die eher ungewöhnliche Grundrissform, ein gleichschenkeliges Dreieck, findet sich in gestreckter Form in der Fassadengestaltung wieder. Die beweglichen Fassadenelemente aus perforiertem Metall bilden die äussere Hülle und regeln je nach Öffnungsgrad die Lichtintensität und damit auch die Erwärmung im Gebäudeinneren. Dieses vorgehängte System erlaubte den Architekten die Realisierung einer komplett verglasten Innenfassade, die eine natürliche Belichtung ermöglicht, ohne dabei Überhitzung im Sommer und hohe Energieverluste im Winter zu generieren. Gleichzeitig verleiht die sich je nach Tageszeit und Sonnenstand verändernde Fassadenoberfläche dem Bau ein markantes Äusseres, das besonders im Spiel mit geöffneten und geschlossen Flächen und damit Hell und Dunkel sowie Licht und Schatten zum Ausdruck kommt. Das Atrium, das ebenfalls die Dreiecksform aufgreift und über alle fünf Geschosse variiert, trägt mittels Nachtkühlung zu einer angenehmen Temperierung bei.
Je nach Sonnenstand und Lichtintensität öffnen und schliessen sich die Paneele der vorgehängten Fassadenhülle des von Henning Larsen Architects entworfenen Universitätsgebäudes in der dänischen Stadt Kolding; Foto: Martin Schubert
Je nach Sonnenstand und Lichtintensität öffnen und schliessen sich die Paneele der vorgehängten Fassadenhülle des von Henning Larsen Architects entworfenen Universitätsgebäudes in der dänischen Stadt Kolding; Foto: Martin Schubert
×Eine andere Strategie verfolgten SOM bei der Konzipierung eines Universitätsgebäudes im New Yorker Stadtteil Greenwich Village, das 2013 fertiggestellt wurde. Die 16-geschossige The New School fungiert als Campus für insgesamt acht zum Teil im Umkreis verteilte Fakultäten und beherbergt neben unterschiedlichen Lehrräumen auch eine Bibliothek und ein Studentenwohnheim. Um die Erwärmung zu verringern und Wärmeverluste zu reduzieren, minimierten die Architekten den Anteil der Verglasung des Universitätsgebäudes auf 35 Prozent. Eine optimierte Ausrichtung der verbleibenden Fensterflächen, die die Fassade im Wechsel mit der Kupferblechverkleidung strukturieren, sorgt dafür, dass es im Inneren trotzdem nicht an Tageslicht mangelt. Zusätzlich trägt ein begrüntes Dach zur Reduzierung des städtischen Wärmeinseleffekts bei und kühlt gleichzeitig die umgebende Luft.
Die Erschliessungs- und Gemeinschaftsräume des von SOM konzipierten Universitätsgebäudes in New York winden sich gleichsam um das Gebäude und zeichnen sich im Kontrast zur Kupferfassade nach aussen ab; Foto: James Ewing
Die Erschliessungs- und Gemeinschaftsräume des von SOM konzipierten Universitätsgebäudes in New York winden sich gleichsam um das Gebäude und zeichnen sich im Kontrast zur Kupferfassade nach aussen ab; Foto: James Ewing
×Schon lange vor Erfindung der Klimaanlage zu Beginn des 20. Jahrhunderts nutzte der Mensch natürliche Techniken zur Gebäudekühlung. Und auch heute noch bieten die Nutzung klimatischer Bedingungen und thermischer Effekte sowie der richtige Einsatz von Verschattung und Begrünung vielfältige Möglichkeiten zur natürlichen Temperierung. Die hier vorgestellten Projekte zeigen, dass diese Techniken dabei mehr als nur Mittel zum Zweck sind – sie wurden vielmehr zu gestaltbildenen Elementen und damit Teil der Architektur.
Schmale, horizontale Fensterbänder lassen ausreichend Ausblick und Tageslichteinfall zu. Verschattet werden sie durch die schräg angeordneten Fassadenkupferbleche, die damit zusätzlich der Überhitzung vorbeugen; Foto: James Ewing
Schmale, horizontale Fensterbänder lassen ausreichend Ausblick und Tageslichteinfall zu. Verschattet werden sie durch die schräg angeordneten Fassadenkupferbleche, die damit zusätzlich der Überhitzung vorbeugen; Foto: James Ewing
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