«Sex and the City?» Architektonisch!
Text von Klaus Leuschel
Bern, Schweiz
01.02.09
Der Kosmos der Madelon Vriesendorp im Swiss Architecture Museum
»Empire State» und das «Chrysler Building» liegen in unzweideutiger Absicht auf dem Bett. Auf einem anderen Bild liegt das Luftschiff einer Gummimarke wie ein Kondom knitterig über der Bettkante. Auf einem Dritten versuchen die Architekten der Metropole New York zu entfliehen, während die Gegenströmung sie unaufhaltsam der Stadt entgegentreibt.
Souvenirvitrinevon Madelon Vriesendorp. Foto: Shumon Basar
Souvenirvitrinevon Madelon Vriesendorp. Foto: Shumon Basar
×Diese Bilder sind in Architektenkreisen so bekannt wie Le Corbusiers Brille. Dabei sind sie «für die städtische Architektur bedeutender als Piranesi oder der Film Metropolis», wie die Finacial Times befand. Die Rede ist von Abbildungen, mit denen ihr Ehemann Rem Koolhaas 1978 sein Manifest «Delirious New York« illustrierte und mit denen er quasi über Nacht zum Guru der grossstädtischen Gegenwartsarchitektur wurde.
All diese Werke entstanden in der Zeit der Studentenunruhen und machen jetzt in einer grandiosen Kabinettausstellung im Schweizerischen Architekturmuseum (SAM) in Basel halt. Fabriziert hat die Aquarelle, Gouachen und Zeichnungen die Holländerin Madelon Vriesendorp. Eine bescheidene, zierliche Frau, die in ihrer Wahlheimat London als ebenso generös wie exzentrisch den Beinamen «Maddie» (= verrückt) trägt. Die Frage ihrer Zeitgenosssen, warum sie sich nicht aktiv an der Stdentenrevolte beteiligten, parierte sie schweigend – mit jenem Bewusstsein, welches im Kunstkontext seinen Ausdruck darin fang: »La rivoluzione siamo noi!«
«Es waren keineswegs Auftragsarbeiten!», merkt sie in Basel lächelnd, fast zaghaft entschuldigend, an. Sie «entstanden als Folge einer intensiven Auseinandersetzung über die Möglichkeiten der Architektur» und markieren damit jenen Moment, als das zwanghafte Korsett der Moderne in seinen Möglichkeiten restlos »erschöpft schien».
Heute rühmen sich das Guggenheim Museum in New York, die Architekturmuseen in Deutschland (Frankfurt) und Kanada (Montreal) dieser Originale, um die sich seit mehr als 40 Jahren der New Yorker Galerist Max Protech kümmert. Und es wäre vielleicht eine zum Gähnen langweilige Ausstellung, gäbe es in Basel einzig all die bekannten Bilder zu bestaunen.
Nein, weit mehr als das. So kombinierte Madelon Vriesendorp etwa Souvenirs aus aller Welt zu einer Vitrine als Bild von Manhattan, das aus ihrer Wohnung in die Ausstellung überführt wurde und in der sich Chinesen oder Italiener wieder finden können wie in «Little Italy» oder «Chinatown». Dabei jongliert die Holländerin zwischen der Banalität von «Trivial Pursuit» und psychoanalytischen Motiven Sigmund Freunds. Insofern sind die Bildwelten immer auch Reflexionen ihres Ich.
Was die Ausstellung zum Ereignis der Extraklasse macht, sind just diese unterschiedlichen Ebenen, welche Madelon Vriesendorp in ihrer Arbeit einfließen lässt. So bereitet Architektur vor allem Lust und Freude! Und dabei ist die Holländerin für den Schweizer Ausstellungsmacher Hans-Ulrich Obrist erstaunlicherweise einer breiteren Öffentlichkeit ein bis heute «fast unbekanntes Künstlergenie».
«A Life without Objects» steht auf einem der Bilder. Eine Widmung des italienischen Architektenkollegen Adolfo Natalini (Superstudio) und, wie Madelon Vriesendorp gegenüber architonic unumwunden zugibt, «eine Sehnsucht, die mich bei meiner Sammelmanie nie verlassen wird!»
Das eingangs zitierte Bild zu Strömung und Gegenströmung (10 Ans Après l'Amour) kommentiert sie bei der Pressekonferenz in Basel als paradigmatisch für die Entwicklung der modernen Architektur. Was einmal mehr einzig das »Honi soit, qui mal y pense« bestätigen dürfte, und das dann wohl keinesfalls nur in der Schweiz! Ob das die Wahl-Londonerin auch so sieht? »Warum fügen Sie mit einer Veröffentlichung nicht einfach der Reihe der Mißverständnisse eine weiteres hinzu?« Auch bei dieser Frage läßt ihr Lächeln keine Zweifel aufkeimen, wie sehr sie der Schalk auch heute noch motiviert.
bis 22.03.2009