Wer grosse und geniale Ingenieurlösungen will, muss sich einen fast naiven Glauben daran bewahren, dass alles möglich ist.

Pinguinhaus im Londonder Zoo (1934). © ZSL

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Pinguinhaus im Londonder Zoo (1934). © ZSL

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Dem italienischen Architekten Adolfo Natalini verdanken wir die traurige Erkenntnis, dass von 100 Kindern, die eingeschult werden, 100 begeistert malen und zeichnen, während beim Schulabschluss nur noch eines übrig geblieben ist, das überhaupt zeichnen oder malen kann. Ähnlich Ernüchterndes liesse sich wohl zum Basteln feststellen, zumal Kinder – männlich und weiblich – längst nicht mehr mit Kreativität und Fantasie anregenden Baukästen spielen, sondern lieber das Raumschiff aus den „StarTrek“-Filmen so nachbauen, wie ein dänischer Spielzeughersteller es ihnen vorgibt.

Umso überraschender ist es, wenn es dem Londoner Architekten Richard Rogers bei seiner Ausstellung „Inside Out“ in der Royal Academy 2013 eminent wichtig war, den Kids in einem Raum der Ausstellung die Stadt London als Modell zur Verfügung zu stellen – mit der Möglichkeit spielerischer Ergänzungen um Fantasiebauten.

Rogers, der seine bis heute anhaltende Begeisterung für die konstruktiven Möglichkeiten der Architektur auch schon mal unter Verweis auf seine eigenen Kindheitserfahrungen mit längst vergessenen Meccano- (oder Stabilo-)Baukästen erklärt, ging es dabei dennoch nicht um die Vergangenheit, als vielmehr um unsere Zukunft.

Sir Ove Arup by Godfrey Argent, 25 April 1969; © National Portrait Gallery, London

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Sir Ove Arup by Godfrey Argent, 25 April 1969; © National Portrait Gallery, London

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Wer grosse und im Extremfall geniale Ingenieurlösungen will, muss sich eine fast naive Faszination für das bewahren, was in dem Werbeslogan „Nichts ist unmöglich“ vollmundig in der wohl kürzest möglichen Formel zum Ausdruck kommt. In der Architekturgeschichte gilt das Opernhaus von Sydney des dänischen Architekten Jørn Utzon längst als grandioses Beispiel eines Projektes, das nur durch Ingenieure zu retten war.

Nicht durch irgendein Büro, sondern durch das des dänisch-stämmigen Ove Arup (1895 – 1988). Der hatte zunächst Philosophie studiert, bevor er über ein Mathematikstudium beim Ingenieurwesen gelandet war. Dieser Werdegang trägt erheblich zur Erklärung bei, wie der Wahl-Londoner im 20. Jahrhundert zu einem der bedeutendsten Männer in der Geschichte seines Faches wurde.

Anfang der Dreissigerjahre verbündete sich der Architekt Berthold Lubetkin (Tecton Group), der als Avantgarde-Vertreter aus dem stalinistischen Russland geflohen war, mit Ove Arup, um den Penguin-Pool im Londoner Zoo zu verwirklichen. Mit der Behauptung, Pinguine könnten sich auf der freikragenden Betonspirale unmöglich wohl fühlen hat der salonfähig gewordene Spott mittlerweile selbstverständlich auch dieses Meisterwerk der Moderne erreicht. Vergessen scheint, dass über 75 Jahre keinerlei Auffälligkeiten vermeldet wurden. Weder von den Tierpflegern, noch von der Zooleitung und auch nicht von Tierschützern. Zumindest nicht die Tiere betreffend.

Opernhaus von Sydney im Bau; 6 April 1966; © Robert Baudin for Hornibrook Ltd. Courtesy Australian Air Photos

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Opernhaus von Sydney im Bau; 6 April 1966; © Robert Baudin for Hornibrook Ltd. Courtesy Australian Air Photos

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Spätestens seine genial einfache Lösung für das Opernhaus in Sydney begründete Ove Arups Ruf als Problemlöser. In London wurde Utzons Idee in ein sphärisches Modell übertragen, aus dem die Segmente der einzelnen Dachschalen – wie Kuchenstücke – herausgeschnitten und in präfabrizierte Elemente übersetzt wurden. Arup, der die Bedeutung des Daches sofort erkannt hatte und es gegenüber den Entscheidern vehement verteidigte, mutierte so zu dessen Retter.

Mit dieser und ähnlich bahnbrechenden Leistungen als Structural Engineer begründete Ove Arup seinen Ruf. Le Corbusier, der Arup ebenfalls sehr schätzte, porträtierte ihn und Walter Gropius sah in ihm einen Geistesverwandten, der rigider noch als er selbst die Ansicht vertrat, Architektur könne nur dann zum bestmöglichen Ergebnis führen, wenn Architekten und Ingenieure von Anfang an gleichberechtigt und lösungsorientiert zusammenarbeiten. „Qualität“ war einer seiner zentralen Ansprüche, im „Geld“ sah er nur das notwendige Mittel, hohe Ambitionen zu verwirklichen.

Opernhaus von Sydney; © David Messent

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Opernhaus von Sydney; © David Messent

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Im Team in Sydney befand sich ein junger Ire, der ob seines Talents mit nach Australien geschickt worden war. Sein Name: Peter Rice. Der „James Joyce des Ingenieurwesens“ (Jonathan Glancey) avancierte in Folge seiner Mitarbeit am Centre Beaubourg (wiederum im Team von Arup) zum zeitweiligen Partner von Renzo Piano (Projekt: The Menil Collection; beratendes Ingenieurbüro: Arup).

Apropos Beaubourg (Architektur: Piano + Rogers): Mit seinen sechs stützenlosen Ebenen oberirdisch bei 7.400 m2 Geschossfläche (ein Fussballfeld hat ca. 7.140 m2 Fläche) gilt es als weiterer Meilenstein der Ingenieurskunst. Dabei ist die Referenzliste des Büros so weltumspannend wie klangvoll: von der Hauptverwaltung der HSBC in Hongkong (Foster + Partners), über den japanischen Flughafen Kansai (Renzo Piano Building Workshop), bis zum Bird’s Nest in China (Herzog & DeMeuron).

Arup beschäftigt aktuell 14.000 Mitarbeiter weltweit. Andere erfolgreiche Ingenieurbüros, wie das BuroHappold in Bath oder jenes von Cecil Balmond in London, würde es ohne die Erfahrungen ihrer Namensgeber bei Sir Ove wahrscheinlich gar nicht geben. Der grossgewachsene Musikliebhaber hatte nie Scheu vor unkonventionellen Lösungen, solange sie der Sache dienten. So betrieb Peter Rice zeitweilig ein eigenes Büro in Paris, mit dem er im direkten Wettbewerb zu Arup stand und sass gleichzeitig als Partner (mit Teilzeitpensum) in Arups Verwaltungsrat.

Fassade des Centre Pompidou; © Ian Dagnall Alamy Stock Photo

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Fassade des Centre Pompidou; © Ian Dagnall Alamy Stock Photo

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Diese Partnerschaft ist eine der Besonderheiten einer Firma, die eigentlich einem „Trust“ gehört. Das Besondere dieser Struktur ist, dass Mitarbeitern Anteile überschrieben werden, mit denen sie in die Führungsebene aufrücken. Die Anteile können (z.B. bei Pensionierung oder Tod) aber nur zum festgeschriebenen Wert an den Trust zurückverkauft werden. Getreu der Devise des Gründers, dass Geld nur Mittel zum Zweck sein kann, gehört das Unternehmen also eigentlich niemandem.

Wie stark der Däne noch über seinen Tod hinaus nachwirkt, verdeutlicht die Verinnerlichung seines „Total Design“-Anspruchs durch die Mitarbeiter. Vielleicht aber noch weit mehr die Innovationsfähigkeit seines Büros. Doch gerade die scheint in der jüngsten Vergangenheit etwas zu erschlaffen. Eine „SolarLeaf“ getaufte Lamelle mit solarthermischem Effekt (Arup/Colt/SCC©) erscheint doch etwas dürftig vor dem Hintergrund epochaler Meisterwerke in der Architektur während mehr als einem halben Jahrhundert. Vielleicht ist es nur Ausdruck eines Wandels, an dem auch die Architektur nicht vorbei kommt: weg vom Star-Denken, hin zum Teamwork und zu neuen technologischen Ansätzen.

Ansicht der of Kingsgate Bridge; Durham 1963

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Ansicht der of Kingsgate Bridge; Durham 1963

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Im Übrigen wurde der Name des Ingenieurbüros bis heute nie diskreditiert, wie ein Beispiel verdeutlichen sollte: Beim Opernhaus in Sydney hatte Arup 1957 den Pegasus MK I Computer der Ferranti Ltd., den ersten seiner Art in England, für die komplexen Berechnungen auf Stundenbasis angemietet. Der Grund: Zeit war Geld (wert)! Als das Dach 1962 fertiggestellt war, ergaben Nachberechnungen, dass traditionelle Handarbeit – damals mit dem Rechenschieber – die Fertigstellung um weitere fünf Jahre verzögert hätte.

© Klaus Leuschel für Architonic