„Es gibt immer Ideen, die an einem vorbeifliegen. Man muss sie nur aufgreifen“: AMDL CIRCLE x Mara
Brand story von Simon Keane-Cowell
Passirano Brescia, Italien
10.04.24
Die Designlegende Michele De Lucchi und sein Team von AMDL CIRCLE haben sich den Innovationsgeist und die Handwerkskunst des italienischen Möbelherstellers Mara zunutze gemacht, um TYPO zu entwerfen. Ein Stuhl, der die Typologie verändert und das Glück des Zufalls feiert.
AMDL CIRCLE, das Team von Michele De Lucchi, hat sich mit Mara zusammengetan, um einen neuen Stuhl zu entwerfen: TYPO
AMDL CIRCLE, das Team von Michele De Lucchi, hat sich mit Mara zusammengetan, um einen neuen Stuhl zu entwerfen: TYPO
×Wer mich kennt, weiß, dass ich gerne Fragen stelle. Vielleicht zu viele.
Aber wenn man Michele De Lucchi, der italienischen Architektur- und Designlegende, begegnet, ist man ganz Ohr, so groß ist das Kaliber seiner Gedanken und die Eloquenz seines Ausdrucks, die sich auf mehr als ein halbes Jahrhundert experimenteller und manchmal ikonoklastischer kreativer Praxis stützen. De Lucchis hat viel gesehen und viel gemacht, von seiner Beteiligung an avantgardistischen Designkollektiven wie Studio Alchimia und Memphis bis zu seinen Entwürfen wie etwa für die Lampe Tolomeo, die mit dem Compasso d'Oro ausgezeichnet wurde, oder die Kaffeemaschine Pulcina.
Die Tatsache, dass De Lucchis Kommentare von so viel Erfahrung zeugen, führte dazu, dass ich bei einem kürzlichen Telefongespräch mit ihm das einzigartige Vergnügen hatte, mehr zuzuhören als Fragen zu stellen. (Als ich andeutete, dass er von vielen als „Elder Statesman“ des Designs angesehen wird, strich er sich wie auf ein Stichwort durch seinen langen grauen Bart. Ich denke, ein wenig Performance kann nicht schaden.)
Wie der Name schon sagt, spielt TYPO mit der Idee des zufälligen Fehlers, des glücklichen Ereignisses
Wie der Name schon sagt, spielt TYPO mit der Idee des zufälligen Fehlers, des glücklichen Ereignisses
×Sein Mailänder Büro AMDL Circle hat es sich zur Aufgabe gemacht, Designideen und -lösungen zu erforschen und zu entwickeln, die auf Wohlbefinden und Nachhaltigkeit ausgerichtet sind. In seiner jüngsten Zusammenarbeit hat es einen neuen Stuhl für den aufstrebenden Möbelhersteller Mara entworfen. Der Stuhl mit dem Namen TYPO spielt mit der Idee des zufälligen Missgeschicks, des glücklichen Unfalls. Seine Rückenlehne aus Stahlprofilen ist so innovativ gebogen, dass eine Reihe tiefer Falten entsteht. Das kontrollierte Missgeschick („Falten sind im Design nie wirklich erwünscht“, sagt De Lucchi) wird zur Tugend und hinterlässt den Eindruck eines Materials, das gleichzeitig superfest und irgendwie weich und fleischig ist.
Die Zusammenarbeit von AMDL CIRCLE und Mara war von Experimentierfreude geprägt. Es geht darum, Grenzen zu verschieben, anstatt Millionen von Stücken auf einmal zu produzieren
Die Zusammenarbeit von AMDL CIRCLE und Mara war von Experimentierfreude geprägt. Es geht darum, Grenzen zu verschieben, anstatt Millionen von Stücken auf einmal zu produzieren
×Lesen Sie hier mein Gespräch mit De Lucchi und seinem Kollegen Davide Angeli, dem stellvertretenden Geschäftsführer von AMDL CIRCLE, über experimentelle Wege, das Besondere der italienischen Designkultur und die Tatsache, dass Tofu nicht jedermanns Sache ist.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Mara?
Davide Angeli: Nun, wir hatten die Gelegenheit, uns mit ihnen zu treffen und sie zu besuchen. Dabei entdeckten wir diese Fabrik, die sehr engagiert war und den Wunsch hatte, zu wachsen und sich auf dem Markt zu etablieren. Wir stellten fest, dass sie im Gegensatz zu vielen anderen Unternehmen noch fast alles selbst herstellen. Sie produzieren Prototypen, probieren dann etwas Anderes aus und versuchen das dann weiterzuentwickeln.
Wir waren wirklich fasziniert von der Tatsache, dass sie im Grunde ein industrielles Verfahren anwenden, aber dennoch eine Art handwerkliche Mentalität haben. Ja, man kann Fehler machen, wenn man handwerklich arbeitet. Man kann etwas nur einmal versuchen. Es geht nicht darum, Millionen von Stücken auf einmal zu produzieren. Bei Mara probiert man Dinge aus, man experimentiert mit ihnen.
Mit Hilfe innovativer Biegetechniken wird das Stahlprofil von TYPO so geformt, dass eine Reihe von tiefen Falten entsteht
Mit Hilfe innovativer Biegetechniken wird das Stahlprofil von TYPO so geformt, dass eine Reihe von tiefen Falten entsteht
×Erzählen Sie mir etwas über den Design- und Entwicklungsprozess.
DA: Die meisten Produkte, die Mara herstellt, bestehen aus quadratischen Metallprofilen. Sie werden zugeschnitten, zusammengefügt usw. Also fragten wir: ‚Warum versucht ihr nicht, dieses Profil andersherum zu biegen, an der Kante, an der Ecke, anstatt an der flachen Seite?‘ Die erste Reaktion war: ‚Oh nein.‘ Aber dann versuchten sie es mit mindestens hundert verschiedenen Stücken, von denen wir einige als Skulpturen hier im Büro aufbewahren. Mara hat versucht, vor dem Falten verschiedene Materialien wie Teflon und so weiter in das Innere zu bringen.
Michele De Lucchi: Normalerweise kämpft man beim Falten gegen die Verformung des Materials. Man versucht, ein möglichst perfektes Ergebnis zu erzielen. Aber wenn man an der Kante eines Metallprofils faltet, belastet man das Metall, und es entstehen tiefe Falten. Wie wenn man sich das Handgelenk abknickt.
DA: Und das hat uns fasziniert. Tief in den Herstellungsprozess einzugreifen und etwas so Banales – wenn man so will –das seit über 50 Jahren verwendet wird, zu verändern.
Das Material erweckt den Eindruck, superrobust zu sein, hat aber eine weiche, fast fleischähnliche Qualität
Das Material erweckt den Eindruck, superrobust zu sein, hat aber eine weiche, fast fleischähnliche Qualität
×MDL: Das ist etwas ganz Besonderes für italienisches Design, italienische Produktion und italienisches Handwerk. Die Situation, die Davide gerade beschrieben hat, gibt es in anderen Ländern nicht. Weder in Deutschland noch in Frankreich noch in Spanien. Diese Liebe, direkt mit der Hand zu produzieren, mit der Hand zu experimentieren und nicht nur theoretisch. Das ist sehr italienisch und macht deshalb das italienische Design so innovativ, so experimentell und auch so erfolgreich in der Welt.
Es war wie ein zufälliger Moment. Im Design wollen wir immer etwas Neues schaffen, etwas Spektakuläres, etwas Schockierendes, aber auf eine positive Art und Weise. Falten sind im Design eigentlich nie wirklich erwünscht. Niemand will sie haben, schon gar nicht am Körper. (lacht)
Es sei denn, sie sind extrem scharf und grafisch. Denken Sie an Issey Miyake, der mit Falten Karriere gemacht hat, indem er Origami auf Textilien übertrug.
MDL: Nun, die Freundschaft mit Issey war für uns sehr inspirierend. Vor ein paar Wochen habe ich ein Foto von Davide und mir mit Issey Miyake gefunden. Als wir uns das letzte Mal trafen, wollte er mit uns in ein Tofu-Restaurant gehen. Ich hasse Tofu. Aber ich wollte so höflich wie möglich sein und zeigen, wie sehr ich Tofu liebe. (lacht)
DA: Und es gab 15 Gänge. Nur Tofu.
TYPO verkörpert das beste italienische Design und spiegelt die Leidenschaft für handwerkliches Können und praktisches Experimentieren wider
TYPO verkörpert das beste italienische Design und spiegelt die Leidenschaft für handwerkliches Können und praktisches Experimentieren wider
×Was ich an Ihrem neuen Stuhl TYPO besonders bemerkenswert finde, ist der Widerspruch, die Spannung zwischen seiner Materialität, einem robusten, superharten Metall, und seinem formalen Ausdruck. Diese Falten sind wie Fleisch, mit all seiner optischen Weic
DA: Vielen Dank. Wir haben versucht, diese neue Logik mit der Idee eines archetypischen Stuhls zu verbinden. Wie die, mit denen wir alle als ältere Architekten angefangen haben. Der Stuhl eines Zeichners, wenn man so will. Diese Typologie ist in den Köpfen sehr verbreitet. Wir wollten etwas schaffen, das kein High-End-Objekt ist, sondern etwas, das einfach und zugänglich ist. Wir haben das Holz für Sitz und Rückenlehne weicher gemacht und versucht, ein ganz besonderes Holz zu verwenden.
MDL: Ich glaube, das ist genau das, was wir den Design-Studierenden immer wieder vermitteln wollen. Wachsam zu sein für das, was einem begegnet. Man muss nur die besten Ideen aufgreifen. Es gibt immer eine Reihe von Ideen, die an einem vorbeiziehen. Man muss sie nur im richtigen Moment aufgreifen. Das ist eine Botschaft an die gesamte Design-Gemeinschaft. Denn etwas Neues zu schaffen, scheint oft unmöglich. Es gibt so viele Stühle. So viel von allem, dass wir uns fragen: Warum? Aber in Wirklichkeit gibt es so viel zu tun. Design kann so viel bewirken. Besonders,s wenn es um Nachhaltigkeit geht.
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Halle 18 Stand C15
© Architonic
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