Milano....2009
Text von Nils Becker
Zürich, Schweiz
28.04.09
Messebericht von dem 'Salone Internazionale del Mobile' und der Design Week Mailand
Lange Warteschlangen am Eingang, in der U-Bahn oder an Taxiständen, Verkehrsinfarkt rund um das Messegelände, überbuchte Hotels oder frustrierte Möbelunternehmer, die sich seit Jahren vergeblich um eine Stand-Fläche bemühen, waren die letzten drei Jahre untrügliche Zeichen, dass die weltgrösste Möbelmesse in Mailand ihre Pforten geöffnet hatte.
Wer erwartet hatte, in Zeiten der Finanzkrise würde auch der Salone als Grossveranstaltung mit leeren Flächen oder stark rückläufigen Aussteller- und Besucherzahlen zu kämpfen haben, durfte gegenteiliges erleben: Die Stimmung unter den Ausstellern war gut und optimistisch. Gerade das, was nach dem verpatzten Saisonstart mit der Möbelmesse Köln im Januar zu grossen Spekulationen geführt hatte und als weitere negative Schlagzeile mit Signalwirkung für die Branche gesehen wurde, erwies sich als Vorteil. Das Fernbleiben der ganzen Charme Gruppe mit den renommierten Möbelmarken Cappellini, Cassina, Alias und Poltrona Frau vom Messegelände, die mit Ihrer gigantischen Präsenz die Messe bis dahin dominierte, hat eine neue Flächenverteilung ermöglicht, die der Messe gut getan hat: Andere renommierte Firmen konnten dieses Jahr ihre Flächen vergrössern und damit ihre Produktpräsentation verbessern oder nach Jahren des Wartens zum ersten Mal in Mailand auf dem Messegelände ausstellen. Erwähnenswert ist, dass zahlreiche deutsche Firmen von dieser Entwicklung profitiert haben.
Ebenfalls profitiert vom Wegzug der Charme Gruppe vom Messegelände hat der 'Fuorisalone'. Fuorisalone werden landläufig alle Produktpräsentationen mit Event- und Kunstcharakter ausserhalb des Messegeländes genannt. Gestartet als unabhängige Plattform für Designer und kleine Designlabels, nutzen heute, wie die Charme Gruppe mit ihrem Design Village in der Via Savona, immer mehr renommierte Hersteller Flächen und Orte des urbanen Raums für ihre Produktpräsentation. Besonders reizvoll ist für den Besucher das Zusammenspiel von architektonischem Raum und ausgestellten Objekten, sowie das Erkunden von Orten, die ausserhalb der Milan Design Week nicht zugänglich sind. Besonders charmant ist das Nebeneinander von Installationen etablierter Möbelmarken und Designer oder Designstudenten. Selten sieht man Kommerz und Experiment so nah beieinander.
Ein besonderes Highlight der diesjährigen Möbelmesse war die Ausstellung 'Senseware' im Triennale Ausstellungsgebäude: Kuratiert vom japanischen Designer Kenya Hara, haben namhafte Architekten, Designer und Künstler wie Antonio Citterio, Shigeru Ban, Kengo Kuma, Ross Lovegrove, Nendo und Makoto Azuma die zahlreichen Möglichkeiten von Kunstfaserwerkstoffen anhand von poetischen, spielerischen und visionären Produkten und Anwendungen aufgezeigt.
Trotz einem Jahr Wirtschaftskrise hat der Salone in Mailand seine Position als globale Leitmesse für Wohnen und Einrichten weiter ausgebaut. Die wichtigsten Faktoren für diese Entwicklung sind nur zum Teil in der Messe selbst zu finden. Natürlich ist das Koppeln der Möbelmesse mit den jährlich im Wechsel stattfindenden Messen Euroluce und Bagno/Cucine - jede für sich schon ein Schwergewicht - auf dem gleichen Gelände etwas, das keine andere Messe zu bieten hat. Eine entscheidende Rolle spielt aber das, was sich nüchtern unter dem Begriff Milano Design Week darstellt: Eine Vielzahl von Ausstellungen, Installationen, Events und Showrooms in höchster Qualität mit den Hot Spots Zona Tortona und den Ausstellungen im Triennale Gebäude. Hier wetteifern Dutzende von Herstellern, Organisationen und Designern mit besten Ausstellungen in den interessantesten Locations. Und wenn man die Entwicklung seit Beginn des Fuorisalone 2003 betrachtet, sind Aufwand und Qualität der Ausstellungen beachtlich gestiegen. Keine Messe der Branche kann mit einem derart hochkarätigen Beiprogramm mithalten. Auch wenn die wachsende Zahl von Verkaufsbuden in der Zona Tortona inzwischen an eine jahrmarkt-ähnliche Massenveranstaltung erinnerten: Allein die Ausstellung 'Senseware' war eine Reise nach Mailand wert.