Prototyp
Text von NoéMie Schwaller
Zürich, Schweiz
02.07.09
Ein Forschungsprojekt am Institut für Theorie der Zürcher Hochschule der Künste untersucht aktuelle Möbel-Arbeiten aus Design und Kunst.
Ein Forschungsprojekt am Institut für Theorie der Zürcher Hochschule der Künste untersucht aktuelle Möbel-Arbeiten aus Design und Kunst.
Design und Kunst
Seit das moderne Autonomiekonzept der Kunst vor über 100 Jahren eine Abgrenzung beider Bereiche notwendig werden liess, haben sich Gestalter und Künstler immer wieder Gestaltungs- und Produktionskonzepte des jeweils anderen Feldes angeeignet. Heute sind diese Versuche in Ausstellungspraxis, Herstellungsformen und Vertriebswegen vermehrt zu beobachten. Aufgrund verschiedener Selbstverständnisse und Diskurse in den Feldern Kunst und Design scheint es jedoch nicht sinnvoll, einfach die Auflösung von Grenzen auszurufen. Vielmehr wird mit dem übergreifenden Forschungsansatz des Projektes zwischen Design, Kunsttheorie und Soziologie ein veränderter Funktionsbegriff und das aktuelle Verhältnis zu den hergestellten Dingen untersucht.
Möbel
Möbel-Objekte erfüllen als Ordner, Vermittler oder sogar Prothese tägliche Funktionen zwischen Körper und unseren Lebensräumen. Dabei lassen sich zwangsläufig enge Beziehungen zwischen ihrem ästhetischen Auftritt und dessen Bedeutungen für Funktion, Objektverhältnis und unserer Lebenswelt beobachten.
Nachdem in den späten 1990er Jahren einige Künstler und Kollektive wie Tobias Rehberger, Jorge Pardo oder N55 im Kunstkontext tatsächlich funktionierende und benutzbare Möbel produzierten, scheinen aktuelle künstlerische Positionen wie Florian Slotawa, Tom Burr oder Xabier Salaberria weniger an tatsächlicher Funktionalität, sondern eher an der visuellen Option einer möglichen Nutzung interessiert. Spricht der britische Autor Alex Coles bei den Lounge-Einrichtungen eines Jorge Pardo noch von einer symbiotischen "Design-Art", so liessen sich heute die dysfunktionalen Möbelfragmente eines Florian Slotawa wohl treffender als "Kunst über Design" bezeichnen.
Aktuelle Entwicklungen
Funktionale Unbestimmtheit und Forderungen nach Design als kritischer Praxis bestimmen zunehmend auch die Diskussion um zeitgenössisches Produkt- oder Grafik-Design. So zielen einige Designer mit ihren mehrdeutigen, oft zweckoffenen Formen sowohl auf ein verändertes, multioptionales Kundenverhalten wie auch auf eine totale Veränderung des Funktionsbegriffs hin. Nach dem Ende eines allumfassenden "Corporate Looks" in den 1990er Jahren scheint man die gestalterischen Kompetenzen eher einem aktiven Konsumenten zu überantworten. Das Feld der individuellen Aneignung wird dort zum eigentlichen Gestaltungsvorgang, etwa in der Umdeutung von Ready- Mades aus der Massenproduktion in besondere Design-Objekte wie z. B. in Arbeiten des Designers Frederic Dedelley. Mit diesen wechselseitigen Einflüssen zwischen Möbel-Entwürfen im zeitgenössischen Design- und Kunstkontext wird sich das Forschungsprojekt auseinandersetzen - zwischen gebrauchsoffenem und "kritischem Design" auf der einen Seite und den fragmentarischen "Möglichkeitsmöbeln" aktueller Kunst auf der anderen Seite. Ermöglicht wird das Projekt durch das Programm DORE des schweizerischen Nationalfonds und läuft von Dezember 2008 - November 2009.
Tätigkeit / Veranstaltungen
Neben der Arbeit des Forschungsteams in Interviews und bildwissenschaftlichen Untersuchungen stehen auch zwei öffentliche Veranstaltungen auf dem Forschungsplan: Ein Praxisworkshop im Juli 2009 und ein Symposium im November 2009. Aus den Ergebnissen der ersten Projektphase werden Konzepte für eine Publikation, eine Ausstellung sowie eine prototypische Zusammenarbeit mit Wirtschaftspartnern aus der Produktion entwickelt. Für 2010 ist ein Anschlussprojekt geplant.
Praxis-Workshop in Boisbuchet, Frankreich
19. - 26. Juli 2009
Sigga Heimis (SE) / Florian Slotawa (D)
Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Arbeitsweise von Künstlern und Designern werden in diesem Workshop untersucht. Anhand vorgegebener Materialien und Räume werden unterschiedliche Situationen mit Möbeln geschaffen. Der Umgang mit Beschränkungen auf der einen und einem offenen Prozess auf der anderen Seite stehen dabei im Vordergrund. Zum Beispiel soll untersucht werden, welche Ziele man sich setzt, welche kreative Strategien entwickelt werden, wie man vorhandenes Material interpretiert, wie kooperativ bzw. individuell gearbeitet wird und in welchem Verhältnis Autor und Werk stehen. Der Workshop ist Teil des weiterführenden Forschungsprojekts 'Prototyp' und wird von einem Kunst- und einem Designwissenschaftler begleitet. Voraussetzung für die Teilnahme ist eine Ausbildung bzw. Profession als Künstler oder Designer.
Sigga Heimis (SE)
Geboren in Reykjavik, Island 1970. Abschluss als Industriedesignerin am Istituto Europeo di Design in Mailand, 1994. Für Ihr Abschlussprojekt wurde sie mit dem Compasso D’Oro ausgezeichnet. Ihr eigenes Design-Büro H&H eröffnete sie 1995 in Island. Von Möbeln über Interieur bis hin zu medizinischen Anwendungen war Sigga Heimis bisher für verschiedene Unternehmen weltweit als Designerin tätig. Nachdem sie im Jahr 2000 wieder nach Mailand zurück ging, absolvierte sie einen Master-Abschluss an der Domus Academy und setzte ihre Arbeit für H&H fort. Ab 2001 arbeitete sie für Ikea in Schweden lebt dort. Dort entwarf sie Produkte in allen Bereichen: von Kinder-Möbeln bis hin zu Brotkörben. Als Dozentin lehrte Sigga Heimis u.a. an den Designschulen Eindhoven Design Academy, Royal College of Art in London, Domus in Mailand, University of Art and Design in Helsinki, Parsons in New York, University of Shanghai, Marhi in Moskau. Ihre Arbeiten waren in verschiedenen Design Museen und Ausstellungen vertreten.
Florian Slotawa (DE)
In einem bewussten Versuch, der überfliessenden Welt der Dinge keine Weiteren mehr hinzuzufügen, benutzt der Berliner Künstler Florian Slotawa (*1972) Objekte und Räume des Alltags, um temporäre skulpturale Assemblagen und Installationen herzustellen. Slotawas Arbeiten laden zur Diskussion über die Kontexte institutionellen Ausstellens, die Grenzen zwischen privaten und öffentlichen Räumen, oder über die Vorstellung von künstlerischen Werten ein. Slotawas Arbeiten waren in den vergangenen Jahren in verschiedenen Solo- und Gruppenausstellungen zu sehen, etwa im P.S.1, MOMA in New York, der Sies & Höke Galerie in Düsseldorf oder Modern Art in London. Florian Slotawa lehrt ausserdem als Professor an der Berliner Universität der Künste.