Was ist Nachhaltigkeit?
Text von NoéMie Schwaller
Zürich, Schweiz
26.11.08
Nachhaltigkeit ist Gebot und Schlagwort unserer Zeit. Doch was versteht man wirklich unter nachhaltiger Gestaltung? Ist nachhaltige Produktion und nachhaltiger Vertrieb überhaupt möglich in einer globalisierten Konsumwelt? Um zu hinterfragen, wie «grünes» Design interpretiert wird, haben wir uns des
Nachhaltigkeit ist Gebot und Schlagwort unserer Zeit. Doch was versteht man wirklich unter nachhaltiger Gestaltung? Ist nachhaltige Produktion und nachhaltiger Vertrieb überhaupt möglich in einer globalisierten Konsumwelt? Um zu hinterfragen, wie «grünes» Design interpretiert wird, haben wir uns deshalb auf der diesjährigen Orgatec mit Persönlichkeiten aus der Möbelindustrie unterhalten. Der ebenso beliebte wie strapazierte Verweis auf möglichst langlebige und zeitlos gestaltete Produkte ist zwar richtig, doch allzu einfach und nur ein Rädchen im komplexen Uhrwerk echter Nachhaltigkeit. Dringend benötigt wird ein internationaler Bewertungsstandard, doch bis dahin ist noch ein weiter Weg zu gehen. Hier ein paar Stimmen aus der Branche:
Koray Malhan, Brand & Product Manager von Koleksiyon
«1. Ein Produkt sollte nicht trendy sondern klassisch sein, wie der zeitlose Eames-Stuhl, der nach sechzig Jahren noch benutzt werden kann.
2. Alle Teile sollten für das Recycling trennbar sein.
3. Ressourcen sind wichtig. Sie sollten aus einem nachhaltig bewirtschafteten Wald ohne natürlichen Lebensraum und Fauna kommen. Einen Regenwaldbaum zu verschwenden bedeutet Millionen von Jahren von DNA zu zerstören. Kurzsichtige «grüne» Produkte sind Marketingtricks und führen zur Zerstörung der Umwelt.
Unser nachhaltigstes Produkt: CALVINO von Studio Kairos ist am nachhaltigsten aufgrund seiner Konstruktion: alle Teile sind trennbar, alle Teile können recycelt werden. Die zusätzlichen Teile sind aus Aluminium, das zu 100% recycelt werden kann. Der dünne Rahmen besitzt eine spezielle Struktur, die mit weniger Material auskommt. Die Teile werden durch Schrauben miteinander verbunden; der ganze Zusammenbau geschieht innerhalb von zwei Minuten.»
Calvino Schreibtisch und Calvino Accessoires von Koleksiyon
Calvino Schreibtisch und Calvino Accessoires von Koleksiyon
×Mimi Lindau Rikardsson, CMO von BLÅ station
«Von vorne bis hinten hinter einem Produkt zu stehen, das macht Nachhaltigkeit aus! Wichtig sind lokale Herstellung und Vertrieb. Es reicht nicht, nur ein grünes Produkt zu lancieren, weil es der Trend und auch der Kunde gerade so verlangt, und sonst »Schrott« zu machen. Schweden denkt voraus. Warum muss alles immer neu sein? Öko ist schon lange nicht mehr muffig.
Unser nachhaltigstes Produkt: BOO chair
Der Filz wird über das Gestell gestülpt. Es ist eine Kooperation mit Kvadrat und wird auch von Kvadrat geprüft. Der verwendete Filz ist recycelbar. Die Filzschale hat das eco-Swan Label, ist also umweltfreundlich hergestellt. Sie schluckt auch den Schall - ein Metall- oder Kunststoffstuhl ist wesentlich lauter. Er ist modern in Design und Material. Wir benutzen zur Verleimung ein spezielles Haftmittel, eine Mischung aus Polyester- und Mikrofaser. Dieser Stuhl besteht zu 60% aus recycelten Materialien und ist zu 100% recycelbar. Alles wird in Schweden produziert, das heisst kein CO2 wird für Flugzeugtransporte verbraucht. Wir kontrollieren die ganze Produktionskette von der Gestaltung bis zur Produktion. Sogar die kleinen Familienbetriebe blieben mit ihrer Produktion in Schweden. Wir haben früh grün und lokal gedacht.»
BLÅ STATION Messestand Orgatec 2008 mit dem Stuhl BOO, Design: Stefan Borselius, 2008. Ausgezeichnet mit dem schwedischen Design Award S 2008.
BLÅ STATION Messestand Orgatec 2008 mit dem Stuhl BOO, Design: Stefan Borselius, 2008. Ausgezeichnet mit dem schwedischen Design Award S 2008.
×Alan J. Heller, Geschäftsführer von Heller
«Wenn wir (Amerikaner) nicht so viel Mist verkaufen würden, ginge es uns besser!
Unser gesamtes Wirtschaftssystem beruht auf: Produzieren, produzieren, produzieren!
Was wir brauchen ist ein neues Bewusstsein. Wenn dieser nachhaltige Trend nicht erhalten bleibt, wird die Welt es auch nicht. Material und Zeitlosigkeit sind wesentliche Aspekte. Man sollte nicht nach Fantasieprodukten Ausschau halten. Nehmen Sie den Bellini Stuhl, er ist ein Klassiker. Dieses Produkt kann recycelt werden. Alles ist aus 100 % reinen Materialien geformt. Wenn wir recyceltes Material verwenden würden, wäre es möglicherweise nicht stark genug.
Unser nachhaltigstes Produkt: Ich habe unsere Produkte bisher nie unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit verkauft.»
Özlem Yalim, Direktor von Koleksiyon
«Alle Produkte aus Holz sind nachhaltig, aber nicht die Plastik-Formteile. Das Parkett aus Paneelen und die Bodenbeläge sind wiederverwendete Materialien, die wir aufgrund der Mentalität unseres Unternehmens gerne einsetzen. Leder ist ein natürliches und in keiner Weise schädliches Material. Alle unsere Textilien sind handgewebt und 100% natürlich. Nachhaltiges Design einzusetzen ist modern. Nachhaltiges Mobiliar sollte in unterschiedlichen Stilrichtungen und Umgebungen genutzt werden können – damit es auf die Dauer nicht langweilig wird. Mobiliar ist kein Modeprodukt. Es sollte mehr als 5 bis 8 Jahre benutzt werden. Wenn die Oberfläche abgenutzt ist, wird es durch die Patina sogar noch schöner. Es geht nicht nur um den Aspekt des Umweltschutzes, es geht darum, unsere eigene Umwelt zu schaffen. Wir sollten nur langfristig orientiert einkaufen.
Drei Punkte muss nachhaltiges Mobiliar erfüllen:
1. Es sollte umweltfreundlich hergestellt sein.
2. Es sollte langfristig von mehreren Nutzern gebraucht werden.
3. Benutzung und Einsatz in mehreren Funktionen und Prüfung in verschiedenen Umgebungen.»
Kristina Farwing, Marketing Manager von Swedese
«Wir haben bei allen Objekten den Ehrgeiz einer nachhaltigen Planung inklusive der Produktionskontrolle. 80% der Gewebe von Swedese sind mit dem eco-brand ausgezeichnet und wir setzen Alternativen zu Chrom ein (z.B. Aluminium, Lackschicht). Wir führen professionelle Tests am National Test Institute für Produkthaltbarkeit sowie betriebsinterne Langzeit-Tests durch. Swedese war seit den 60er Jahren Zulieferer der Schwedischen Regierung, ihr angegliederter Firmen und Organisationen und diese haben seit langer Zeit hohe Ansprüche bezüglich der Nachhaltigkeit ihrer Produkte. Viele Kunden aus dem Objektbereich und auch Endkunden sind heute sehr fixiert auf den Umweltgedanken. Einige Käufer sind sehr fixiert auf Umweltgedanken. Ein langlebiges Design ist Teil unserer Firmenstrategie.
1. Es sollte lange genutzt und behalten werden.
2. Die Materialien sollen recycelt werden können
3. Herkunft des Materials
4. Transport (Möglichkeiten zur Treibstoffeinsparung)
Unser nachhaltigstes Produkt: bis jetzt der Lamino Stuhl
Er ist ein Klassiker seit 1956 und wird in Hotels, Büros und im privaten Bereich eingesetzt. Er vermittelt ein Gefühl von Gemütlichkeit und wir verkaufen Reparatur-Polstermaterial für den Lamino Stuhl seit 50 Jahren. Ich bin gegen Lackschichten, sie lösen sich auf. Die geölte Version ist sehr nachhaltig. Leder konnte noch nicht öko-zertifiziert werden, aber in allen anderen Fällen setzen wir Stoffe mit Ökosiegel ein. Auch Polsterschäume sollten öko-zertifiziert werden. Unser Holz kommt aus zertifizierten Quellen.Das Holz zu ölen wird als nachhaltiger angesehen und kann umwelt-zertifiziert werden. Wir überlassen die Entscheidung den Kunden und freuen uns zu sehen, dass sie immer umweltbewusster werden. Wenn Sie nach England verkaufen, besagen die dortigen Vorschriften, dass alles eine spezielle Brandschutz-Ausstattung haben muss. Dann müssen Sie Chemikalien in die Polsterschäume sprühen; das ist natürlich ein Widerspruch.»
Peter Mahler Sorensen, Managing Director von Engelbrechts
«Lange Lebenszeit, austauschbares Material und die Entwicklung von natürlicheren Materialien als bei den jetzigen Produkten sind unsere Ziele bei der Nachhaltigkeit.
Unser nachhaltigstes Produkt: Kevi chair»
Burkhard Remmers, Leiter Internationale Kommunikation von Wilkhahn
«Langlebigkeit wird oft stofflich gebraucht. Bei uns ist es Qualität und Dauer. Schlechte Produkte bleiben schlecht, auch wenn sie grün sind. Je länger der Nutzen und je besser die Funktionalität, desto nachhaltiger ist es. Alles, was nicht gebraucht wird, ist überflüssig. Das ökologischste Haus ist überflüssig, wenn niemand darin wohnt. Es braucht eine Erhöhung der Sensibilität. Fatal ist: es gibt viel zu viele schlechte Möbel.
Sinnhaftigkeit! Nicht sinnvoll ist zu Beispiel der Biosprit fürs Auto, wenn ich es denn für jede 500 Meter nehme anstatt zu Fuss zu gehen. Man muss die Reihenfolge umkehren: Wie muss ein Produkt sein, damit es lange genutzt wird? Man muss es lieben. Erst danach geht es um Materialreduktion. Return in investment!
Langlebigkeit bedeutet:
1. Qualität
2. Upgrade-Fähigkeit
3. Funktionslanglebigkeit (zB: Schreibmaschine)
4. Ästhetik
Unser nachhaltigstes Produkt: Falttisch '94 und Chassis chair
Er hat emotionale und Beziehungsqualität. Natürliche Materialkreisläufe werden respektiert. Er ist aus Blech, superleicht - das Gestell alleine wiegt 2600g, und aus natürlich nachwachsendem Leder. Beides ist durch hochtechnologische Verfahren extra sparsam im Einsatz.»
Senem Atay und Elif Ince, Produkt- und Marketing Manager von Nurus
«Wir haben gerade eine neue Fabrik gebaut, bei der wir sehr viel Wert auf Energie-Einsparung gelegt haben. Wir benutzen nur während einem Drittel des Jahres Kunstlicht, weil wir grosse Glasfassaden haben.
Unser nachhaltigstes Produkt: Unser Stand ist 100% recycelbar. Der Boden unseres Stands wird für die Verpackung unserer Produkte verwendet. Die Stangen, die im Boden stecken, werden geschmolzen und für unsere eigenen Produkte wiederverwertet. Recycelbare Materialien machen schliesslich nur Sinn, wenn sie auch recycelt werden.»
Dr. Michael Blank, Geschäftsführer von Walter Knoll
«Ein überzeugender Designklassiker bietet mehr als nachhaltiges Material, denn er entzieht sich der Mode. Man muss Archetypen schaffen, die lange halten. Nehmen Sie die Foster Bank; es ist, als wäre sie schon immer da gewesen. Es sind Urtypen von Gegenständen, mit denen wir aufgewachsen sind.
Unser nachhaltigstes Produkt: Polstermöbel sind nicht sehr umweltverträglich. Wir versuchen mit Volumenminimierung Verantwortung zu übernehmen.»
Thomas Gasser, Produktentwicklung von Girsberger
«Wir haben natürlich schon gewisse Vorgaben. Aber man muss diesen Aspekt der Nachhaltigkeit auch Leben, nicht nur mit seinen Produkten, sondern auch bedenken, wie wir den Alltag regeln. Wie werden Arbeitswege zurückgelegt? Wie ist unser Arbeitsplatz energietechnisch ausgestattet? Diese Grundgedanken übertragen wir dann auf unsere Produkte. Wir kaufen nur bei Herstellern, bei denen wir sicher sind, was sie tun. Unser Holz kommt aus der Region und wird auch hier verarbeitet. Im Office Bereich haben wir Zulieferer aus Süddeutschland und Norditalien. Wir verwenden keine bedenklichen Stoffe. Wenn es um Leder geht, ist das natürlich so ein Problem. Bei der Lederproduktion wird sechswertiges Chrom eingesetzt und das ist sehr gefährlich. Wenn die Farbe blau auftaucht, muss man auch hellhörig sein, denn bei blau spielt immer die Chemiekeule mit.
In Amerika gibt es ja dieses Cradle to Cradle System. Ich halte das mehr für ein Marketing-Konzept, wenn man dann mal sieht wie diese Regelungen umgangen werden. Ich finde Standards sind immer so eine Sache. Wenn man einen Standard setzt, dann geht man nur bis dahin und nicht weiter.»
Anne Verbeeck, Marketing Director von Bulo
«Ökologie ist für uns kein Hype sondern ein Wert unseres Betriebs. Mir geht dieser Hype ziemlich auf den Geist. Wir sind doch schon viel weiter... Es gibt natürlich viele Aspekte von Nachhaltigkeit. Das geht vom Hundertsten ins Tausendste. Du kannst als Hersteller dein bestes tun, und das tun wir, aber wenn deine Möbel dann mit dem Flugzeug nach Amerika geflogen werden, war das alles für die Katz. Wir haben jetzt in unserem Team Produktdesigner, die sich vor allem mit der Nachhaltigkeit unserer Produkte befassen. Wir müssen aber natürlich auch die Qualität beachten. Wir sind ein belgisches Unternehmen und man würde sich wünschen, dass wir nur mit belgischen Zulieferern arbeiten. Aber wenn die qualitativ nicht so gut sind, müssen wir uns im Ausland umschauen. Und die Qualität ist ein wichtiger Aspekt der Nachhaltigkeit.....es ist so komplex.
Ich habe gemerkt, dass man keinen Standard finden kann, schon gar keinen internationalen. Sehen sie sich mal den amerikanischen LEED Standard an. Die hinken teilweise mit ihren Bestimmungen hinterher, trotzdem muss man, wenn man in den amerikanischen Markt will, diesen Standard berücksichtigen.»
Jon Gasca, Art Director von Stua
«Ich glaube, die Initiative, nachhaltige Produkte herzustellen, geht mehr von Architekten als von der Industrie aus. Die Architekten scheinen sich mehr zu sorgen.
Wir machen viel in unserer Firma für Nachhaltigkeit, aber ganz ehrlich, es interessiert fast niemanden. Aber ich glaube, das ist kein Problem. Es wird sich alles entwickeln.
Wir machen eine komische Zeit durch. Da werden aus China unzählige unnütze batteriebetriebene Gegenstände importiert und niemand fragt nach einem Standard....und hier in Europa schreien alle nach Sustainability.
Unser nachhaltigstes Produkt: Alle. Unsere Schaumstoffe sind PVC frei, unsere Stoffe kommen von Kvadrat, die sind bekannt für ihre nachhaltige Herstellung. Unser Holz kommt aus nachhaltigen Wäldern, die zyklisch gerodet und wieder aufgeforstet werden. Das Abwasser unserer Fabrik wird regelmässig geprüft – das war ein echtes Investment – und wir hatten nie bedenkliche Ergebnisse.»
Nachhaltigkeit seit mehr als 190 ahren: der Thonet Klassiker 214
Nachhaltigkeit seit mehr als 190 ahren: der Thonet Klassiker 214
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Peter Thonet, Geschäftsführer von Thonet
«Nachhaltigkeit hat bei unserem Unternehmen gewissermassen Tradition. Mein Urgrossvater, Michael Thonet, hat vor über 190 Jahren die leichten Bugholzmöbel entwickelt und damit Nachhaltigkeit schon vorgelebt: durch dünne Materialdimensionen lassen sich diese Möbel Ressourcenschonend herstellen. Es gibt nicht weniger, was sie an so einem Stuhl machen können. Der Klassiker 214 besteht aus sechs Teilen und zwölf Schrauben. Die Lebenszyklen der Produkte sind natürlich auch entscheidend. Qualitätiv und ästhetisch. Es ist natürlich nicht so einfach, dem Verbraucher das klar zu machen, wenn er günstigere Produkte bekommen kann, die aber in China produziert werden.
In Amerika gibt es viele Standards, das ist richtig. Man muss natürlich auch sehen, dass in Europa, speziell in Deutschland, Umweltschutz schon seit vielen Jahren hohe Priorität geniesst. In den USA ist das noch immer nicht so, deshalb ist es nur verständlich, dass dort jetzt sehr viel nachgeholt wird.
Unser nachhaltigstes Produkt: Model 214»