Ein Interview mit Boris Berlin von dem dänischen Studio Komplot Design

Seit über zwanzig Jahren arbeiten die Dänen Poul Christiansen and Boris Berlin als Komplot Design zusammen. Mit ihren vielfältigen Arbeiten, die sich vor allem durch raffinierte, mitunter experimentelle Verarbeitungsprozesse auszeichnen, gehören sie zu den international richtungsweisenden Designern. Wir trafen Boris Berlin in seinem Studio in Kopenhagen.

Poul Christiansen und Boris Berlin (unter dem Nobody Chair von HAY)

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Poul Christiansen und Boris Berlin (unter dem Nobody Chair von HAY)

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In eurem Design scheint es immer einen technisch sehr innovativen Aspekt zu geben. Wie startet ihr ein Projekt, was ist euer Ausgangspunkt?
Es geht uns in erster Linie um die Aufregung, die entsteht, wenn man Materialien mit untypischen Fertigungstechniken verknüpft oder sie in einem neuen Kontext verwendet.
Schauen wir uns Nobody an: Filz ist das älteste Textil der Menschheitsgeschichte. Er ist nahtlos in alle möglichen Formen zu bringen. Wir entdeckten diesen Polyester-Filz, der zum Beispiel in der Automobilindustrie für Hutablagen verwendet wird. Er besteht aus recycelten PET-Flaschen und ist wiederum rezyklierbar.

Also gab das Material die Initialzündung zu diesem Stuhl.
In diesem Fall war es das Material, ja. Wir wollten die produktionstechnischen Qualitäten des Materials zeigen. Beim 3D-Furnier des Gubi-Stuhls war es ähnlich. Die besondere Verarbeitungsmethode gab uns vollkommen neue skulpturale Freiheiten mit diesem 2D-Material. So etwas ist faszinierend.

Der NON chair hingegen entstand aus einem anderen Ansatz....
...der Ansatz ist gar nicht so anders – niemand hat es vorher versucht, einen Stuhl aus Polyurethan in einem Stück zu giessen – wir mögen die Idee des Monoblocks. Er ist einfach und verständlich. Es ist ein einziger Arbeitsablauf, ein einziges Material und du weisst ziemlich genau, was zu kontrollieren ist. Es müssen nicht verschiedene Elemente miteinander verbunden werden, das macht den Monoblock übrigens auch sehr umweltfreundlich.

Komplot auf dem Dach mit dem NON chair für Källemo

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Komplot auf dem Dach mit dem NON chair für Källemo

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Boris, du bist gebürtiger Russe aus St. Petersburg. Wie begann deine Karriere?
Ich habe 1975 meinen Abschluss gemacht. Danach begann ich in Russland zu arbeiten, zum Beispiel Fotokameras zu zeichnen. Als ich Anfang der 80er Jahre dann mit meiner dänischen Frau hierher kam, konnte ich natürlich zunächst keinen Job in dieser Branche bekommen – auch wenn meine Bewerbungen mit dem Hinweis, dass ich zwar Russe, aber kein Spion sei, versehen waren. Also arbeitete ich vor allem als Grafikdesigner. 1987 lernte ich Poul kennen und wir gründeten Komplot.

Das Spektrum eures Schaffens ist sehr breit gefächert. Von Grafik über Industrie- bis Möbeldesign. Hast du einen anderen Ansatz, wenn du Produkte statt Möbel gestaltest?
Nein, ein Möbelstück ist auch ein Produkt.

Aber Möbel besitzen viele kulturelle Aspekte, oder nicht?
Ja, das stimmt. Das ist tatsächlich der grosse Unterschied. Und dies ist etwas, das ich erst spät entdeckte. In Russland gab es keine solche Tradition, was Möbel anging. Ich kann mich nicht erinnern, dort jemals in einen Laden gegangen zu sein, um mir Möbel zu kaufen. Möbel erbte man oder man fand sie auf der Strasse. Ich habe eine Menge Thonet Stühle gefunden. In St. Petersburg gab es nämlich eine Thonet Fabrik. Man darf nicht vergessen, dass zur Zeit der Sowjetunion die historische Kontinuität in vielen Bereichen unterbrochen wurde, ausser in der Kunst oder der Literatur.
Als ich nach Dänemark kam, musste ich tatsächlich erst begreifen, dass Möbel so präsent sind und dass ein Stuhl ein Stück Kulturgut ist. Der Stuhl ist für uns Europäer wahrscheinlich das wichtigste Möbelstück.

NON chair für Källemo

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NON chair für Källemo

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Du kannst mittlerweile auf über 30 Jahre Designtätigkeit zurückblicken. Kannst du Veränderungen feststellen?
Oh ja. Die Rolle des Designers hat sich geändert. Früher wurdest du von einem Hersteller gebeten, etwas für ihn zu gestalten – und zwar in Hinblick auf die dem Herstellers zur Verfügung stehenden Produktionsverfahren. Wolltest du etwas anderes machen, musste das Projekt schon sehr überzeugend sein. Ansonsten wurde nur das produziert, was der Hersteller selbst produzieren konnte. Die am besten ausgestatteten Hersteller waren folglich die wichtigsten und auch flexibelsten. Die kleinen Hersteller verschwanden entweder im Schatten der Grossen oder versuchten auf andere Wege flexibel zu sein, in dem sie zum Beispiel die Technologie anderer Firmen benutzen. Daraus entstand ein gewisser Trend zum Outsourcing. Seitdem ändert sich so auch die Rolle des Designers. Wir haben immer weniger Einschränkungen, gleichzeitig verlieren die Hersteller einen Teil ihres technischen Know-hows. Dieses Know-how muss jetzt jemand anderes übernehmen.

Etwa der Designer?
Ich glaube nicht, dass der Designer dazu fähig ist, schliesslich sprechen wir hier von einer sehr unterschiedlichen Profession. Aber es stimmt, dass der Designer heutzutage sehr viel flexibler mit neuen Technologien umgehen und sie schnell verstehen muss. Gleichzeitig bekommt er immer mehr Verantwortung – das ist zumindest, was ich beobachte. Wenn du ein Produkt gestaltest, möchtest du es auch herstellen lassen. Wenn der Hersteller nicht die Qualifikation besitzt, sondern sich mehr auf den Vertrieb und das Marketing konzentriert, dann musst du halt, ob du willst oder nicht, mit viel Energie in den Produktionsprozess eingreifen.

Aber diese Flexibilität ermöglicht natürlich auch eine gewisse Spezialisierung?
Ja, natürlich, und das ist auch gut. Sie erhöht wahrscheinlich das Mass an technischen Innovationen und gibt Freiraum für Experimente – etwas, was vorher nicht so typisch war.

Wenn man eure Arbeiten betrachtet, sieht es nicht so aus, als wärt ihr ein Fan der Spezialisierung.
Ich würde sagen, dass der Designer per Definition kein Spezialist, sondern ein Universalist ist. Wir verstehen uns als Mediatoren zwischen Benutzer und Industrie. Eigentlich stehen wir zwischen allem: Zwischen Kunst und Konstruktion, zwischen Poesie und Ökonomie, irgendwo im Niemandsland.

Gubi Chair 2 und 1

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Gubi Chair 2 und 1

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Kommen wir zum Benutzer. Würdest du sagen, dass sich die Auffassung von Design geändert hat?
Ja, Design hat auf jeden Fall an Bedeutung gewonnen. Ich kann mich noch erinnern, als Designer anfingen, Popstars zu werden. In den 1970er Jahren war das noch nicht so. Ausser in Italien. Die Italiener kannten immer ihre Designer, Sottsass, Bellini usw. Im Rest von Europa hat sich das Interesse erst später entwickelt, leider auf eine sehr oberflächliche Art, vor allem durch diese Glossy-Magazine. Dort wird einem dann verkauft, wie man wohnen sollte, und es werden ganze Einrichtungskonzepte erstellt.
Ich würde mir wünschen, dass die Leute ihre Wohnung selber einrichten, ihre Dinge aus einem bestimmten, ganz persönlichen Grund kaufen.

Der Architekt als derjenige, der die Räume der Menschen schafft, ist allerdings auch euer Kunde. Siehst du dein Design immer im Kontext mit der Architektur, die es umgeben könnte?
Ja. Unsere Möbel können nur in Architektur existieren. Die Architektur ist ein vorherrschender Faktor. Man muss sie unbedingt berücksichtigen.
Mit dem NON chair zu Beispiel wollten wir mit unserem Design minimalen Einfluss auf die Architektur nehmen. Dabei denke ich nicht gerade an Frank Gehrys oder Peter Cooks Architektur. Ich denke an romanische Kirchen oder barocke Theater – ein Möbelstück, das in allen möglichen Umgebungen funktioniert. Die Extravaganz im Möbeldesign ist meines Erachtens nicht sehr interesant. Du kannst nicht die ganze Zeit solche Sahnetorten produzieren. Das ist wie Marie Antoinette: „Wenn Sie nichts zu essen haben, gebt Ihnen Kuchen.“
Trotzdem mag ich es, wenn Objekte für sich stehen und Geschichten erzählen. Wenn ich beispielsweise den Nobody sehe, muss ich immer an meine Kindheit denken. Meine Eltern hatten ein Sommerhaus in Russland und immer, wenn sie das Haus winterfertig machten, haben sie die Möbel mit Laken abgedeckt. Im Frühling, wenn wir dann zurückkamen, war ich immer sehr aufgeregt, die Laken wieder weg zu nehmen. Ich wusste ja nicht, was während meiner Abwesenheit darunter alles passiert sein konnte. Aus diesem Grund heisst der Stuhl auch Nobody (no body), weil er eigentlich nur die Abdeckung von etwas Inexistentem ist.

Kannst du mir ein paar zeitgenössische Objekte anderer Designer nennen, die dein Interesse geweckt haben?
Oh, da muss ich nachdenken.
Ja, Plop von Hay. Der ist wirklich süß, charmant, unprätentiös und sehr smart. Er bringt einen zum Lachen, und das ist schön. Ich mag auch das Sofa, das Hella Jongerius für Vitra gemacht hat und viele ihrer anderen Arbeiten. Hinter ihnen steht keine grossartige Technologie, aber sie sind ein sehr freundliches kulturelles Statement, sehr wohlig. Ich mag fast alles, was Jasper Morrison macht. Ich mag Fukasawa.

Kannst du einen Unterschied zwischen Design von Männern und Frauen sehen?
Das Design von Frauen ist häufig weniger kontrolliert, poetischer, auf eine gute Weise. Es ist entspannter. Frauen scheinen nicht diese schwere Ernsthaftigkeit zu besitzen, etwas komplett „Perfektes“ kreieren zu müssen. Ich würde in Zukunft gerne einmal etwas weniger Kontrolliertes gestalten.

Boris, Vielen Dank für das Gespräch.