"Es geht mir mehr um die Performance"
Text von Nora Schmidt
Berlin, Deutschland
23.09.09
Wie auch bei anderen Architekten, wird das Design ganz stark beeinflusst. Man spricht ja regelrecht von Architektendesign.
Tom, Du hast lange Jahre Architektur entworfen. Inwiefern beeinflusst dich das bei der Arbeit als Designer?
Wie auch bei anderen Architekten, wird das Design ganz stark beeinflusst. Man spricht ja regelrecht von Architektendesign. Also man spürt es einfach, ob ein Objekt von einem gelernten Industriedesigner oder einem Architekten gestaltet wurde. Ich denke, dass ein Architekt, weil er sich ja in grösseren Massstäben bewegt, nicht so form- und detailverliebt an das Objekt heranmacht. Er steht dem Design eher skeptisch gegenüber und versucht, andere Parameter einfliessen zu lassen. So stellt ein Designer die Funktion nicht so grundlegend in Frage; er versucht vielmehr sie mit einem neuen Formwagnis zu beleben. Ein Architekt denkt da eher zwanghaft philosophisch, mit ganz unterschiedlichem Erfolg natürlich, über Handlungsweisen, über Bewegungsräume und Alltagsfunktionen nach.
Und das hat mit den Dimensionen zu tun?
Klar. Ein Architekt ist ein Generalplaner und je grösser die Materie, die er plant, desto mehr werden ihm die Prozesse bewusst. Er muss mehr über Zeit, Raum und über Wege nachdenken. Er darf die Randparameter nicht ausser Acht lassen, die den Weg beeinflussen. Da fliesst eine höhere Komplexität mit ein. Und das führt zu Lösungen, die sich zwar auch in einer Formensprache ausdrücken, die jedoch stärker auf die tatsächliche Anwendung hinweisen. Und das ist es auch, was meine Objekte tun sollen.
Mit deinen Wohnobjekten machst du dich sehr frei von gängigen Vorstellungen und dabei scheinst du manchmal, wie z.B. mit dem Wohnwagen vollkommen neue Arten von Möbelstücken zu erfinden. Um was genau geht es dir bei deinen Wohnobjekten? Und mit welcher Methodik gehst du vor?
Es geht mir um die Performance. Ich sehe die Benutzung des Objektes sozusagen hoch stilisiert. Die Bedeutung einer Handhabung, so auch das Eigenleben der Dinge ist uns eigentlich nicht bewusst. Aber in den Ritualen des Zen-Buddhismus wird es sehr deutlich. Hier ist die Kunst des Bogenschiessens ein gutes Beispiel. Worum geht es da eigentlich? Es geht darum, einen Bewegungsablauf nachzuempfinden und diesen immer weiter zu perfektionieren. Das umfassende Zusammenspiel zwischen eigenem Körper und Bogen wird einem dadurch bewusst. Erst durch ein solches Bewusstwerden entsteht eine tiefere Beziehung zu den Dingen: man fängt an, sie zu schätzen, man entwickelt Gefühl. Mit meinen Objekten möchte ich einen solchen Umgang mit Dingen erreichen.
Kannst du diese Konditionierung anhand eines deiner Objekte beschreiben?
Ich habe eine Leuchte entwickelt, die man wie eine Fahne oder wie eine Fackel trägt. Der Leuchtkörper schwebt als Trophäe über dem Kopf. Er demonstriert feierliche Macht und versinnbildlicht wie eine Fackel die Gewalt über das Licht.
Ganz anders gesellt sich dazu die aus dem Lot bringende Schwäche der Leuchte, indem sie die Wand zum Anlehnen benötigt. In dem lanzenähnlichen Stab erahnt man wiederum eine weitere Gewalt, gemischt mit glatter Eleganz, die der Waffe, dessen Handhabung sich bis zum Stock zurückführen lässt. Hier finden sich also mehrere Assoziationszweige, desto mehr, umso emotionaler die Resonanz zum Objekt.
Viele Designer stellen diese Bindung heute offenbar über Ornamente und Opulenz her. Der Minimalismus scheint vom Tisch.
Seitdem der Minimalismus zum Stil geworden ist, erschöpft sich dieser, indem er heute oft ohne Verstand eingesetzt wird. Dann fangen die Menschen an, sich eben einem neuen Stil zuzuwenden. Deswegen haben wir uns in den letzten Jahren wieder die Freiheit zur Opulenz und zur Vielfältigkeit genommen und ich denke, dass das Spiel mit Masse ein tolles Mittel ist, um Emotionen zu wecken. Wir können uns in der Tiefe der musikalischen Wucht eines 100-köpfigen Orchesters, wie auch in einem labyrinthischen, vollkommen überladenen Souks Nordafrikas verlieren.
Diese brasilianischen Brüder, wie heissen die noch mal...
...Humberto und Fernando Campana...
....genau, die arbeiten mit dem Überfluss, und stellen ihn damit vielleicht sogar wieder in Frage.
Aber das ist nur eine Möglichkeit von vielen. Bei herkömmlichen Dingen frage ich mich immer, was macht dieses Ding so bedeutungsvoll und wie kann ich diese Bedeutsamkeit den Objekten, die ich gestalte, einhauchen? Ein schönes Beispiel ist das Segelschiff. Es ist auch immer eine symbolische Form. Der Rumpf ist Substanz, Basis und oben haben wir die Instrumente, die Segel, die Leichtigkeit. In so ein Schiff können wir ganz viel Emotionalität und Hoffnung hineinlegen, obwohl es ein rein pragmatisches Objekt ist. Ein Schiff ist ja wirklich nur pragmatisch. Da gibt es fast nichts, was über die Funktion hinausgeht. Und trotzdem finden wir hier ganz viel Poesie. Trotzdem sehen wir die Formen als vollendet. Der Begriff der Schönheit steckt ganz einfach in dem gebrauchten, gelebten und durchlebten Dingen.
Du willst deinen Objekten also die Haltung zu den uns umgebenden Objekten verändern, die Wertschätzung von Dingen steigern. Aber wenn ich mich so umschaue, sehe ich eine Masse an Produkten, die alle gekauft und natürlich auch schnellstmöglich wieder weggeworfen werden wollen. Wie kann man erreichen, dass die Menschen Produkte kaufen, mit denen sie sich identifizieren und die sie schlicht und ergreifend behalten wollen?
So viele Produkte, wie im Moment, hat es noch nie gegeben und täglich werden es mehr. Zum einen fällt es deswegen zunehmend schwerer, dem einzelnen Gegenstand Wertschätzung entgegen zu bringen. Das lässt sich wohl auch nicht zurückdrehen. Zum anderen wollen wir uns weiter verzaubern lassen. Das passiert auch wie nie zuvor, auf vielen Gebieten. Ich glaube, wir werden unseren Geschmackssinn immer unterschiedlicher bei gleichzeitiger Uniformierung prägen, indem wir die breiter werdende Masse an Angeboten; TV, Kino, Kunst oder Musik erleben. Wie lange etwas Bestand haben wird, hängt sicher vom Preis ab, den man zahlt. Was sich ansonsten durchsetzt und irgendwann aus nostalgischen Gründen erhalten bleibt, ist meines Erachtens nicht absehbar.
Es gibt in den letzten Jahren eine spürbare Annäherung zwischen Design und Kunst. Deine Objekte sind funktional und durchaus seriell herstellbar, gehören sie trotzdem in Galerien?
Meine Objekte sind wohl zu subtil, um von der Masse gewollt zu werden. Durch Ausreizung, Brechung und komische Zusammensetzung wird zwar eine Lust hervorgerufen, aber die tatsächliche Nutzung irritiert eher.
Kunst bezieht sich, getrennt vom Alltag, immer mehr wie ein Spiegel auf diesen. Design hingegen, im Alltag verankert, bewegt sich wiederum gerne in Richtung Kunstraum. Bestenfalls entstehen Objekte mit möglichst langer Assoziationskette und möglichst guter Nutzbarkeit. Das wäre eine gelungene Kultur des Alltags. Design betrachte ich sozusagen als Mediator, um den Kulturraum zum Kunstraum zu überführen. Diesen Anspruch erhebe ich an meine Arbeit.
Du findest also auch Inspiration in der Kunst?
Ja, nehmen wir Thorsten Brinkmann. Er baut Objekte aus Alltagsgegenständen, zum Beispiel setzt er sich eine Vase auf den Kopf und zieht sich ein Ofenrohr über den Arm und wirkt plötzlich wie ein mittelalterlicher Ritter. Er setzt die Dinge in einen anderen Zusammenhang und macht sie dadurch bewusst. Plötzlich begreift man die Vase als ein Subjekt im Objekt. Man setzt sich mit ihr wie in einer Beziehung auseinander. Und was ist sie dann, diese Vase? Welche Bedeutung hat sie? Seine Arbeiten finde ich grossartig.