Indien gehört zu einem der inspirierendsten Länder, die ich je bereist habe. In Viluppuram, einer kleinen Stadt im Südosten Indiens ungefähr vierzig Kilometer westlich vom Golf von Bengalen entdeckte ich in Eingangsbereichen verschiedener Häuser Rangoli, eine bildreiche Fussbodenkunst. Die verwendeten Symbole dieser Volkskunst sollen Glück bringen und werden seit Jahrhunderten von einer zur nächsten Generation weitergegeben, um nicht nur das Kunsthandwerk, sondern auch die Tradition am Leben zu halten – ganz zur Freude aller Reisenden, die beeindruckende Eingangsbereiche bestaunen können. (Text: Alex Bradley)

Das Architekturbüro SHH restaurierte für eine internationale Reederei im Zuge der Renovierung eines fünfstöckigen georgianischen Hauses im Londoner West End unter anderem die Steinböden

Böden: Räume, Zeichen und Sinne | Design

Das Architekturbüro SHH restaurierte für eine internationale Reederei im Zuge der Renovierung eines fünfstöckigen georgianischen Hauses im Londoner West End unter anderem die Steinböden

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Räume

Der Eingangsbereich spielt eine entscheidende Rolle für die Atmosphäre eines Raumes und bietet dem Designer die Möglichkeit, die Wahrnehmung des Besuchers unmittelbar zu beeinflussen und lenken. Gleich beim Betreten des von den Architekten- und Designern SHH behutsam renovierten fünfstöckigen Hauses im georgianischen Stil im Londoner West End wird die hohe Qualität der Innenräume augenfällig. Sowohl der geschliffene Steinboden, der durch Schwingtüren hindurch in den Eingangsbereich führt als auch das dort verlegte Fischgrätparkett in amerikanischer schwarzer Walnuss nehmen Bezug auf den lange vergangenen Reichtum und die Erhabenheit des Gebäudes. Die klassischen Elemente des Gebäudes wurden durch den kontrastreichen Einsatz von zeitgenössischer Möblierung neu belebt und die maroden Räume somit in ein grosszügiges, weitläufiges, dramatisches Büro einer internationalen Reederei verwandelt.

Fischgrätparkett in den von SHH gestalteten Büroräumen einer internationalen Reederei

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Fischgrätparkett in den von SHH gestalteten Büroräumen einer internationalen Reederei

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Ein weiteres restauriertes Gebäude mit kontrastreichen Gestaltungselementen ist in Barcelonas Künstlerviertel Gràcia zu finden. Das vom Büro Vora Arquitectura gestaltete Apartment ist mit polierten Mosaik-Fussböden ausgestattet, die die ursprünglichen räumlichen Anordnungen im originalen Grundriss verdeutlichen. Obwohl viele Steine stark beschädigt waren und ersetzt werden mussten, entschieden sich die Architekten mit dem Ziel, „das Beste aus dem Bestehenden herauszuholen“, dafür, die originalen Böden und die ursprünglichen Flächen beizubehalten. Auf diese Weise wird in einem nun frei fliessenden Raum auf dessen Geschichte verwiesen.

In diesem barcelonischen Apartment markieren restaurierte Mosaikböden die ursprüngliche Raumaufteilung

Böden: Räume, Zeichen und Sinne | Design

In diesem barcelonischen Apartment markieren restaurierte Mosaikböden die ursprüngliche Raumaufteilung

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Der offene Grundriss des Büros der schwedischen Firma ATG zeigt, wie auf einer Fläche von 1 500 m2 Teppich eingesetzt werden kann, um unterschiedliche Bürobereiche voneinander abzugrenzen. Das schwedische Büro Note Design liess sich von Luftaufnahmen „und ihren typischen Mustern aus unterschiedlichen Parzellen“ inspirieren. Verschiedene Teppichfarben und -texturen kreieren unterschiedliche Bereiche und Wege innerhalb der Bürolandschaft und leiten den Besucher durch die Räume.

Dieses von Note Design gestaltete Grossraumbüro verdeutlicht, wie mithilfe von Teppich verschiedene Funktionsbereiche gekennzeichnet werden können

Böden: Räume, Zeichen und Sinne | Design

Dieses von Note Design gestaltete Grossraumbüro verdeutlicht, wie mithilfe von Teppich verschiedene Funktionsbereiche gekennzeichnet werden können

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Zeichen

Bodenmaterialien können Flächen definieren und voneinander abgrenzen und Besucher durch den Raum navigieren. Zusätzliche grafische Elemente helfen, Funktionen und den vorgesehenen Besucherfluss noch expliziter zu kommunizieren. Seit 1988 haben Masaaki Hiromura und sein Team eine Reihe von preisgekrönten Projekten realisiert, die Werbung sowie Leit- und Verpackungssysteme umfassen und oftmals Boden als Leinwand definieren. Für Masaaki funktionieren „Leitsysteme nicht von selbst, sondern erst, wenn sie mit gestalterischen Elementen (Grafik, Innenarchitektur, Produkt-und Modedesign) verbunden werden. Ein Beispiel hierfür ist das Bürogebäude in Naniwa-ku, Osaka, Japan, das starke typografische Elemente einsetzt, die von architektonischen Gestaltungselementen fliessend in grafische Elemente auf dem Boden übergehen: In diesem Fall eine Ziffer aus Gussmetall, die das Stockwerk angibt. Es handelt sich somit um einen Gestaltungsansatz, der darauf abzielt das Bewusstsein für die Umgebung zu steigern.

Die typografischen Elemente gehen in diesem japanischen Bürogebäude in Naniwa-ku fliessend von den Wänden auf den Boden über

Böden: Räume, Zeichen und Sinne | Design

Die typografischen Elemente gehen in diesem japanischen Bürogebäude in Naniwa-ku fliessend von den Wänden auf den Boden über

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Ein zweites Projekt von Hiromura, das in diesem Zusammenhang erwähnt werden sollte, ist das 9 Hours Hotel. Dieses wurde in Zusammenarbeit mit dem Innenarchitekt Fumie Shibata vom Design Studio S. realisiert. Das 9 Hours ist eine Revolution des „Kapselhotels“ und hebt sich von seinen Vorgängern ab. Das Hotel und seine Einrichtung orientieren sich an den drei Hauptbedürfnissen eines Übernachtungsgastes: eine Stunde duschen, sieben Stunden schlafen, eine Stunde ausruhen, was addiert neun Stunden ergibt. Der Raum ist der Übersichtlichkeit halber in nur vier Farben gehalten, wobei die Schlafstätten überwiegend Schwarz- und Weisstöne aufweisen. Das Ziel von Hiromuras eingängigem, zweisprachigen Bodenleitsystem ist es, den Besucher so einfach wie möglich durch die Räume zu leiten und die Sinneseindrücke im Hotel auf das Wesentliche zu reduzieren. Es geht darum, die Bewegung einer Person durch das Hotel so kommod wie möglich zu gestalten, auch wenn der gewählte Gestaltungsansatz für Nicht-Japaner sehr minimalistisch anmuten mag.

Das 9 Hours Hotel ist ein richtungsweisendes „Kapselhotel“, das sich an den drei Grundbedürfnissen eines Übernachtungsgastes orientiert: eine Stunde duschen, sieben Stunden schlafen, eine Stunde ausruhen

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Das 9 Hours Hotel ist ein richtungsweisendes „Kapselhotel“, das sich an den drei Grundbedürfnissen eines Übernachtungsgastes orientiert: eine Stunde duschen, sieben Stunden schlafen, eine Stunde ausruhen

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Die Gestaltung des Bodenleitsystems in der norwegischen Schule für Kommunikation Westerdals, die als eine der zehn weltweit wichtigsten Ausbildungsstätten für Kreative gerankt wurde, ist da weitaus lebendiger. Das Gebäude ist durch seinen rauen Industriecharme geprägt, der auch im Gestaltungsprozess eine wichtige Rolle spielte, wie die Designer Marius Holtmon, Mette Landsem und Madeleine Skjelland Eriksen anmerken. Die Gestalter behielten bewusst die Grundstruktur des Gebäudes, Wände und Böden bei, um die schroffe Anmutung zu erhalten. In der Signaletik werden die Philosophie Westerdals und architektonische Elemente des neuen Gebäudes durch die Kombination von Elementen der Corporate Identity und Farben des Gebäudes verbunden.

Lebhafte Signaletik und rauer Industriecharme verbinden sich im Wegeleitsystem von Marius Holtmon in der norwegischen Schule für Kommunikation Westerdals

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Lebhafte Signaletik und rauer Industriecharme verbinden sich im Wegeleitsystem von Marius Holtmon in der norwegischen Schule für Kommunikation Westerdals

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Sinne

Es ist bekannt, dass das Aussehen, der Geruch und die Haptik von Materialien einen grossen Einfluss auf die Art und Weise haben, wie ein Raum wahrgenommen wird. Der Working-Space Impact Hub ist eine Kooperation von über zwanzig Räumen, die über sechs Kontinente verteilt sind. Sie sind „teils Innovationslabor, teils Gründer-, teils Gemeinschaftszentrum“ und bieten Mitgliedern „ein einzigartiges Umfeld von Ressourcen, Inspirationen und die Möglichkeit zusammenzuarbeiten, um gemeinsam mehr Einfluss zu gewinnen.“ Die madrilenische Dependence ist eine von ch+qs arquitectos renovierte Garage und ein überzeugendes Beispiel für den Einsatz von Holzdielen. Die Architekten liessen den Innenraum, der das letzte Mal in den 40er-Jahren verändert wurde, so unberührt wie möglich. Somit sorgen die Patina der Wände und andere Einrichtungsgegenstände für eine spezielle Atmosphäre; zudem waren die geringen Kosten dieses Konzepts von Vorteil. Was den Boden anbelangt wurden hingegen keine Kosten gescheut. Die ausgewählten Dielen aus dänischem Holz erstrecken sich über die gesamte Länge des Raumes und sorgen für einen warmen Kontrast zum schroffen Innenraum.

Die Büroräume des Impact Hub, einem Co-Working-Space in Madrid, wurden von ch+qs arquitectos mit Dielen aus dänischem Holz ausgetattet, die sich über die gesamte Länge des Raumes erstrecken

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Die Büroräume des Impact Hub, einem Co-Working-Space in Madrid, wurden von ch+qs arquitectos mit Dielen aus dänischem Holz ausgetattet, die sich über die gesamte Länge des Raumes erstrecken

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Ganz im Gegensatz zum freundlich anmutenden Holz im Impact Hub entschied sich das aufstrebende chinesische Designerduo Lyndon Neri und Rossana Hu für eine nüchterne Lösung und wählten Betonböden für die Shanghaier Büroräume von Flamingo, einer international tätigen Unternehmensberatung. Entstanden ist eine markante Landschaft verschiedener Betonpodeste und Säulen, die in den polierten Betonboden übergehen. Auch hier wurden kontrastreiche Materialkombinationen eingesetzt. Arbeitsstationen und Wandverkleidungen aus Holz setzten in der Palette von Grautönen, die den Raum dominiert, warme Akzente – ein Trend, der sich bei Innenarchitekten immer mehr durchzusetzen scheint. Genau wie wir unsere Umgebung wahrnehmen, kann diese uns umgekehrt auch erkennen. Das gilt zumindest für neue Böden. IBM hat sich einen Multi-touch-smart-floor patentieren lassen. Der Boden meldet nicht nur, wenn fremde Personen in das Haus eindringen, sondern kann sogar einen Notruf auslösen, wenn Bewohner beispielsweise hingefallen sind. Der smart floor speichert über eine Datenbank und Sensoren, die denen eines Touch-Screen-Handys ähneln, die Anzahl sowie Form und Gewicht von Objekten, die sich im Raum befinden – ein vielversprechender Service der heutigen „smart systems“, aber auch ein unheimlicher Gedanke, wenn es um Büroräume geht. Überzeugende Gestaltung – von der indischen Rangoli-Kunst bis hin zu IBMs technischen Innovationen – war schon immer von Bedeutung. In heutigen schnelllebigen Zeiten wird es immer wichtiger, den täglichen Informationsfluss zu bewältigen und wesentliche Informationen zu speichern. Aber wie ist das möglich?

Das chinesische Designerduo Lyndon Neri und Rossana Hu haben für die Büroräume der Shanghaier Unternehmensberatung Flamingo eine markante Landschaft aus Betonpodesten und -sockeln entworfen, die in den Betonboden übergehen

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Das chinesische Designerduo Lyndon Neri und Rossana Hu haben für die Büroräume der Shanghaier Unternehmensberatung Flamingo eine markante Landschaft aus Betonpodesten und -sockeln entworfen, die in den Betonboden übergehen

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Trends als Hilfsmittel

Wenn Trends als Hilfsmittel für strategische Entscheidungen dienen, können sie zu einem aussagekräftigen Ausblick in die Zukunft beitragen. Meistens sind „neue“ Trends ein Indikator für Themen, die schon lange in der Luft liegen. Nehmen Sie ein Stück Abstand und fragen Sie sich, was die grossen Themen sind, die Einfluss auf Ihre Marke, ihr Produkt oder Ihren Service haben. Waren diese vor fünf Jahren wesentlich anders? Unmittelbarere Vertriebskanäle? Authentizität? Smart systems? Diese Geschäfts-, Marken- und Technologietrends sind nun schon seit einigen Jahren zu verzeichnen und halten weiterhin an.

Natürlich ändern sich die Dinge. Der Trick besteht darin, klarere Trends zu entwickeln, indem man einerseits die sich wandelnden Muster offenlegt und aktuelle Indikatoren, die für das jeweilige Geschäftsmodell, Marke und Verbraucherverhalten wichtig sind, beobachtet und andererseits Indizien aus einer Vielzahl von Quellen, Industriezweigen, Disziplinen und Produktkategorien zusammenträgt, die zu einer aussagekräftigen Analyse beitragen. Es gibt kein Rezept für die Zukunft, aber Trends können sicher dabei helfen, essenzielle Lösungen für unsere Büroräume zu finden.

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