Alternative Fakten: imm cologne 2019
Brand story von Simon Keane-Cowell
Zürich, Schweiz
04.12.18
Die grosse internationale Designmesse im Januar ist nicht nur eine Schau der aktuellsten Produkte, sondern auch eine Plattform für neue Ideen und Inspirationen.
So launisch: Die neueste Ausgabe von Das Haus auf der imm cologne im Januar nächsten Jahres wird realisiert vom australischen Designstudio Truly Truly und untersucht das Verhältnis von Raum und Emotionen
So launisch: Die neueste Ausgabe von Das Haus auf der imm cologne im Januar nächsten Jahres wird realisiert vom australischen Designstudio Truly Truly und untersucht das Verhältnis von Raum und Emotionen
×Die imm cologne ist nicht mehr das, was sie mal war.
Das weltweit dienstälteste internationale Design-Event ist für Fachleute eine der Pflichtmessen des Jahres. Über die Grenzen einer reinen Produktschau ist sie jedoch längst hinausgekommen. In den letzten Jahren haben die Organisatoren die imm cologne mehr und mehr zu einer Ideenmanufaktur erweitert, zu einem Atelier für neues und alternatives Denken.
Zwei konzeptuelle Projekte werden Architekten und anderen Besuchern im nächsten Januar neue Perspektiven auf vertraute Raumtypologien eröffnen. Einerseits wird die mittlerweile achte Edition von "Das Haus: Interiors on Stage" – diesmal konzipiert vom australischen Designstudio Truly Truly – die konventionelle Logik der häuslichen Sphäre überdenken. "Wir sehen das Projekt als Gelegenheit, einige der typischen Funktionsweisen unserer Lebenswelten zu hinterfragen und Alternativen auszuarbeiten", erklärt das Kreativduo.
Inner visions: Studio Truly Truly, Schöpfer von Das Haus 2019, und der Schweizer Designer Häberli, der seine Küche der Zukunft im Rahmen der LivingKitchen präsentiert, zeigen ihre Visionen davon, wie Innenräume aussehen und sich anfühlen könnten
Inner visions: Studio Truly Truly, Schöpfer von Das Haus 2019, und der Schweizer Designer Häberli, der seine Küche der Zukunft im Rahmen der LivingKitchen präsentiert, zeigen ihre Visionen davon, wie Innenräume aussehen und sich anfühlen könnten
×Andererseits wurde der produktive Schweizer Designer Alfredo Häberli damit beauftragt, im Rahmen der internationalen Fachmesse LivingKitchen seine persönliche Vision für die Küche der nahen Zukunft zu präsentieren. "Ich bin in Argentinien aufgewachsen, was bedeutet, dass ich mehr Zeit in der Küche als im Wohnzimmer verbracht habe", sagt er. "Ich habe immer noch einen guten Riecher für die Küche und darauf bin ich stolz."
Die Menschen versammeln sich nicht mehr um einen Fernseher
Wir wissen alle, wie schwierig das Leben heute sein kann. Je digitaler unsere Welt wird, desto schneller wird sie und desto fragmentierter kann unser psychisches und emotionales Empfinden sein. Gegenwind kommt in Form eines bewussteren Lebens. Grenzen setzen. Sich Zeit nehmen, um bei sich selbst zu sein. Truly Truly schaffen für ihre Annäherung an Das Haus eine häusliche Bühne, "in der Räume durch Stimmungen, nicht durch Funktionen definiert werden".
Hier, dort und überall: "Wir versuchen, die Grenzen zwischen den Räumen zu verwischen. Keine strengen räumlichen Codes", sagt Joel Booy von Truly Truly über Das Haus auf der imm cologne 2019
Hier, dort und überall: "Wir versuchen, die Grenzen zwischen den Räumen zu verwischen. Keine strengen räumlichen Codes", sagt Joel Booy von Truly Truly über Das Haus auf der imm cologne 2019
×Das Haus 2019 verzichtet teilweise auf den traditionellen programmatischen Charakter häuslicher Räume – es gibt zum Beispiel kein Wohnzimmer als solches – und führt stattdessen "einen Rückzugsraum, einen Liegeraum, einen Aktivraum, einen Entspannungsraum usw. ein. Wir versuchen, die Grenzen zwischen den Räumen zu verwischen und keine strikten räumlichen Codes zu verwenden", erklärt Joel Booy von Truly Truly. Ausgehend von Materialien und Taktilität nehmen Truly Truly den Status Quo des häuslichen Bereichs in den Fokus und bieten etwas Abstraktes, Hinterfragendes, das jedoch gleichzeitig Wärme hat.
"Die Lebensweise der Menschen entwickelt sich immer weiter", sagt Kate Booy. "Man versammelt sich nicht mehr um einen Fernseher. Unterhaltung kann heutzutage auf so viele verschiedene Arten konsumiert werden und an beliebig vielen Orten eines Zuhauses. Das Gleiche gilt für andere Funktionen. Es hängt alles viel mehr davon ab, was man tut und in welcher Stimmung man ist, wenn man sich entscheidet, wo man diese bestimmte Aktivität ausführt."
So schmeckt die Zukunft
Die Küche spielt in Das Haus eine wichtige Rolle. Sie "interagiert", wie Joel Booy es ausdrückt, "mit benachbarten Räumen". Für Alfredo Häberli, Schöpfer der "Küche der Zukunft", ist es ein überdeterminierter Raum, in dem unsere grundlegendsten Bedürfnisse erfüllt werden – das Bedürfnis, Lebensmittel zu konsumieren und das Bedürfnis Gesellschaft zu konsumieren. Wir sind soziale Tiere und das gemeinsame Essen ist wohl eines der verbindendsten Rituale, die es gibt. Aber obwohl unsere Bedürfnisse ursprünglich und konstant sein mögen, leben wir in einer Welt des materiellen und technologischen Wandels. Das heisst, dass die Küche sich auch weiterhin an die Art, wie wir unser Leben leben, anpassen wird.
Nicht auf dem Menü: "Ich möchte meinen Entwurf für die zukünftige Küche bewusst auf einen gewissen Abstraktionsgrad heben", sagt der Schweizer Designer Häberli. Offen und reduziert, wird sie zum Bezugspunkt für eine Vielzahl von kreativen Möglichkeiten
Nicht auf dem Menü: "Ich möchte meinen Entwurf für die zukünftige Küche bewusst auf einen gewissen Abstraktionsgrad heben", sagt der Schweizer Designer Häberli. Offen und reduziert, wird sie zum Bezugspunkt für eine Vielzahl von kreativen Möglichkeiten
×"Ich möchte meinen Entwurf für eine zukünftige Küche bewusst auf einen gewissen Abstraktionsgrad heben", sagt Häberli, "denn die Zeiten, in denen wir leben, bewegen sich unglaublich schnell. Meine Küche bezieht sich auf die nahe Zukunft." Durch die Präsentation als offenes, zurückgenommenes Design – mit Fokus auf sinnlichen Materialien – wird sie zum Prüfstein für unterschiedlichste Fragestellungen und kreative Möglichkeiten. "Sie ist wie ein Konzeptfahrzeug", erklärt Häberli.
Eine speziell entwickelte App wird dem Raum eine zusätzliche, virtuelle Ebene geben und beispielsweise zukunftsweisende Geräte einführen, die über ihre aktuellen Konfigurationen und Monofunktionen hinausgehen. "Man denke zum Beispiel an den Kühlschrank. Warum hat er keine Glastür und ist nicht horizontal statt vertikal? Oder mobil, damit man ihn an den Tisch fahren kann?"
Eat, pray, live: Wir leben in einer Welt des materiellen und technologischen Wandels, und die Küche – wie jeder Raum oder jede Art von Gebäude – passt sich ständig der Art und Weise an, wie wir unser Leben führen
Eat, pray, live: Wir leben in einer Welt des materiellen und technologischen Wandels, und die Küche – wie jeder Raum oder jede Art von Gebäude – passt sich ständig der Art und Weise an, wie wir unser Leben führen
×Für Häberli geht es dabei auch um etwas Wesentlicheres. Da immer mehr von uns allein auf immer kleinerem Raum leben und die Notwendigkeit steigt, das Wachstum zu reduzieren, um tatsächlich ökologisch nachhaltig zu werden, nimmt er das italienische Kulturphänomen der Tavolata – der grossen gemeinschaftlichen Speisetafel – als Requisite und Metapher für seinen experimentellen Küchenraum.
Es wird viel Nahrung für neue Ideen geben im kommenden Januar auf der imm cologne.
© Architonic