Das Imperium schlägt zurück: Vienna Design Week
Text von Simon Keane-Cowell
Zürich, Schweiz
02.11.16
Auch nach zehn Jahren zeigt die stadtweite Kreativschau Vienna Design Week keine Anzeichen, ihren Glanz zu verlieren.
Die Stadt als Showroom: Auch in ihrer 10. Auflage blieb die Vienna Design Week dem Prinzip treu, ein Kulturfestival und keine Messe zu sein. Foto: Kollektiv Fischka
Die Stadt als Showroom: Auch in ihrer 10. Auflage blieb die Vienna Design Week dem Prinzip treu, ein Kulturfestival und keine Messe zu sein. Foto: Kollektiv Fischka
×Das herrschaftliche Österreich mag Geschichte sein, seine imperiale Macht aber ist noch sehr präsent in der grandiosen Architektur der Hauptstadt. Im zeitgenössischen globalen Zusammenhang ist Wien natürlich nicht so gross. Und für den Autor dieser Zeilen, der Ende September fast in einem Durchgang zuerst das London Design Festival und dann die Vienna Design Week besuchte gab es in der Stadt der Kaffeehäuser und stolzierenden Pferde deutlich weniger Strecke zu durchmessen als auf der Insel.
Im Auge des Betrachters: Fredrikson Stallards linsenartige Installation "Prologue" im Schloss Belvedere bestand aus 8.000 Swarovskikristallen. Fotos: Swarovski_Thomas Schrott
Im Auge des Betrachters: Fredrikson Stallards linsenartige Installation "Prologue" im Schloss Belvedere bestand aus 8.000 Swarovskikristallen. Fotos: Swarovski_Thomas Schrott
×Gleichwohl ist es ein sehr fruchtbares Milieu, in dem ungezähmte (kein Wortspiel beabsichtigt) Kreativität auf virtuoses Handwerk trifft. Und, wie es heisst, Grösse ist nicht alles; das Festival mag mit beschränktem Budget agieren, als Designschau aber kämpft die VDW deutlich über ihrer Gewichtsklasse.
Lichter der Grossstadt: Maxim Velčovskýs "City Shades" Dioramen architektonischer Wahrzeichen wurden aus angeleuchteten Kronleuchterteilen und Gläsern von J. & L. Lobmeyr hergestellt. Foto: Kollektiv Fischka
Lichter der Grossstadt: Maxim Velčovskýs "City Shades" Dioramen architektonischer Wahrzeichen wurden aus angeleuchteten Kronleuchterteilen und Gläsern von J. & L. Lobmeyr hergestellt. Foto: Kollektiv Fischka
×Makro/Mikro
Ein besonderer konzeptueller Strang der diesjährigen 10. Jubiläumsausgabe der VDW galt der Skalierung und dem Zusammenhang zwischen Einzelelement und Ganzem. So wie die Showrooms des Festivals und die anderen Ausstellungsorte überall in der Stadt (die sogenannten Passionswege) zusammen eine Designtopografie bildeten, die entweder mit Plan oder per Zufallsprinzip zu entdecken war, so applizierte die Installation "City Shades" des tschechischen Künstlers Maxim Velčovský in der VDW Festivalzentrale geschickt die Technik des Schattentheaters auf Kompositionen von Kronleuchterlementen und Trinkgläsern unterschiedlicher Grösse und Form, um faszinierende Dioramen Wiens, Moskaus und New Yorks entstehen zu lassen. Von hinten beleuchtet warfen die Glaselemente von J. & L. Lobmeyr Schatten in Form der ikonischen architektonischen Wahrzeichen der Stadt, wie Stephansdom und Riesenrad.
Grösse zählt: Friedrich Kieslers "Raumstadt" (1925), installiert im Wiener MAK (oben) und David Tavcars Kollaboration mit Petit-Point Kunsthandwerkerin Maria Stransky, "Zoom-In Zoom-Out" (oben). Fotos: Kollektiv Fischka
Grösse zählt: Friedrich Kieslers "Raumstadt" (1925), installiert im Wiener MAK (oben) und David Tavcars Kollaboration mit Petit-Point Kunsthandwerkerin Maria Stransky, "Zoom-In Zoom-Out" (oben). Fotos: Kollektiv Fischka
×Das britische Designduo Fredrikson Stallard kooperierte unterdessen mit Swarovski, um eine eindrucksvolle, vier Meter hohe Installation mitten in der barocken Pracht des Schlosses Belvedere zu erschaffen. Die ortsspezifische Arbeit mit dem Titel "Prologue" aus über 8.000 gold- und topasfarbigen Kristallen, die ein grosses, linsenähnliches Gebilde formten, kommunizierte die Idee von der Lust des Blicks während seine schimmernden Einzelteile zum Augenschmaus einluden.
Tatsächliche Linsen waren Teil der Kollaboration des slowenischen Designers David Tavcar mit der Petit-Point Kunsthandwerkerin Maria Stransky in deren kleiner Werkstatt. Mit Bezug auf die handwerklichen Skills der Stickerei, deren Arbeiten bis zu 2.500 Stiche pro Zoll enthalten können, zeigte Tavar seine vergrösserten Reworks klassischer Stransky-Motive, wie Rosen und Veilchen, unter Vergrösserungsgläsern und transferierte das Klassische, Bildliche ins Abstrakte und Zeitgenössische.
A star is born: Hans Harald Raths Met Chandeliers 50 Jahre nach ihrem Debüt in der New Yorker Metropolitan Opera bei J. & L. Lobmeyr. Foto: Kollektiv Fischka
A star is born: Hans Harald Raths Met Chandeliers 50 Jahre nach ihrem Debüt in der New Yorker Metropolitan Opera bei J. & L. Lobmeyr. Foto: Kollektiv Fischka
×Tafelspitz
Wiens kulturelles Kapital erschöpft sich nicht im Überfluss seiner Architektur oder seiner Tradition im Möbel-Kunsthandwerk. Es ist auch in den alltäglichen bürgerlichen Ritualen präsent. Essen und Trinken werden in der österreichischen Hauptstadt traditionell sehr ernst genommen, was die materielle Kultur bezeugt, die sich im Laufe der Jahrhunderte um diese Tätigkeiten gebildet hat. Man denke z.B. an Tafelsilber und Porzellan.
Zu Tisch: Tomás Alonsos rationales und doch expressives Tee Service in der Wiener Silber Manufactur (oben; Foto: Kollektiv Fischka) und zerunianandweisz' Kollektion subversiver Tischgedecke "Fremdes Vogel" (unten; Foto: zerunianandweisz)
Zu Tisch: Tomás Alonsos rationales und doch expressives Tee Service in der Wiener Silber Manufactur (oben; Foto: Kollektiv Fischka) und zerunianandweisz' Kollektion subversiver Tischgedecke "Fremdes Vogel" (unten; Foto: zerunianandweisz)
×Die subtil-subversiven und häufig humorvollen Tafelset-Kompositionen des österreichischen Designduos zerunianandweisz setzen sich aus arbeitsintensiv handgefertigten Elementen und objets trouvés zusammen. In der Festivalzentrale zeigten sie die nicht ganz ernst gemeinte Kollektion "Fremdes Vogel", die zusammen mit Roma-Handwerkern bei einem Kupferschmied in Transsilvanien entwickelt wurde. Am selben Ausstellungsort kuratierte das Wiener Studio Polka eine Installation in Anlehnung an den klassischen Teesalon mit der neuen Gastro-Porzellankollektion, gestaltet für den Teelieferanten Demmers Teehaus. Verschiedene Elemente des Tee-Services wurden in einer abgestuften Komposition zusammengebracht, die jenes Stapelobjekt bürgerlicher Fröhlichkeit zitierte – den Tortenständer.
Tee im grossen Stil: Polkas Teesalon-Installation mit ihrer Porzellankollektion für den Teeanbieter Demmers Teehaus. Foto: Kollektiv Fischka
Tee im grossen Stil: Polkas Teesalon-Installation mit ihrer Porzellankollektion für den Teeanbieter Demmers Teehaus. Foto: Kollektiv Fischka
×In ihrem Showroom stellte die Wiener Silber Manufactur unterdessen die Höhepunkte der letzten zehn Jahren "Passionswege" aus, einschliesslich ihres anmutig rationalen und doch sehr expressiven Tee-Services, entworfen vom gebürtigen Spanier und Wahllondoner Tomás Alonso. Auch gezeigt wurde der eisbeschlagene Champagnerkübel des französischen Designers Alexandre Echasseriau, der auf die gezackte Form von Gletschern und Bergen verweist.
Sichtweisen: Studio Es' Kollaboration mit der Kunstanstalt für Kupferdruck (oben; Foto: Kollektiv Fischka) und eine Veranstaltung im Ausstellungsraum der Neuen Wiener Werkstätte (unten; Foto: NWW)
Sichtweisen: Studio Es' Kollaboration mit der Kunstanstalt für Kupferdruck (oben; Foto: Kollektiv Fischka) und eine Veranstaltung im Ausstellungsraum der Neuen Wiener Werkstätte (unten; Foto: NWW)
×Spuren
Man kann sich in Wien nicht bewegen, ohne über die reichhaltige Kreativität und das Kunsthandwerk seiner Entwicklung zu stolpern. Die verschiedenen historischen Schichten des architektonischen und materiellen kulturellen Erbes der Stadt – darunter Barock, Jugendstil und Moderne – unterstreichen und definieren es. Spuren der Vergangenheit brechen an die Oberfläche der Gegenwart, zum Beispiel in der alten Geschäftsbeschilderung, die inmitten des visuellen Rauschens internationaler Verbrauchermarken wahrnehmbar ist.
Reagenzglas: Martino Gamper verwandelt das Alltagsobjekt Trinkglas durch verschiedene Prozeduren wie Schneiden, Gravur und Handbemalung in etwas Poetischeres. Foto: Kollektiv Fischka
Reagenzglas: Martino Gamper verwandelt das Alltagsobjekt Trinkglas durch verschiedene Prozeduren wie Schneiden, Gravur und Handbemalung in etwas Poetischeres. Foto: Kollektiv Fischka
×Mehrere Aussteller der VDW spielten dann auch mit der Idee von Spuren. Die Gläser-Prototypen-Kollektion des Londoner Designers Martino Gamper für den ehemaligen Glas- und Leuchterlieferanten des königlichen Hofes J. & L. Lobmeyr, ausgestellt in deren pompösem Ausstellungsraum, zeigte ein sehr grafisches Eingreifen auf eine vertraute Objektart - das Trinkglas. Durch den Einsatz traditioneller Techniken von Lobmeyr, wie Schneiden, Gravieren, Polieren, Sandstrahlen, Handmalerei und Vergoldung hinterliess Gamper ein ausdrücklich zeitgenössisches Zeichen auf einer simplen, quasi anonymen Form.
Erhellend: mischer'traxlers kinetische Installation "Isochrone" trägt eine Tischplatte ab (oben; Foto: Schloss Hollenegg_Federico Floriani) und Farbexperimente in Neon von rENs in Zusammnarbeit mit Neon Kunze (unten; Foto: Kollektiv Fischka)
Erhellend: mischer'traxlers kinetische Installation "Isochrone" trägt eine Tischplatte ab (oben; Foto: Schloss Hollenegg_Federico Floriani) und Farbexperimente in Neon von rENs in Zusammnarbeit mit Neon Kunze (unten; Foto: Kollektiv Fischka)
×In der Festivalzentrale hatte das einheimische Wiener Designstudio mischer'traxler unterdessen seine kinetische Installation Isochrone ausgestellt. Der Auftrag von Schloss Hollenegg lautete, das Thema Langsamkeit zu erforschen. Die Arbeit bestand aus einem grossen, permanent schwingenden Pendel, dessen Basis sich über eine mehrschichtige Tischplatte bewegte und mit jedem Schwingen mehr von dessen Oberfläche entfernte. Die langsam aber stetig anwachsende, Farbschichten freilegende, schüsselförmige Vertiefung hatte wahrscheinlich kaum Attraktionswert für Menschen mit Vorliebe für sofortige Belohnung.
Grenzüberschreitende Beziehungen: Der tschechische Hersteller TON stattetete den Café-Bereich in der VDW Festivalzentrale aus. Foto: Kollektiv Fischka
Grenzüberschreitende Beziehungen: Der tschechische Hersteller TON stattetete den Café-Bereich in der VDW Festivalzentrale aus. Foto: Kollektiv Fischka
×Ganz im Gegensatz zum Neonlichtprojekt des holländischen Designerpaars rENs, das beim Stadtworkshop von Neon Kunze präsentiert wurde. In Kollaboration mit dem alteingesessenen Wiener Beschilderungs- und Beleuchtungshersteller zeigten die Designer ihre faszinierenden Experimente mit Farbnuancen und verschiedenen Lichteffekten. Bei näherer Betrachtung konnte der Besucher die Spuren der Gase in den verschiedenen, speziell entworfenen Glasröhren herumrasen sehen.
Ausgesprochen erhellend. Wie die Vienna Design Week selbst.
© Architonic