Individuell statt industriell: Designmanufakturen stellen in London aus
Text von Simon Keane-Cowell
Zürich, Schweiz
09.10.13
Das jährlich stattfindende London Design Festival beweist, dass die britische Hauptstadt zu Recht den Status eines internationalen Zentrums der Kreativität trägt. Das Festival, das mittlerweile stadtweit über 300 Events umfasst, ist nicht zuletzt auch eine Plattform für einheimische Designmanufakturen. Selbstständig arbeitende Gestalter und kleinere Marken präsentieren hier ein vielseitiges Spektrum an Produkten, die sie in Eigenregie herstellen. Architonic wirft ein Licht auf einige dieser kreativen Werkstätten aus Grossbritannien und Irland.
Es gibt einen Teil Europas, der sich zwar abseits des kontinentalen Festlandes, aber keineswegs im Abseits befindet. Kreativität und Durchhaltewillen sind Eigenschaften, die den Briten und Iren traditionellerweise zugesprochen werden und die im gestalterischen Bereich unter anderem in der Arbeit eigenständiger Designmanufakturen ihren Ausdruck finden. Es ist daher keine Überraschung, dass das diesjährige London Design Festival als grosse, internationale Top-Veranstaltung auch kleineren Labels und selbstständigen Designern die Gelegenheit bot, ihre Arbeiten zu präsentieren – Kollektionen, denen die Macher den persönlichen Stempel nicht nur als Gestalter, sondern auch als Hersteller aufdrücken.
Das Crafts Council of Ireland zeigte an der makellos kuratierten Ausstellung Tent London unter dem Titel „Vernacular“ (einheimische Tradition) sehenswerte Arbeiten von irischen Designmanufakturen; Foto Sophie Mutevelian
Das Crafts Council of Ireland zeigte an der makellos kuratierten Ausstellung Tent London unter dem Titel „Vernacular“ (einheimische Tradition) sehenswerte Arbeiten von irischen Designmanufakturen; Foto Sophie Mutevelian
×Seien es aufstrebende Designer, die ihre ersten Entwürfe selbst produzieren, Designer mit einem handwerklichen Hintergrund oder solche, die über ihre Marke die völlige Kontrolle haben wollen und die Entstehung ihrer Produkte von der gestalterischen Idee bis hin zur Herstellung selbst steuern wollen; so unterschiedlich die Gründe für die Gründung einer kleinen Designmanufaktur auch sein mögen, dahinter stehen stets Gestalter, die ihr Geschick selbst in die Hand nehmen.
Bei dieser Herstellungsweise, in die die Designer stark involviert sind, wird der Qualität erwartungsgemäss grosse Bedeutung zugemessen. Nebst der Wahl von hochwertigen Materialien und ihrer sorgfältigen Verarbeitung unter Anwendung anspruchsvoller Handwerkstechniken, weisen die Produkte oft auch starke Bezüge zum Entstehungsort auf: Viele Designer haben ihre kreative Basis ausserhalb der Metropolen in den Regionen, in welchen sie aufgewachsen sind oder ausgebildet wurden. Der lokale Hintergrund ist ein Hauptmerkmal ihrer Marken.
Die Crème de la Crème des Designs aus Devon: Young & Norgate ist eine auserlesene Gruppe von Designern, die zeitgemässe Möbel „individuell fertigt, nicht industriell produziert“. Hier abgebildet ist der Nachttisch „Animate“
Die Crème de la Crème des Designs aus Devon: Young & Norgate ist eine auserlesene Gruppe von Designern, die zeitgemässe Möbel „individuell fertigt, nicht industriell produziert“. Hier abgebildet ist der Nachttisch „Animate“
×Devon. Das englische County ist für seine gewellte Hügellandschaft und die Clotted Cream bekannt und die Heimat der Manufaktur Young & Norgate, die Möbel nach Mass entwirft und herstellt. An der diesjährigen 100% Design stellte Young & Norgate Entwürfe aus, die zeitgemäss sind, ohne jedoch dem schnelllebigen Modediktat zu unterliegen. Anlässlich der Ausstellung betonte die Gruppe von Designern und Handwerkern, dass sie ihre Möbel „individuell fertigt, nicht industriell produziert“. Ihre Entwürfe verfügen zwar über ein rationales Design, wirken aber keineswegs kalt – dank der Verwendung von warmen, FSC-zertifizierten Hölzern und hochwertigem, schottischem Leder. Die Möbel sind für den nachhaltigen Gebrauch bestimmt und bieten sich aufgrund ihrer hohen Qualität und Robustheit auch als Langzeitbegleiter an. Es handelt sich um Produkte, die man nicht bereits nach kurzer Zeit wieder loswerden will.
„Handmade in Hay“ lautet der Slogan des britischen Design-Duos Barnby & Day. Die Möbel, die in ihrer Werkstatt entstehen, zeugen ebenso von Robs gestalterischem wie auch von Lewis' handwerklichem Talent. Hier zu sehen ist ihr Schreibtisch „Frame“
„Handmade in Hay“ lautet der Slogan des britischen Design-Duos Barnby & Day. Die Möbel, die in ihrer Werkstatt entstehen, zeugen ebenso von Robs gestalterischem wie auch von Lewis' handwerklichem Talent. Hier zu sehen ist ihr Schreibtisch „Frame“
×Der Firmenstandort ist auch für die Marke Barnby & Day prägend. Mit dem Slogan „Handmade in Hay“ unterstreicht das Design-Duo den realen und ideellen Wert, der ihren Möbeln zukommt, die in ihrer Werkstatt in der historischen, walisischen Grenzstadt Hay handgefertigt werden. Robert Barnby und Lewis Day haben ihren Messestand während des diesjährigen London Design Festivals an der Tent aufgebaut, wo sie nebst anderen Entwürfen den aus erstklassigen Materialien erstellten und makellos gefertigten Flurtisch „Bridge“ sowie den Schreibtisch „Frame“ zeigten. Beide Möbelstücke zeugen vom Know-how, durch welches sich das Duo in der Kombination auszeichnet: Robert ist der gestalterische Kopf, während Lewis seine technischen und handwerklichen Fertigkeiten einbringt.
Das kreieren von Möbeln liegt den Galvin Brothers in den Genen. Ihr Vater war über sechs Jahrzehnte hinweg Möbelschreiner. Ihre Werke, die an der diesjährigen Tent ausgestellt wurden, tragen den Stempel ihrer Herkunft – „Yorkshire, England“
Das kreieren von Möbeln liegt den Galvin Brothers in den Genen. Ihr Vater war über sechs Jahrzehnte hinweg Möbelschreiner. Ihre Werke, die an der diesjährigen Tent ausgestellt wurden, tragen den Stempel ihrer Herkunft – „Yorkshire, England“
×Die Kombination von gestalterischen und handwerklichen Fähigkeiten bildet auch die Basis für die Partnerschaft der Galvin Brothers. Im Stempel ihrer Marke deklarieren sie stolz die Herkunft ihrer Produkte: „Yorkshire, England“. Das Bürderpaar, der Designer Matthew und der Schreiner Andrew Galvin, arbeitet mit Materialien wie Eichen- oder Walnussholz und stellt Möbel her, denen man ansieht, dass viel Arbeit in ihnen steck. Die Inspiration zu liebevoller, präziser Schreinerarbeit und zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Materialien erhielten die Galvin Brothers von ihrem Erzieher: Ihr Vater war über 60 Jahre lang als Schreiner und Möbelmacher tätig.
Irland ist für seine Handwerkstradition bekannt. Aktuelles irisches Produktdesign – hier an der Gruppenausstellung „Vernacular“ im Rahmen der Tent gezeigt – zeugt von der gekonnten Anwendung handwerklicher Techniken; Foto Sophie Mutevelian
Irland ist für seine Handwerkstradition bekannt. Aktuelles irisches Produktdesign – hier an der Gruppenausstellung „Vernacular“ im Rahmen der Tent gezeigt – zeugt von der gekonnten Anwendung handwerklicher Techniken; Foto Sophie Mutevelian
×Der Schreibtisch „Falling Dansu“ mit ausgeprägt architektonischem Design von O'Donnell + Tuomey und Keramik von Derek Wilson mit schlichten, grazilen Formen. Beides wurde in der Schau „Vernacular“ an der Tent ausgestellt; Fotos Andreas Pettersson
Der Schreibtisch „Falling Dansu“ mit ausgeprägt architektonischem Design von O'Donnell + Tuomey und Keramik von Derek Wilson mit schlichten, grazilen Formen. Beides wurde in der Schau „Vernacular“ an der Tent ausgestellt; Fotos Andreas Pettersson
×Begeben wir uns übers Meer nach Irland. Auf der grünsten aller Inseln wird Design stark mit Handwerkskunst und allem, was diese mit sich bringt, in Verbindung gebracht: umfangreiches Wissen über Materialen und darüber, wie diese am besten eingesetzt und technisch bearbeitet werden. An der Tent wurde vom Crafts Council of Ireland eine Gruppenausstellung mit dem Titel „Vernacular“ organisiert, an der eine grosse Vielfalt an zeitgemässen Produkten gezeigt wurde, in denen die irische Handwerkstradition zum Ausdruck kommt. Die schlichten und grazilen Arbeiten des Keramikers Derek Wilson aus Belfast wurden unter anderem ergänzt durch den „DC Armchair“ des Dubliner Design Labels O'Driscoll Furniture und den betont architektonisch gestalteten Schreibtisch „Falling Dansu“, der vom preisgekrönten irischen Atelier O'Donnell + Tuomey entworfen und hergestellt wurde. Die von Ann Mulrooney kuratierte und Steven McNamara gestaltete Ausstellung bot einen passenden Rahmen, um auf den 50. Geburtstag des Kilkenny Design Workshops hinzuweisen. Das vom irischen Staat finanzierte, interdisziplinäre Design Studio, das auch Beratungsfunktionen übernommen hat, existiert zwar bereits seit längerem nicht mehr, sein Geist lebt jedoch in den Arbeiten der zeitgenössischen irischen Designmanufakturen weiter.
Zwei Enden des Lichtspektrums: Die in Kleinserie produzierte Lampe „Task“ von James Smith Design, die an der Schau 100% Design gezeigt wurde, und die architektonische Lichtinstallation von Sharon Marston für die Super Brands London
Zwei Enden des Lichtspektrums: Die in Kleinserie produzierte Lampe „Task“ von James Smith Design, die an der Schau 100% Design gezeigt wurde, und die architektonische Lichtinstallation von Sharon Marston für die Super Brands London
×Kehren wir zurück nach Grossbritannien. Der aufstrebende Designer James Smith gründete im Jahr 2011 in Cornwall die nach ihm benannte Marke James Smith Designs. Im Rahmen des London Design Festivals zeigte Smith seine Entwürfe an der 100% Design. Der ausgebildete Möbelschreiner verfolgt eine gemeinschaftliche Arbeitsweise und setzt auf die Fertigkeiten britischer Handwerker, die ihn bei der Herstellung seiner Möbel in Kleinserie unterstützen. Dabei entstehen sorgfältig vollendete Produkte wie die beiden Lampenmodelle „Task“ und „Glade“. Beleuchtungsprojekte wesentlich grösseren Massstabs bekamen die Besucher der Designjunction und der Super Brands zu Gesicht – und zwar in Form von Sharon Marstons massgefertigten, skulpturalen Lichtinstallationen, für welche die Designerin und ihr Unternehmen bekannt sind. Sharon Marston wurde bereits mit verschiedenen internationalen Hotel-, Restaurant- und Ladenprojekten beauftragt. Alle ihre Arbeiten entstehen in ihrem Studio im Süden Londons, wo sie in Handarbeit erstellt und anschliessend oftmals von ihr und ihrem Team am schlussendlichen Standort vollendet werden. Sie reist zu diesem Zweck an all die Orte, an denen ihre Werke installiert werden.
David Lord und Ben Frost (alias Junction Fifteen) arbeiten mit ausgewählten Handwerkern aus ihrer Heimat Northamptonshire zusammen, um in Kleinserie qualitativ hochwertige Objekte wie den hier abgebildeten Hocker „Olly“ herzustellen
David Lord und Ben Frost (alias Junction Fifteen) arbeiten mit ausgewählten Handwerkern aus ihrer Heimat Northamptonshire zusammen, um in Kleinserie qualitativ hochwertige Objekte wie den hier abgebildeten Hocker „Olly“ herzustellen
×Von der globalen auf die lokale Ebene: Der örtlichen Handwerkskunst messen auch David Lord und Ben Frost von Junction Fifteen in ihrer Arbeit eine bedeutende Rolle zu. Die Möbeldesigner aus Northampton zeigten an der diesjährigen Tent ihre Debüt-Kollektion. Sie arbeiten mit ausgewählten Handwerkern aus dem County Northamptonshire zusammen, um ihre Entwürfe in Kleinserie herzustellen – wie etwa den Hocker „Olly“ mit Beinen aus asymmetrisch gebogenen Stahlrohren. Diese Arbeitsweise ermöglicht es ihnen, eine hohe Qualität der Endprodukte sicherstellen zu können. Etwas entfernt, im County Cheshire, betreibt Gareth Batowski seine Werkstatt. Seine Möbel zeichnen sich durch eine sorgfältige Auswahl der verwendeten Hölzer (einige davon bezieht er von einem örtlichen Baumpfleger) und einen sensiblen gestalterischen Umgang damit aus. Das Resultat sind ausdrucksstarke Möbel mit einer schlichten, zeitgemässen Ästhetik, die aufgrund der verwendeten Materialien sehr organisch wirken. Aus Batowskis Entwürfen, die an der Tent ausgestellt wurden, spricht seine Überzeugung, dass „mit den Materialien, die man einsetzt, verantwortungsvoll umgegangen werden muss.“
Dem Designer Gareth Batowski ist ein respektvoller Umgang mit den Materialien wichtig. Sein Beistelltisch „Ari“ verfügt über eine Tischplatte aus Schiefer, die aus einem kleinen Steinbruch in Englands Lake District stammt
Dem Designer Gareth Batowski ist ein respektvoller Umgang mit den Materialien wichtig. Sein Beistelltisch „Ari“ verfügt über eine Tischplatte aus Schiefer, die aus einem kleinen Steinbruch in Englands Lake District stammt
×Wenn sich die Produktionszahlen eines erfolgreichen Designers, der alleine arbeitet oder eine kleine Manufaktur führt, erhöhen, bedeutet dies keineswegs zwangsläufig, dass er sich von seiner angestammten Arbeitsweise verabschieden muss, wonach der Qualität oberste Priorität zugeordnet wird und die verwendeten Materialen und die Ästhetik mit der gestalterischen Idee im Einklang stehen. Das im Jahr 2009 gegründete Dare Studio hat sich rasch als einer der gefragtesten britischen Möbel- und Lampenhersteller im Highend-Segment etabliert und ist sowohl im Objekt- als auch im Wohnbereich tätig. Der Familienbetrieb verfügt über eine grosse Werkstatt in Brighton. Sämtliche Entwürfe von Sean Dare werden handgefertigt und bei fachkundigen Handwerkern in Auftrag gegeben, die anspruchsvolle Fertigungstechniken beherrschen und ein Auge für das Detail haben. An der diesjährigen Designjunction päsentierte Dare Studio einige ausgewählte Produkte aus der eigenen Kollektion, die insgesamt ausgewogen ist: Nebst Möbeln mit einer Vintage-Ästhetik finden sich darin auch Einzelanfertigungen, die anhand von detaillierten technischen Zeichnungen und mittels aktueller CAD-Software erstellt werden.
Dare Studio verfügt über eine grosse Werkstatt in Brighton und fertigt mit Hilfe von Handwerkern Highend-Möbel für den Objekt- und Wohnbereich. Am diesjährigen London Design Festival stellten sie an der Designjunction aus
Dare Studio verfügt über eine grosse Werkstatt in Brighton und fertigt mit Hilfe von Handwerkern Highend-Möbel für den Objekt- und Wohnbereich. Am diesjährigen London Design Festival stellten sie an der Designjunction aus
×Digitaltechnik spielt auch in der Arbeit des Designers Brodie Neill eine wichtige Rolle. Der gebürtige Australier hat seine Basis in London, wo er kürzlich die Marke Made in Ratio gründete. Neill experimentiert mit neuen Prozessen und lotet deren Möglichkeiten aus. Gleichzeitig greift er aber auch, wie er selbst sagt, auf „altehrwürdige“ Materialen zurück und zieht hochqualifizierte Handwerker bei. Sein Stuhl „Cowrie“, der auch als Schaukelstuhl erhältlich ist, sein Garderobenständer „Matrix“ und sein graphisch verspielter Schreibtisch „Supernova“, die alle an der Designjunction zu sehen waren, hat er digital entworfen. Aufgrund der präzisen, skulpturalen Formen lässt sich dies unschwer erkennen. Neill arbeitet mit den Gestaltungs- und Herstellungsmethoden des 21. Jahrhunderts: Die gestalterische Idee wird mit Hilfe der neuesten Technologie umgesetzt, wobei der Designer die Kontrolle über den gesamten Erstellungsprozess behält – von der Konzeption über die Prototypenphase bis hin zur Fertigung des Endproduktes.
Designmanufakturen verfolgen mit Erfolg ihre individuellen gestalterischen Ansätze. Wenn es aber darum geht, die Früchte ihrer Arbeit auszustellen, dann gibt es eine Stadt, die allen anderen meilenweit voraus ist: London.
Made in Ratio stellte an der Designjunction aus. Der Designer Brodie Neill arbeitet mit digitalen Designtechniken und experimentellen Prozessen. Hier zu sehen ist der Schreibtisch „Supernova“ und eine Detailansicht des Schaukelstuhls „Cowrie“
Made in Ratio stellte an der Designjunction aus. Der Designer Brodie Neill arbeitet mit digitalen Designtechniken und experimentellen Prozessen. Hier zu sehen ist der Schreibtisch „Supernova“ und eine Detailansicht des Schaukelstuhls „Cowrie“
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