„Die Anwendung von internationalen und weltweit anerkannten Zertifizierungen reicht nicht aus, wenn es keine ‚Selbstzertifizierung‘ gibt“, so das Spitzenteam des preisgekrönten Büros.

Anstatt die Landschaft mit Gebäuden zu übersäen, haben Matteo Thun & Partners die Grünflächen des Katschbergs mit zwei Residenztürmen erhalten. Fotos: Jens Weber

Matteo Thun & Partners erläutern ihren Nachhaltigkeitsansatz | Aktuelles

Anstatt die Landschaft mit Gebäuden zu übersäen, haben Matteo Thun & Partners die Grünflächen des Katschbergs mit zwei Residenztürmen erhalten. Fotos: Jens Weber

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Wir leben in „interessanten“ Zeiten, wenn Sie mir ein klassisches britisches Understatement gestatten.

Klartext ist heute mehr denn vonnöten. Ein ehrlicher und offener Dialog. Als ich die Mailänder und Münchner Büros von Matteo Thun & Partners – gegründet von dem gleichnamigen und vielfach preisgekrönten italienischen Stararchitekten – fragte, ob sie zu einem Interview bereit wären, sagten sie zu. Und mit „sie“ meine ich drei Mitglieder aus dem Team. Wenn es um Fragen der Klimainstabilität und Nachhaltigkeit geht, liegt mehr Kraft und Bedeutung in gemeinschaftlichem Denken und gemeinsamen Antworten.


Wir müssen auch bedenken, dass intelligente Gebäude alte energieintensive Gebäude nach und nach ersetzen und sich selbst tragende Mikrosysteme schaffen können


Im Folgenden finden Sie also einige direkte Fragen von mir und einige ungeschminkte Antworten der Partner Elisa Vago und Matteo Beretta sowie des Senior Architect Luca Magagni.

Die Partner von Matteo Thun & Partners, Elisa Vago und Matteo Beretta (oben), erläutern zusammen mit dem Senior Architect Luca Magagni (unten) den Beitrag des renommierten Büros zu nachhaltiger Architektur

Matteo Thun & Partners erläutern ihren Nachhaltigkeitsansatz | Aktuelles

Die Partner von Matteo Thun & Partners, Elisa Vago und Matteo Beretta (oben), erläutern zusammen mit dem Senior Architect Luca Magagni (unten) den Beitrag des renommierten Büros zu nachhaltiger Architektur

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Ich begann mit der Frage, ob Architekt:innen für einen Grossteil des Schlamassels der Klimakrise verantwortlich sind, in dem wir stecken ...

Jeder trägt Mitverantwortung für die aktuelle Klimakrise, aber als Architekt:innen müssen wir den Auswirkungen auf die Umwelt grösstmögliche Aufmerksamkeit schenken. Wir müssen Projekte vermeiden, die mit mangelndem Wissen, ohne Rücksicht auf das Territorium, die Herkunft der Materialien und Abfallentsorgung gebaut werden – und solche, die zu energieintensiven Gebäuden führen, die völlig aus dem Zusammenhang gerissen sind.


Wir tragen eine hohe Verantwortung, denn das, was wir entwerfen, bleibt über lange Zeit bestehen und verändert die Landschaft unwiderruflich


Wir tragen eine hohe Verantwortung, denn das, was wir entwerfen, bleibt über lange Zeit bestehen und verändert die Landschaft unwiderruflich. Es ist mehr als dringlich, ein alternatives Entwicklungsmodell zu nutzen, das auf Energieautarkie und der Reduzierung von Kohlenstoffemissionen beruht.

Erlauben Sie uns, Reinventing Cities zu zitieren. „Ein Grossteil der weltweiten Treibhausgasemissionen stammt aus den Städten. Da die Stadtbevölkerung zunimmt, ist es dringend erforderlich, ein Modell für eine kohlenstoffarme urbane Zukunft zu entwickeln, in der alle Menschen gut leben können.“

Das Langham Venice Hotel & Resort ist ein Umnutzungs- und Umbauprojekt von Matteo Thun & Partners, das auch eine ehemalige Glasfabrik umfasst. Fotos: MTP

Matteo Thun & Partners erläutern ihren Nachhaltigkeitsansatz | Aktuelles

Das Langham Venice Hotel & Resort ist ein Umnutzungs- und Umbauprojekt von Matteo Thun & Partners, das auch eine ehemalige Glasfabrik umfasst. Fotos: MTP

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Aber können wir es wirklich verantworten, weiter neu zu bauen?

Ja. Bewusstes Bauen ist ein Mehrwert für Städte und Zivilisation, der sich positiv auf die lokale Bevölkerung und die Wirtschaft auswirken kann. Neubauten bedeuten nicht immer eine negative Einstellung, aber es ist natürlich notwendig, das vorhandene und nicht mehr genutzte Erbe wiederzuverwenden und zu verbessern, um die Verschwendung von Grünflächen und noch nicht bewohnten Gebieten einzudämmen.

Wir müssen auch bedenken, dass intelligente Gebäude alte energieintensive Gebäude nach und nach ersetzen und sich selbst tragende Mikrosysteme schaffen können. Neubauten müssen von Anfang an nach Kriterien der Autarkie und Nachhaltigkeit konzipiert werden.

Die Mountain Residence Towers von Matteo Thun & Partners sind mit Lärchenholz verkleidete, vertikale Wahrzeichen, die mit einem Biomassegenerator verbunden sind. Fotos: Jens Weber

Matteo Thun & Partners erläutern ihren Nachhaltigkeitsansatz | Aktuelles

Die Mountain Residence Towers von Matteo Thun & Partners sind mit Lärchenholz verkleidete, vertikale Wahrzeichen, die mit einem Biomassegenerator verbunden sind. Fotos: Jens Weber

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Und wie machen wir das?

Unsere Konzepte müssen bewusst innovative und autarke Gebäude schaffen, die alternative Quellen und zertifizierte Materialien nutzen und in der Region verwurzelt sind. Wir sind davon überzeugt, dass bewusstes Design den Nutzen für die Gesellschaft maximiert und die Auswirkungen auf die Umwelt minimiert.

Aus diesem Grund folgen wir den Grundprinzipien „Reduzieren, Wiederverwenden und Recyceln“. Wir sind der Meinung, dass Gebäude universellen Konstruktionskriterien entsprechen müssen.

1) Energieeffizienz für neue, resiliente und emissionsarme Gebäude.
2) Bewertung des Lebenszyklus von Baumaterialien.
3) Entsorgung von Gebäuden im Falle einer Veräusserung.

Tortona 37 besteht aus sechs Gebäuden, die sich um einen Garten gruppieren und mit maximaler Energieeffizienz einen minimalen CO2-Fussabdruck anstreben. Fotos: Paolo Riolzi

Matteo Thun & Partners erläutern ihren Nachhaltigkeitsansatz | Aktuelles

Tortona 37 besteht aus sechs Gebäuden, die sich um einen Garten gruppieren und mit maximaler Energieeffizienz einen minimalen CO2-Fussabdruck anstreben. Fotos: Paolo Riolzi

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Wie würde eine vollständige Kreislaufwirtschaft in der Architektur aussehen?

Die Kreislaufwirtschaft ist ein Produktions- und Konsummodell, bei dem vorhandene Materialien und Produkte so lange wie möglich gemeinsam genutzt, geleast, wiederverwendet, repariert, renoviert und recycelt werden. Auf diese Weise wird der Lebenszyklus von Produkten verlängert.

Es handelt sich um eine perspektivische Vision, die das Wohlbefinden der Menschen in einem Gebäude verbessern soll und gleichzeitig die architektonische Qualität des Gebäudes nicht vernachlässigt. In einer Kreislaufwirtschaft ist der Boden eine Ressource, die wertgeschätzt und nicht verschwendet wird.


Die Anwendung internationaler und weltweit anerkannter Zertifizierungen reicht nicht aus, wenn es keine „Selbstzertifizierung“


Dieses Ziel lässt sich nur durch bewusste Gestaltung erreichen, die von der Vision einer menschlicheren und natürlicheren Lebensweise geleitet wird. Die Kenntnis des Terrains, die Aufwertung von Handwerk und lokalen Materialien sind Teil dieses gestalterischen Ansatzes.

Welche drei Ratschläge würden Sie Ihren Architektenkolleg:innen mit auf den Weg geben?

Forschung. Ausbildung. Wissensaustausch durch Vernetzung mit Fachleuten.

City of Wood war ein Projekt für vorgefertigte Sozialwohnungen im bayerischen Bad Aibling, bei dem terrassenförmige Häuser mit Holzfassaden mit der umliegenden Natur verschmelzen. Fotos: MTP

Matteo Thun & Partners erläutern ihren Nachhaltigkeitsansatz | Aktuelles

City of Wood war ein Projekt für vorgefertigte Sozialwohnungen im bayerischen Bad Aibling, bei dem terrassenförmige Häuser mit Holzfassaden mit der umliegenden Natur verschmelzen. Fotos: MTP

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Und schliesslich, welche Formen der Nachhaltigkeitszertifizierung sind für Sie als Architekt:innen am glaubwürdigsten?

Die Anwendung internationaler und weltweit anerkannter Zertifizierungen reicht nicht aus, wenn es keine „Selbstzertifizierung“ gibt, eine gestalterische Haltung, die von Anfang an die Schaffung von Zero Impact Gebäuden zum Ziel hat.

Darüber hinaus haben wir beschlossen, bereits in der Konzeptphase Berater:innen für die Analyse von Energiesparstrategien hinzuzuziehen und diese Themen mit den Bauherr:innen zu teilen, die sensibilisiert und verantwortlich sein müssen.

Für das Davines Village wurden zertifizierte Zulieferer und Materialien wie innovativer Zement und aktive Komponenten zum Schutz vor Verschmutzung verwendet. Fotos: Max Zambelli (oben), Andrea Garret (Mitte, unten)

Matteo Thun & Partners erläutern ihren Nachhaltigkeitsansatz | Aktuelles

Für das Davines Village wurden zertifizierte Zulieferer und Materialien wie innovativer Zement und aktive Komponenten zum Schutz vor Verschmutzung verwendet. Fotos: Max Zambelli (oben), Andrea Garret (Mitte, unten)

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Matteo Thun & Partner hat eine „Energiematrix“ entwickelt, die für alle neuen Projekte gilt und auf der Untersuchung der anfänglichen Umweltbedingungen basiert, um die zu verfolgende Energiestrategie zu verstehen. Das Ziel besteht darin, möglichst autarke Gebäude zu schaffen, Kohlenstoffemissionen zu reduzieren und zertifizierte und teilweise recycelte Materialien zu verwenden. All dies natürlich, ohne in irgendeiner Weise auf die endgültige Qualität der Architektur zu verzichten.

Unsere Prinzipien? Drei Nullen…

Null Kilometer: unmittelbare Nähe zu Baumaterialien und Nutzung lokaler Fertigkeiten.
Null CO2: Energiemanagement und geringere Emissionen.
Null Abfall: Life Cycle Management im Bauprozess und Wiederverwendung von Baumaterialien.

© Architonic

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