Architektur im Iran – Innovative Fassaden
Text von Sophie Loschert
Berlin, Deutschland
23.11.15
Lange war der Blick auf den Iran verstellt. Mit der Aussetzung der Sanktionen gegen das Land im Mittleren Osten hat sich eine Aufbruchstimmung breit gemacht, die auch die Architektur-und Designszene des Landes erfasst. Im ersten Teil unserer Serie „Architektur im Iran“ widmen wir uns innovativ gestalteten Fassaden, sind diese doch Aushängeschild schlechthin und Zeugnis eines neuen Selbstbewusstseins.
Die Fassadenelemente des Danial Apartments von TDC Office in einem früheren Naherholungsgebiet Teherans spiegeln die Geschichte des Ortes auf besondere Weise. Die Fassade erinnert an einstige Bäume und Pflanzen
Die Fassadenelemente des Danial Apartments von TDC Office in einem früheren Naherholungsgebiet Teherans spiegeln die Geschichte des Ortes auf besondere Weise. Die Fassade erinnert an einstige Bäume und Pflanzen
×Iran? Bisher stand das Land in Vorderasien aufgrund seines Atomprogramms im Fokus der Berichterstattung. Nach zwölf langen Verhandlungsjahren sind die E3+3 Staaten und Iran im Juli zu einer Einigung gekommen, die die friedliche Nutzung des iranischen Atomprogramms und im Gegenzug die Aussetzung der bestehenden Sanktionen vorsieht.
Im Land zwischen Kaspischem Meer und Persischem Golf hat sich unterdessen trotz Sanktionen und Restriktionen des politischen Systems – quasi unbemerkt – eine lebendige und hochspannende Architekturszene entwickelt, auf die es sich einen Blick zu werfen lohnt.
Durch Persien führten schon früher wichtige Handelsrouten, sodass sich die Einflüsse verschiedener Kulturen auch auf die Architektur niederschlugen. Seit den 1920er Jahren entwickelte sich die iranische in enger Verquickung mit der europäischen Architektur. So wurden mit der Industrialisierung des Landes während der Herrschaft der Pahlavis gezielt Architekten aus dem Westen, wie Kenzo Tange, Mosche Safdie sowie Alison und Peter Smithson beauftragt, Fabriken, Regierungsgebäude, Universitäten zu bauen. Der Internationale Stil setzte sich mit seinem Leitsatz „form follows function“ auch im Iran durch.
Durch die Fassade des von ReNa realisierten Wohnhauses in Kermānschāh verläuft ein Riss, der dem Gebäude eine skulpturale Anmutung verleiht und dafür sorgt, dass sich dieses deutlich von der Umgebung abhebt
Durch die Fassade des von ReNa realisierten Wohnhauses in Kermānschāh verläuft ein Riss, der dem Gebäude eine skulpturale Anmutung verleiht und dafür sorgt, dass sich dieses deutlich von der Umgebung abhebt
×Ornamentale Elemente (Kaligrafie), traditionelle Materialien (Ziegeln, Fliesen), die auf die klimatischen Bedingungen abgestimmt sind, kamen verstärkt wieder nach der Islamischen Revolution 1979 auf. Die kulturellen, nationalen und religiösen Werte und Ideale sollten sich auch in der Architektur widerspiegeln. Zeitgleich wurden die westlichen Strömungen des Postmodernismus und Dekonstruktivismus rezipiert, was zu einem Eklektizismus führte, der westliche und traditionelle persische Formen, Elemente und Motive vermischte.
Daneben hat sich ein eigener iranischer Weg herauskristallisiert, der die Inspirationen aus der persischen Kultur mit denen aus dem Westen vereint. Einige Projekte der letzten Jahre verdeutlicht den bewussten Umgang mit lokalen Tradition und westlichen Einflüssen. Insbesondere Fassaden bieten dabei unbegrenzte Gestaltungsmöglichkeiten, dienen sie doch als Schutz vor fremden Blicken und als Blicköffnung nach Aussen gleichermassen.
Die Beschattungselemente des vom Boozhgan Architecture Studio realisierten Bürogebäudes in Teheran erzeugen nicht nur eine dynamische Fassade, sondern kontrollieren den Einfall von Sonnenlicht, ohne den Blick auf das nahe Elbursgebirge einzuschränken
Die Beschattungselemente des vom Boozhgan Architecture Studio realisierten Bürogebäudes in Teheran erzeugen nicht nur eine dynamische Fassade, sondern kontrollieren den Einfall von Sonnenlicht, ohne den Blick auf das nahe Elbursgebirge einzuschränken
×Fassade als Skulptur
Als Mandana Afsharian dem 2012 gegründeten multidisziplinären Architektur- und Designbüro ReNa den Auftrag erteilte ein Wohnhaus für ihn und seine Familie in Kermānschāh nahe der irakischen Grenze zu bauen, hatte er zwei Auflagen: Das Haus sollte erstens klare Formen aufweisen, sich jedoch durch eine singuläre Fassadengestaltung von seiner Umgebung abheben, ohne als Fremdkörper zu wirken. Zweitens sollte eine mögliche Erweiterung des dreistöckigen Hauses schon in die Planung miteinbezogen werden.
Die Herausforderung für ReNa bestand also darin, eine Form zu finden, die auch nach einer vertikalen Erweiterung elegant und gut proportioniert wirkt. Die Entscheidung fiel schliesslich auf einen Quader durch den ein Riss verläuft, was der gesamten Struktur eine fast skulpturale Anmutung verleiht. Dem Passanten wird dadurch, dass der untere Teil des Gebäudes leicht zurückgesetzt ist, Respekt gezollt – ein wichtiges Konzept der iranischen Kultur.
Ein kleines Kiefernwäldchen in der Nähe des Hauses war Inspirationsquelle für die zwanzig baumähnlichen Tafeln, die wie Schiebetüren auf zwei Schienen bewegt werden können. Dadurch ergeben sich besondere Licht- und Schatteneffekte
Ein kleines Kiefernwäldchen in der Nähe des Hauses war Inspirationsquelle für die zwanzig baumähnlichen Tafeln, die wie Schiebetüren auf zwei Schienen bewegt werden können. Dadurch ergeben sich besondere Licht- und Schatteneffekte
×Fassade als zweite Haut
Die Hauptstadt Teheran liegt im nördlichen Hochland und ist mit ihren 11 Millionen Einwohnern ökonomisches und kulturelles Zentrum des Landes. Aufgrund der Hanglage ergeben sich massgebliche Höhenunterschiede zwischen den einzelnen Vierteln, so liegen die Stadtbezirke im Süden auf 1000 Metern, die Vororte im Norden hingegen auf 1700 Metern über dem Meeresspiegel.
Insbesondere im Norden der Metropole bietet sich ein spektakulärer Blick auf das Elbursgebirge, den das Boozhgan Architecture Studio geschickt in die Konzeption des Asef Bürogebäudes miteinbezogen hat. Beschattungselemente aus Holz erzeugen nicht nur eine dynamische Fassade, sondern kontrollieren zudem den Einfall von direktem Sonnenlicht, ohne jedoch den Blick auf das Umland einzuschränken.
Licht und Schatten
Auch beim 2015 von TDC Office realisierten Danial Apartment ermöglichen die Fassadenelemente ein besonderes Spiel von Licht und Schatten. Das siebenstöckige Gebäude in einem früheren Naherholungsgebiet Teherans, reflektiert die Geschichte des Ortes, an dem die einstigen Bäume und Pflanzen Häusern gewichen sind. Ein kleines Kiefernwäldchen in der Nähe des Hauses war Inspirationsquelle für die zwanzig baumähnlichen Tafeln – jeweils vier auf jedem Stock –, die wie Schiebetüren auf zwei Schienen bewegt werden können. Dadurch ergeben sich verschiedene Kombinationsmöglichkeiten, wie in der Natur auch, ist das Blätterwerk mal mehr, mal weniger dicht, sodass sich verschiedene Texturen und Transparenzgrade ergeben.
Mit den über Kragarme drehbaren hozverkleideten Boxen knüpft Nextoffice an das im Iran verbreitete Konzept von Winter- und Sommerräumen an – je nach Witterung können die Boxen auf- oder zugeklappt werden
Mit den über Kragarme drehbaren hozverkleideten Boxen knüpft Nextoffice an das im Iran verbreitete Konzept von Winter- und Sommerräumen an – je nach Witterung können die Boxen auf- oder zugeklappt werden
×Dynamische Fassade
Die Idee einer dynamischen Fassade hat das Büro Nextoffice mit seinem 2013 fertiggestellten Sharifi-ha House auf die Spitze getrieben. Mittels drei um 90 Grad schwenkbarer holzverkleideter Boxen verwandelt sich die Fassade von einer zweidimensionalen Fläche in einen dreidimensionale Anordnung von Raumkuben.
Die über Kragarme drehbaren Räume sind eine Neuinterpretation traditioneller iranischer Architekturtypologien, den Sommer- und Winterhäusern bzw. -Räumen, den sogenannten Taabestan-Neshin und Zemestan-Neshin, wobei erstere von Transparenz und großen Fenstern geprägt sind, letztere nur kleine Blicköffnungen aufweisen. So können die bewegbaren Räume des Sharifi-ha House im kalten Teheraner Winter zugeklappt werden, bei warmer Witterung dienen sie hingegen als Terrassen.