Kunst-Stoff des modernen Designs: Sitzmöbel aus Plastik
Text von Susanne Fritz
Schweiz
17.02.12
Der Begriff „Plastik“ steht in der bildenden Kunst für eine geformte Skulptur – jedoch auch für eine Materialgattung, welche das 20. Jahrhundert revolutionierte. Architonic zeigt anhand verschiedener Plastikstühle die Metamorphose dieses kulturgeschichtlichsten aller Möbelstücke auf.
Schaukelplastik, Hersteller Wilkhahn, Designer Walter Papst, 1958
Plastik ist eine Erfindung, die auf der Verknappung von Rohstoffen beruht, welche durch die Industrialisierung entstand. Der wachsende Markt und die Produktionssteigerung verlangten nach neuen Lösungen. Dadurch konzentrierten sich die frühen Erfinder und Materialforscher vornehmlich auf die Imitation bestehender, edler Materialien, wie zum Beispiel Elfenbein, Perlmutt, Edelhölzer und teure Natursteine wie Marmor oder Onyx.
Panton Chair Classic, Vitra, Designer Verner Panton, 1959/60 Vollkunststoffschale aus Hartschaum, glänzend lackierte Oberfläche

Panton Chair Classic, Vitra, Designer Verner Panton, 1959/60 Vollkunststoffschale aus Hartschaum, glänzend lackierte Oberfläche
×Schnell eröffneten sich vielseitige Anwendungsgebiete, und auch im Zuge der beiden Weltkriege investierten die Regierungen viel Geld in Forschung und Entwicklung ökonomischer Materialien, die für die Massenproduktion vor allem von Kriegsgeräten geeignet waren. Der Fokus stand folglich auf Funktionalität und der Verbesserung der Materialeigenschaften: Besseres Alterungsverhalten, Temperaturbeständigkeit, Belastbarkeit.
Cantilever 290, Nielaus, Designer Steen Østergaard,1966, Reedition 2011, glasfaserverstärktes durchgefärbtes Polyamid (Nylon), in einem Stück im Spritzgussverfahren hergestellt

Cantilever 290, Nielaus, Designer Steen Østergaard,1966, Reedition 2011, glasfaserverstärktes durchgefärbtes Polyamid (Nylon), in einem Stück im Spritzgussverfahren hergestellt
×Blow 270, Zanotta, Designer Jonathan de Pas, Donato D Urbino, Paolo Lomazzi, 1967, Material: kalandriertes PVC, erhältlich in den Farben transparent, gelb oder rot. Elektronische Verschweißung in Hochfrequenztechnik.

Blow 270, Zanotta, Designer Jonathan de Pas, Donato D Urbino, Paolo Lomazzi, 1967, Material: kalandriertes PVC, erhältlich in den Farben transparent, gelb oder rot. Elektronische Verschweißung in Hochfrequenztechnik.
×Bereits in den 30-er Jahren wurden aus Kunststoffen mit klangvollen Namen wie Catalin, Xylonite und dem bekannten Bakelit Fotokameras, Haartrockner und andere Kleingeräte hergestellt. Plastik galt nicht als billiger Ersatz, sondern als glamouröses Material neuer technischer Errungenschaften, die zwar seriell hergestellt wurden, aber trotzdem nur für einen Teil der Bevölkerung erschwinglich waren- es waren frühe Lifestyle-Produkte.
Casalino Hocker 2012/00, Casala, Designer Alexander Begge, 1971 Reedition 2007
In der Nachkriegszeit fand nun ein deutlicher Wandel statt: Die technischen Voraussetzungen hatten sich durch den Innovationsmotor des Wettrüstens verbessert. Kunststoff diente nun nicht mehr nur als Ersatz oder Erneuerung, vielmehr wurden Produkte durch die Möglichkeiten dieses neuen Materials inspiriert. Mit dem Wirtschaftsaufschwung wurde der Raum für experimentelles Design geschaffen. Charles and Ray Eames verwendeten für ihre berühmten Schalenstühle glasfaserverstärktes Polyester, das für Kriegs-Schutzhelme entwickelt wurde. Eine völlig neue Formensprache entstand, welche damit spielte, die Möglichkeiten des Materials auszureizen. Die Geräte wurden leichter und kompakter und obwohl die anfänglichen Entwicklungsgkosten hoch waren, wurden sie auch günstiger durch die Umwälzung auf hohe Stückzahlen.
Formula chair, ADELTA, Designer Eero Aarnio, 1998, Material: Glasfaser
Die Weichen für den Konsum waren gestellt und damit auch der für den Untergang des Mythos des Zukunftsmaterials Plastik, der in der Zukunft für Massenkonsum, Rohstoffverschwendung und Billigware stehen sollte.
Bis es soweit kommen sollte, bescherten uns jedoch einige Firmen und Designer eine goldene Ära mit Designobjekten aus Plastik, deren Wiege zunächst in Italien stehen sollte. Dort fanden sich beste Voraussetzung in Form von technisch sehr fortschrittliche Produktionsanlagen für Kunststoff, etablierten Designhersteller wie Artemide, Kartell und Zanotta und versierten Maschineningenieueren, welche die neuen, komplexen Formen umsetzen konnten.
Weiter nördlich gelegene Pioniere des Kunststoff-Möbeldesigns waren Casala, Wilkhahn und die Designer Eero Aarnio und Verner Panton.
Bubble Club, Kartell, Designer Philippe Starck, 2001, durchgefärbtes Polyethylen
Besonders Verner Panton wird oft in Zusammenhang gebracht mit der Ära des „psychedelischen Designs“, das in den 60er Jahren begann. Knallige Farben und organische Formen enstanden, und die Möbel passten sich auch an eine neue und demokratischere Art zu leben an. Statt Salonmöbeln entsprach nun Loungemobiliar dem jungen Lebensgefühl, und man durfte lümmeln statt gerade sitzen zu müssen.
Mit der Erdölkrise und dem wachsenden Umweltbewusstsein, aber auch mit den vielen billigen Varianten und Imitationen von Design-Kunststoffmobiliar bekam Plastik ein schlechtes Image und galt als billig, giftig und piefig.
Herkömmliches Plastik ist biologisch nicht abbaubar und akkumuliert sich in grösseren Mengen im Ökosystem – ein grosses Problem für die darin befindlichen Lebewesen, die das Plastik teilweise fressen und daran verenden. Auch die Vorprodukte zur Herstellung von Kunststoffen sind alles andere als harmlos, zum Beispiel dient das ehemals als Kampfgas eingesetzte Phosgen zur Herstellung von Polyurethan. Dennoch: Heute ist Design aus Plastik wieder sehr gefragt. Viele Kunststoffe sind recyclingfähig. Und es entstehen neue Varianten, die nicht mehr mineralölbasiert sind, so wie die Biopolymere aus nachwachsenden Rohstoffen wie Cellulose, Stärke oder Milchsäure (nicht zu verwechseln mit Biopolymeren, die zwar aus Erdöl hergestellt werden, jedoch biologisch abbaubar sind).
Folding Air-Chair, Magis Designer Jasper Morrison, 2003, Polypropylen mit Glasfaser verstärkt, hergestellt im Spritzgussverfahren

Folding Air-Chair, Magis Designer Jasper Morrison, 2003, Polypropylen mit Glasfaser verstärkt, hergestellt im Spritzgussverfahren
×Der Schweizer Designer Beat Karrer hat für die Firma FluidSolids ein äusserst vielseitig verarbeitbares Biopolymer aus industriellen Reststoffen entwickel und für vitra kochte Jerszey Seymour für seine Installation Living Systems Biopolymere aus Milch und Kartoffeln.
Womit sich der Kreis schliesst und wir wieder am Anfang der Geschichte der Kunststoffe wären, denn die ersten entstanden durch Pflanzensäfte, Horn oder Schildkrötenpanzer.
Louis Ghost, Kartell, Designer Phillipe Starck, 2004, transparentes Polycarbonat,wird im Spritzgussverfahren nahtlos in einem Stück hergestellt

Louis Ghost, Kartell, Designer Phillipe Starck, 2004, transparentes Polycarbonat,wird im Spritzgussverfahren nahtlos in einem Stück hergestellt
×Ein geschlossener Kreis sollte auch die Zukunft der Kunststoffe sein, denn die Nachhaltigkeit ist die grosse Aufgabe der zeitgenössichen Designer – und Kunststoffe aus unserem Leben sind nicht mehr wegzudenken.
dvn [divan], Superieur, Designer Superieur, Material Glasfaser
Truffle, Porro, Designer Jean Marie Massaud, 2005, Material Glasfaser
Dora 922, Zanotta Designer Ludovica+Roberto Palomba, 2005, Polyethylen
Sign, MDF Italia, Designer Piergiorgio Cazzaniga, 2006, Polyamid (Nylon 6), glänzend lackiert in den Farben: weiß, rot, gelb oder schwarz

Sign, MDF Italia, Designer Piergiorgio Cazzaniga, 2006, Polyamid (Nylon 6), glänzend lackiert in den Farben: weiß, rot, gelb oder schwarz
×Piedras, Magis Designer Javier Mariscal, 2006, Rotations-Polyethylen
Showtime Sofa Outdoor, Bd Barcelona, Designer Jaime Hayón, 2006, rotationsgeformtes Polyethylen mittlerer Dichte, durchgefärbt, in einem Stück hergestellt

Showtime Sofa Outdoor, Bd Barcelona, Designer Jaime Hayón, 2006, rotationsgeformtes Polyethylen mittlerer Dichte, durchgefärbt, in einem Stück hergestellt
×Cokka, Scab Design, Designer Luisa Battaglia, 2007, glasfaserverstärktes Polypropylen
Vegetal, Vitra, Designer Ronan Bouroullec, Erwan Bouroullec, 2008
Nido, Nido, Designer Eva Marguerre, 2009, mit Harz getränkte Glasfasern
Tip Ton, Vitra, Designer Edward Barber, Jay Osgerby, 2011
Nemo, Driade, Designer Fabio Novembre, 2011, lackiertes Polyethylen
The Invisibles Light, Kartell, Designer Tokujin Yoshioka, 2011, thermoplastisches transparentes Technopolymer

The Invisibles Light, Kartell, Designer Tokujin Yoshioka, 2011, thermoplastisches transparentes Technopolymer
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