Picknick, Pflanzen, Architektur - die wundervolle Welt Junya Ishigamis
Text von Susanne Fritz
Schweiz
25.09.10
Die diesjährige Interieur Messe in Krotrijk (Belgien) hat einen der herausragendsten zeitgenössischen Architekten als Ehrengast gewählt. Junya Ishigami, ein Schüler Kazuyo Sejimas, ist Gründer des Büros junya.ishigami+associates, Dozent an der Tokyo University of Science, Verfasser mehrere Bücher und Autor künstlerischer Wunderwerke, die durch ihren Reichtum an Phantasie und Hingabe ans Detail faszinieren.
Der japanische Pavillon an der Architekturbiennale in Venedig 2008 beeindruckte durch das Werk „Extreme Nature: Landscape of Ambiguous Spaces”, bestehend aus Wandinstallationen im Inneren und Gewächshäusern im Aussenbereich des Pavillons des damals erst 33 Jahre alten japanischen Architekten Junya Ishigami.
Eine hauchzarte Ästhetik, entstanden durch fast übermenschlichen Fleiss und mühevolle Arbeit, waren der erste Eindruck beim Betrachten der unzähligen, filigranen Bleistiftstriche der wundervollen und raumfüllenden Zeichnungen an den weiss getünchten Wänden des Pavillons. Von weitem verschmolzen sie wie ein pointilistisches Werk zu einem grossen Bild.
Gewächshäuser im Aussenbereich des japanischen Pavillons der Architekturbiennale in Venedig 2008 gestaltet vom japanischen Architekten Junya Ishigami
Gewächshäuser im Aussenbereich des japanischen Pavillons der Architekturbiennale in Venedig 2008 gestaltet vom japanischen Architekten Junya Ishigami
×Diese flächendeckenden Bilder waren nicht nur ein Kunstwerk an sich, sie waren auch die Notation unzähliger Konzepte und Ideen. Abstrahierte botanische Illustrationen bildeten eine massstabslose kartografische Darstellung. Die Linien erfuhren zum Teil eine dritte Dimension durch Hochklappen des Grundrisses, isometrische Darstellungen oder Perspektiven.
Phantasie-Pläne zeigten Gebäude in Park-Landschaften, die mit Seen, Bergen, Hügeln und Tälern durchsetzt waren. Die Pflanzen bildeten durch Dichte und Höhe Flächen, Räume oder Grenzen.
Die Konzepte spielten mit Dimension, wie die „Forest City“, in der Miniaturgebäude von gigantischen Bäumen überragt werden;
Plan der Gewächshäuser in den Giardini im Rahmen der Installation „Extreme Nature: Landscape of Ambiguous Spaces” an der Architekturbiennale 2008 in Venedig
Plan der Gewächshäuser in den Giardini im Rahmen der Installation „Extreme Nature: Landscape of Ambiguous Spaces” an der Architekturbiennale 2008 in Venedig
×Oder mit Höhe und Tiefe: In der „Mountain City“ nehmen Gebäude und Hügel den gleichen Stellenwert ein und bestimmen alternierend die Landschaft, während in der imaginären Siedlung „Small Valleys“ jedes Haus in einem eigenen kleinen Krater sitzt. „Pond City“ und „Garden City“ thematisieren das Verhältnis Land und Wasserfläche, bzw. Vegetationsflächen. In „Pond City“ werden die Gebäude nicht, wie es logisch wäre, auf dem Festland zwischen den Gewässern der Seenlandschaft platziert, sondern mitten im See, als kleine Wasserschlösser, die durch Brücken erschlossen werden.
„Die Formel Architektur+Landschaft lässt meist auf ein Gebäude schliessen, das in irgendeinem Umfeld sitzt. Ich habe mich bewusst entschieden, dass ich beides gleichwertig behandeln möchte,“
kommentiert Ishigami seine Entwürfe.
Die Gewächshäuser um den japanische Pavillon herum brachten diese Maxime Ishigamis zum Ausdruck, indem sie nicht einfach Umgebung waren, sondern Landschaftsräume und Behausung der Pflanzen, welche die Landschaft bildeten. Die Proportionen der acht kubischen Gewächshäuser und die Platzierung ihrer Stützen waren auf die Aktivitäten in und um die Gewächshäuser abgestimmt, deren filigrane Konstruktion und dünne Scheiben ihnen einen entmaterialisierten Charakter verliehen.
Die Dichte der Bepflanzung innerhalb der Gewächshäuser wurde so gewählt, dass die botanische Masse der Pflanzen einen Raum an sich bildete, ihre Glashülle einen zweiten Raum und dass beide Räume wiederum im Kontext mit der bestehenden Umgebung der Giardini standen.
Unzählige, filigrane Bleistiftstriche kennzeichnen die phantastischen Visionen Ishigamis
Unzählige, filigrane Bleistiftstriche kennzeichnen die phantastischen Visionen Ishigamis
×Das Arrangement und die Auswahl der Pflanzen innerhalb der Glashäuser basierten auf der Kunst des Ikebana, dessen dekorativer Charakter nur ein Nebeneffekt ist: Ikebana schafft Harmonie von linearem Aufbau. Die drei Linien shin, soe und tai (Himmel, Erde, Menschheit) und die Integration von Rhythmik und Farbe bringen die Natur in den Lebensraum des Menschen und stellen demgegenüber das Verhältnis und des Gestalters zur Natur und dessen Gefühle dar.
Ishigami verwendete bewusst nur japanische Pflanzen, die ohne den Schutz ihrer Glashülle im europäischen Klima nicht lebensfähig wären.
„Pond City“: Die Gebäude stehen mitten im See, als kleine Wasserschlösser, die durch Brücken erschlossen werden.
„Pond City“: Die Gebäude stehen mitten im See, als kleine Wasserschlösser, die durch Brücken erschlossen werden.
×In vielen Installationen Ishigamis spielt der Tisch eine wichtige Rolle: Er dient nicht nur als Präsentationsmittel der auf ihm befindlichen Gegenstände, vielmehr betrachtet Ishigami ihn als Archetyp der Architektur: Seine Oberfläche als Metapher eines Daches, die Tischbeine als Stützen, die das Dach tragen.
Paper Chairs, bedruckt mit Zeichnungen von Junya Ishigami für Canon Neoreal an der Mailänder Design Week 2008
Paper Chairs, bedruckt mit Zeichnungen von Junya Ishigami für Canon Neoreal an der Mailänder Design Week 2008
×Die nur 3mm dicke Tischplatte für die Installation „Table“, die erstmals 2005 für eine Gallerie in Tokyo entstand und später in anderer Form auf der Art Basel zu sehen war, scheint aufgrund der extremen Spannweite zu schweben; Sie ist fein wie ein Blatt Papier, so dünn dass sie bei Berührung zu schwingen beginnt. Diese Schwingungs - Frequenz, eine kaum wahrzunehmenden Wellenbewegungen der Tischplatte, sieht Ishigami als optischen Aggregatwechsel von fest zu flüssig. Die Tischplatte wird zur Wasseroberfläche, und sie trägt unzählige kleine Gegenstände, die wie inselförmige Landschaften auf ihr schwimmen. Das tun sie jedoch keineswegs zufällig:
Ein exakter Plan bestimmt die Position der Objekte in einem Raster und setzt sie zueinander in Relation.
In Junya Ishigamis Worten ausgedrückt: „I built this extremely large table as I would a small building. There it is in the room, as if it were the most ordinary thing, a table in a normally impossible scale. On top, an assortment of everyday still objects are arranged as if to form a landscape. You can touch, and watch a slow ondulation like a wave in a body of water. It is like liquid.”
Scheinbar schwerelos: Installation "Table" von Junya ishigami, Tokyo 2005
Scheinbar schwerelos: Installation "Table" von Junya ishigami, Tokyo 2005
×Das Projekt „KAIT Workshop“ entstand im Rahmen der Neuentwicklung des Kanagawa Institute of Technology. Wie in den meisten von Ishigamis Werken spielt die Verschmelzung von Landschaft und Architektur eine grosse Rolle, im physischen und im übertragenen Sinn:
Die Stützen des Raumes versinnbildlichen die Stämme von Bäumen und die niedrigen Topfpflanzen eine andere Vegetationsebene, sozusagen das Unterholz.
Ishigamis „KAIT Workshop“ für das Kanagawa Institute of Technology; Foto © Iwan Baan
Ishigamis „KAIT Workshop“ für das Kanagawa Institute of Technology; Foto © Iwan Baan
×Die 305 Stützen befinden sich zwar in einem strengen statischen Raster, jedoch ist die Proportion und der Winkel jeder einzelnen individuell bestimmt worden. So scheint ihre Anordnung regellos, wie die zufällige Verteilung von Bäumen, doch hinter diesem scheinbar chaotische Prinzip verbirgt sich eine akribische Planung. Durch die Oberlichter sollen die Besucher des KAIT Workshops das Gefühl haben, durch einen lichten Wald zu wandeln, in dem das Sonnenlicht durch die Wipfel der Bäume gefiltert nach unten dringt.
„KAIT Workshop“: Die 305 Stützen befinden sich zwar in einem strengen statischen Raster, jedoch ist die Proportion und der Winkel jeder einzelnen individuell bestimmt worden um ihre Anordnung zufällig erscheinen zu lassen
„KAIT Workshop“: Die 305 Stützen befinden sich zwar in einem strengen statischen Raster, jedoch ist die Proportion und der Winkel jeder einzelnen individuell bestimmt worden um ihre Anordnung zufällig erscheinen zu lassen
×Ishigami verfügt über eine Phantasie und über die Gabe, surreale Traumwelten zu materialisieren und so anderen Menschen zugänglich zu machen. Seine Installation „Balloon“ in der Halle des Museums zeitgenössischer Kunst in Tokyo 2007 im Rahmen der „Space for your Future” Ausstellung umschreibt er in seinem Buch „small images“ folgendermassen: „I think I had in mind the idea to express, as a space, something like a gentle, very slow moving flow. The kind of flow like an enourmous, slow-moving cloud, that has completely obscured a magnificent mountain from view without your noticing it, or fog creeping into a scene of trees and greenery, transforming it into a world of white.“
Die Leichtigkeit einer Wolke und die steinerne Schwere des Berges hat Ishigami in einem tonnenschweren Aluminiumobjekt vereinigt, einem leicht tordierten Quader, genau genommen einem Parrallelotop, von 7m x 13m x 14m Seitenlänge, der mit Helium gefüllt wurde und als ob er zwischen Gravitation und Schwerelosigkeit von Sekunde zu Sekunde entscheiden müsste, schwebte er völlig frei, ohne jegliche Befestigung, ruhig und gleichzeitig etwas bedrohlich im Raum umher.
Ishigamis Interesse galt jedoch nicht dem faszinierenden Objekt allein, sondern auch der Veränderung des Raumes, den der Parallelotop fast vollkommen ausfüllte. Es entstand ein Raum im Raum und die Besucher bewegten sich für die Dauer der Installation im sich ständig verändernden Zwischenraum dieser beiden Volumina.
Ishigamis heliumgefüllter Metallballon im Atrium des Museums für zeitgenössische Kunst, Tokyo
Ishigamis heliumgefüllter Metallballon im Atrium des Museums für zeitgenössische Kunst, Tokyo
×Die filigranen Arbeiten Ishigamis und der Einbezug ständiger Transformation der Natur geben seinen Projekten einen Charakter der Vergänglichkeit. Dies wird auch im Yohji Yamamoto Gansevoort Street Store im sich stetig neu erfindenden Meat Packing District in New York thematisiert: Die ursprünglichen Gebäudekonturen wurden im Boden als Intarsien erhalten. Das Projekt, ein Umbau eines eingeschossigen Ziegelbaus aus den 50er Jahren, arbeitete mit spektakulärer Spitzwinkligkeit, die dem Gebäude aus gewissen Perspektiven quasi die Tiefe raubten und dem Betrachter das Gefühl gaben, vor einer Kulisse zu stehen.
Spektakuläre Spitzwinkligkeit: Yohji Yamamoto Gansevoort Street Store, New York
Spektakuläre Spitzwinkligkeit: Yohji Yamamoto Gansevoort Street Store, New York
×Perfektioniert wurde diese Illusion durch eine Zäsur in der Fassade, die neue Sichtbezüge und Durchblicke auf die dahinter liegende Bausubstanz freigab. Werden und Vergehen, Erneuerung und Abriss: Landschaft und Stadtlandschaft faszinieren durch ihre Wandelbarkeit. Auch der Yamamoto Street Store wurde – leider - Teil der ständigen Veränderung des Meat Packing Quartiers und ist mittlerweile abgerissen worden.
Zäsur in der Fassade des Yamamoto Street Store, die neue Sichtbezüge und Durchblicke auf die dahinter liegende Bausubstanz freigab
Zäsur in der Fassade des Yamamoto Street Store, die neue Sichtbezüge und Durchblicke auf die dahinter liegende Bausubstanz freigab
×Am diesjährigen Salone del Mobile 2010 gab Ishigami sein Debut als Möbeldesigner. Seine Kollektion für Living Divani besteht aus Drop, einem Plexiglas-Tisch mit optischem Trompe l'Oeil-Effekt, der „Family“, einer Gruppe amorph geformter Stahlrohr-Stühle und dem Beistelltisch „Garden Plate”, dessen Oberfläche eine Miniaturlandschaft darstellt.
"Drop" Plexiglas-Tisch von Junya Ishigami for Living Divani
"Drop" Plexiglas-Tisch von Junya Ishigami for Living Divani
×An der Design Biennale INTERIEUR 2010 in Kortrijk wird Junya Ishigami seine PICNIC Installation vorstellen, von der er bis jetzt nur so viel Preis gibt:
“A number of different chairs with various kinds of upholstery and dressing, create a background for people, friends or family to come together and celebrate. Chairs embrace or turn away from each other, or form a line and hold hands. They may even form a circle around the garden. Distorted chairs around the table look like a family talking to each other and enjoying the table… Table and chairs are installed in the space as if to create a scene of nature, or crowds of people.
Usually, furniture is considered a tool for people, and it can become no more than a background within the space.
Here, I want to propose celebratory furniture that blends in with the activity of people and into the surrounding environment.
It will be joyful furniture picnic.”
Portrait Junya Ishigamis, Guest of Honour Interieur Kortrijk 2010
Portrait Junya Ishigamis, Guest of Honour Interieur Kortrijk 2010
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