Zwischen 1930 und 1932 plante und baute der Architekt Martin Elsaesser für den Tabakindustriellen Philipp F. Reemtsma und dessen Familie eine Villa im Hamburger Vorort Othmarschen.

Zwischen 1930 und 1932 plante und baute der Architekt Martin Elsaesser für den Tabakindustriellen Philipp F. Reemtsma und dessen Familie eine Villa im Hamburger Vorort Othmarschen. Die Villa galt mit Bau-, Einrichtungskosten und Ausgaben für zahlreiche Kunstwerke in Gesamthöhe von angeblich mehr als 4 Millionen Reichsmark als das teuerste Privathaus Deutschlands. Elsaesser, heute beinahe unbekannt, war damals Baudirektor in Frankfurt am Main und setzte sich in einem von Reemtsma initiierten Wettbewerb gegen den ungleich berühmteren Henry van de Velde durch.

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Haus K. in O. | Aktuelles

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Auf Wunsch des Bauherren nach Diskretion wurde die Villa in allen zeitgenössischen Publikationen anonymisiert als "Haus K. in O.", "K" nach der alten Flurbezeichnung Kretkamp , und "O" für Othmarschen. Durch diese Maßnahme wurde es nahezu unmöglich, den Bauherren zu identifizieren und die Villa zu lokalisieren - zusätzlich führten die Zeitumstände wie das Architektur- und Kunstverständnis der Nazis und der folgende Weltkrieg dazu, dass die Villa im Prinzip jahrzehntelang "unsichtbar" wurde für die Rezeption als herausragendes ebenso wie ungewöhnliches Werk der klassischen Moderne. Erst heute, in der Diskussion als Baudenkmal mit einem angemessenen Nutzungskonzept, wird sie sozusagen wiederentdeckt. Im Gebrüder Mann Verlag liegt ein wissenschaftlich fundiertes und umfangreiches Porträt der Villa vor, dass mit Grundrissen, historischen wie aktuellen Fotos und mehreren Essays einen tiefen Blick in dieses ursprünglich so "zugeknöpfte" Privathaus ermöglicht.

Historische Fotos zeigen eine dreigeschossige Komposition aus asymmetrisch angeordneten Kuben. Die Fassaden mit ihren Flachdächern, den Reling-Geländern und der komplett gekachelten Haut wirken so sachlich, dass es schon fast an spröde Zweckbauten wie Garagen oder Badeanstalten erinnert. Im Inneren - fast 2000 m2 Wohnfläche - möblierte Elsaesser äußerst detalliert mit zahlreichen Einzelanfertigungen bis hin zu den Leuchten, den Teppichen und Wandvertäfelungen "mit besonderer Sorgfalt aus dem Angebot der damals führenden kunstgewerblichen Werkstätten" - u.a. japanische Grastapeten, mattierte Pflaumenholz-Frisiertischchen, Makassar-Ebenholz-Betten, Weißgold-Decken, Muschelkalk-Fußböden, schwarzem Bembe-Parkett, eingebauten Likörschränkchen, Gobelins, Reliefs, Skulpturen. Die im Boden versenkbaren Panoramafenster vor einem Ensemble eleganter Stahlrohrliegen, die einen grandiosen Blick in den Park bieten, sind nur eines von vielen Extras wie einem eigenen Reitstall mit Reitbahn, Gewächshäusern als "Glas-Garten", Ping-Pong-, Tonfilm-, Gymnastik- und Massageräumen, Schwimmhalle mit Sprungbrett und "Luftbad", Teepavillon, zwei separaten Weinkellern, Tennishaus nebst Tennisplatz, Wirtschaftsgebäude mit Garagen, Wohngebäuden für die "verheirateten Angestellten" sowie einem eigenen Wohnhaus für den Pförtner mitsamt Pförtnerloge. Teile des damaligen Privatgartens, der vom Landschaftsarchitekten Leberecht Migge als eine Synthese aus Nutz- und Lustgarten angelegt wurde, sind mittlerweile als "Reemtsma-Park" öffentlich zugänglich.

Dennoch, trotz eindeutigem Repräsentationsanspruch und riesigen Gesellschaftsräumen, das Haus wirkt keinesfalls peinlich-neureich wie soviele "Neuschwansteins", die heute so oft von und für Wohlhabene gebaut werden. Elaesser hat eben keinen Protzpalast geschaffen, sondern in Form von Understatement ein "persönliches Einfamilienhaus". Zitat Martin Elsaesser: "Im Unterschied von dem typisierten Einfamilienhaus, das auf allgemein-übliche Wohnbedürfnisse zugeschnitten werden muß, ist das persönliche Einfamilienhaus ein Ergebnis gründlichen und fortgesetzten Meinungsaustausches zwischen Bauherrn und Architekten."


Facts
Hermann Hipp, Roland Jaeger und Johannes Weckerle (Hrsg.)

264 Seiten, 259 Abbildungen,
24,0 x 32,0 cm, gebunden mit Schutzumschlag,
Gebrüder Mann Verlag, Berlin 2005
Preisempfehlung des Verlags: 58,- EUR
ISBN 978-3-7861-2511-2