Das Bauen muss wieder einfacher werden
Text von Swissbau
Basel, Schweiz
20.12.23
Wohnraum ist knapp, die Lage spitzt sich weiter zu. Eine einfache Lösung ist nicht in Sicht, zu gegensätzlich scheinen die Positionen. Auch die Swissbau 2024 widmet sich dem Thema und den Lösungsansätzen.
Gemeinsam mit Patrick Schnorf, Partner bei Wüest Partner, machen wir bereits heute eine erste Einordnung.
Herr Schnorf, bis im Jahr 2026 könnten gemäss einer Schätzung von Wüest Partner 26‘000 Wohnungen in der Schweiz fehlen. Wo sehen Sie die Ursachen?
Als die grossen Treiber für die Wohnungsknappheit sehe ich die Raumplanung und die fehlenden Entwicklungsmöglichkeiten. Aber die Ursachen sind natürlich noch vielschichtiger und es lohnt sich, einen Blick auf die Hintergründe zu werfen.
Wie konnte es überhaupt so weit kommen?
2014 wurde das Raumplanungsgesetz revidiert mit dem Zweck, dass zu grosse Bauzonen verkleinert und bestehende Baulandreserven besser genutzt werden. In der Theorie gewährleistet das Gesetz, dass Wachstum nach wie vor möglich ist.
Warum wird trotzdem nicht mehr gebaut?
Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Häufig ist es einfach so, dass die Komplexität, die Auflagen, die Finanzierbarkeit sowie individuelle Interessen Projekte ökonomisch uninteressant machen. Manchmal ist einfach auch der Zeitpunkt für die Grundeigentümer nicht richtig. Schlussendlich fehlen momentan allerdings schlichtweg die Entwicklungsmöglichkeiten. Insbesondere an geeigneten gut erschlossenen Lagen in den grösseren Städten und deren inneren Agglomerationen. Man hat das Wachstum und den Bedarf unterschätzt und die Ökonomie der Immobilienentwicklung zu wenig beachtet. Einfach gesagt: Damit sich Investitionen im Bestand lohnen, muss in der Regel substanziell aufgezont werden, was in den wenigsten Fällen geschehen ist. Mit anderen Worten, das Raumplanungsgesetz und die gegenwärtigen Umsetzungsmechanismen bewähren sich in der Praxis nicht.
Gibt es weitere Gründe für die Knappheit?
Die gegenwärtigen Marktverhältnisse begünstigen Bauvorhaben zurzeit natürlich auch nicht. Zinsanstiege, Inflation sowie zunehmende Auflagen und Einsprachen bremsen die Investitionsfreude der Investoren. Diese sind darüber hinaus mit höheren Baukosten und immer noch vergleichsweise hohen Grundstückspreisen konfrontiert. Dies, wie auch die vorher genannten Gründe führen dazu, dass im Moment zu wenig gebaut wird. Und diese Bauflaute wird uns in den nächsten Jahren weiter begleiten.
Gibt es einfache Lösungen, um all dem entgegenzuwirken?
Gäbe es sie, wäre es nicht zur gegenwärtigen Wohnungsknappheit gekommen. Wichtig scheint mir: Man kann nicht nur an einem Ort ansetzen. Man muss sich politisch wie auch regulatorisch Gedanken machen und an verschiedenen Stossrichtungen arbeiten, damit genügend Wohnraum zur Verfügung gestellt werden kann. Dazu gehört allen voran eine grosszügigere Bemessung der Ausnutzungen, damit an gut erschlossenen Lagen mehr Entwicklungsraum zur Verfügung steht. In der Theorie wäre dies zwar der Fall, in der Praxis können die Reserven vielfach nicht ausgeschöpft werden. Die Gründe hierfür liegen in der erwähnten Ökonomie der vielfach zu gering bemessenen Mehrausnutzungen im Bestand, aber auch in der zunehmenden Kostenintensität und der Komplexität beim Bauen. Schleppende Baugenehmigungsverfahren müssten unbedingt korrigiert und Einsprachemöglichkeiten begrenzt werden. Nicht zuletzt wurden in den letzten Jahren die Bauvorschriften – zwar mit guter Absicht – verschärft. Eine Liberalisierung und Homogenisierung der Vorschriften mit Blick auf die Praktikabilität könnte meiner Meinung nach helfen, mehr und preisgünstigeren Wohnraum bereitzustellen.
Sie sprachen bereits über Regulierung. Gibt es zu viel davon?
Es ist Fakt, dass die Regulierung massiv zugenommen hat. Es gibt natürlich Vorgaben wie behindertengerechtes Bauen und energetische Anforderungen, deren Vorzüge nicht von der Hand zu weisen sind – die das Bauen aber teurer machen. Und dann gibt es aber auch Themen, bei denen ich persönlich der Meinung bin, dass über das Ziel hinausgeschossen wird. Zum Beispiel beim Lärmschutz. Die zunehmende Elektromobilität und sinkende Geschwindigkeiten reduzieren die Lärmemissionen in den Städten. Dennoch werden die Anforderungen an die Bauten immer höher und der Lärmschutz verhindert Wohnbauten an hocherschlossenen Lagen immer öfter. Dabei wären gerade diese aus Sicht der haushälterischen Bodennutzung nötig und wichtig. Hier würde ich mir einen liberaleren Umgang wünschen.
Was könnte die Bau- und Immobilienbranche zur Verminderung der Wohnungsknappheit beitragen?
Die Branche wäre bereit, das nötige Volumen bereitzustellen. Bis in die Mitte des letzten Jahrzehnts wurde aufgrund des Auslaufens der ersten Etappe der Revision des Raumplanungsgesetzes rege gebaut. Man sprach gar von der Gefahr von Geisterstädten. Diese Dynamik wird inzwischen durch die erwähnten Entwicklungen verunmöglicht, obschon der Wohnungsbedarf sehr hoch wäre.
Eine interessante Chance könnte meiner Meinung nach das serielle, modulare Bauen darstellen. Dafür brauchte es aber neue Strukturen in der Baubranche und auch die Bereitschaft der Behörden zur Vereinfachung der Baugenehmigungen. In der Schweiz, wo jede Stadt und jede Gemeinde ihre eigene Bauverordnung und ihre eigenen Baugesetze hat ist dies gegenwärtig kaum vorstellbar. Eine solche Bauweise ist aber auch eine Frage der Akzeptanz und der Baukultur. Es gibt hierzulande einen hohen starken Anspruch auf Individualität. Wünscht sich die Wohnbevölkerung, in standardisierten Bauten zu wohnen? Wohl eher nicht.
Wo bräuchte es noch ein Umdenken?
Es gäbe über die Baubranche hinaus einige interessante Aspekte. Einer davon ist die noch recht statische Denkweise, wenn es um Nutzungstypologien geht, wie sie in den Baugesetzen stehen. Was meine ich damit? Während Wohnraum knapp ist, gibt es teilweise Überkapazitäten in gewerblichen Bauten. Hier sollte man über eine Nutzungsflexibilisierung nachdenken. Home-Office, lokales Arbeiten oder der Bürobedarf im industriellen Kontext haben bereits dazu geführt, dass die Grenzen für Nutzungen fliessender geworden sind. Wir sollten mit neuen Konzepten weiter über die effizientere Ausnutzung der knappen Ressourcen nachdenken. Mit Blick auf den Wunsch nach Individualität wären kleinere Wohneinheiten mit smarten Grundrissen ein Ansatz, ebenso wie gemeinschaftlich genutzte Flächen. Kombiniert mit einem guten Infrastrukturrahmen und weiteren ineinanderfliessenden Mischnutzungen liesse sich das starre Muster der Nutzungstrennung aufbrechen.
Es gibt also einige Herausforderungen wie auch Lösungsansätze. Wo sehen Sie die Zukunft des Wohnungsmarktes?
Die Vorzeichen stehen leider nicht günstig. Deregulierung und höhere Entwicklungsreserven scheinen in der nächsten Zeit nicht realisierbar zu sein. Im Gegenteil. Es gibt bei den Städten und Gemeinden eine grosses Skepsis gegenüber der Verdichtung. Man findet wirtschaftliche Prosperität gut, möchte die Konsequenzen eines wachsenden und dichter werdenden Siedlungsraums aber nicht vor der eigenen Haustüre haben.
In einem weiterwachsenden Wirtschaftssystem und aufgrund der Attraktivität der Schweiz wird unser Land – sofern es keinen Kurswechsel beim Personenfreizügigkeitsabkommen gibt – ein Zuwanderungsland bleiben. Steht zu wenig Wohnraum zur Verfügung, bleibt kurz- und mittelfristig die Wohnungslage angespannt. Sie dürfte sich gar weiter zu spitzen. Dies widerspiegelt sich auch in der Politik. Die Forderungen nach mehr Regulierung des Wohnungsmarktes werden immer lauter. Um die Wohnungsknappheit auf breiter Front zu entschärfen, helfen aber keine zusätzlichen Regulierungen. Es braucht ein Umdenken, es muss mehr Kapazität in den Bauzonen an gut erschlossenen Lagen bereitgestellt werden und das Bauen muss wieder einfacher werden.
Patrick Schnorf ist Partner bei Wüest Partner und Mitglied der Divisionsleitung Data, Analytics und Technology sowie Mitglied des Verwaltungsrates. Seit 19 Jahren beobachtet und analysiert er die Bau- und Immobilienmärkte Schweiz bei Wüest Partner.
Wüest Partner ist ein innovatives und unabhängiges Dienstleistungsunternehmen in der Immobilienwirtschaft. Seit 1985 schaffen Wüest Partner mittels Kombination von Expertise, Daten und digitalen Lösungen fundierte Entscheidungsgrundlagen. Mit einem breiten Leistungsangebot verhelfen sie ihren Kundinnen und Kunden zu neuen Perspektiven und zu einer nachhaltigen Wertschöpfung.
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