Eigentor: Der Preis für Südafrikas neue Stadien für die WM 2010 ist hoch - wer bezahlt ihn?
Text von Tim Abrahams
London, Großbritannien
11.06.10
Seit dem Anpfiff der WM richtet die Welt den Blick auf Südafrika. Doch welches architektonische Vermächtnis wird die diesjährige Weltmeisterschaft hinterlassen - und vielleicht noch viel wichtiger: Was werden ihre ökonomischen Auswirkungen sein?
War es Zufall? Warner Brothers brachte 2009 „Invictus” in die Kinos, ein Film, der vom Rugby World Cup 1995 handelt. Die Handlung beschreibt einen internationalen Wettkampf, der ein rassistisches und entzweites Südafrika vereinigt.
Nelson Mandela (dargestellt von Morgan Freeman), dessen Anliegen es ist, die Kluft zwischen Schwarz und Weiss zu überwinden, gibt dem Trainer François Pienaar (Matt Damon) zu verstehen, dass ein Sieg des südafrikanischen Rugby Teams eine Möglichkeit sein könnte, in der von der Apartheid lange geteilten Nation ein Gemeinschaftsgefühl zu erwecken. Das südafrikanische Rugby Team, eine zweitklassige Mannschaft - vor allem weisser Spieler - die sich „Springboks“ nennt,
gewinnt letztendlich die Unterstützung der schwarzen Bevölkerung und wird durch ihren Sieg der Meisterschaft zum Symbol eines vereinigten Südafrikas.
Das Moses Mabhida Stadion, Durban; Foto Marcus Bredt
Das Moses Mabhida Stadion, Durban; Foto Marcus Bredt
×Realistisch betrachtet, stellt dieser glorreiche Sieg nur eine Ablenkung der vorherrschenden Probleme dar, mit dem das Land kurz nach der Abschaffung der Apartheid konfrontiert wurde. Hinsichtlich der in Südafrika gastierenden WM liefert der Film einen ungünstigen Vergleich: Schon vor dem Beginn des Anlasses wirft er einen tiefgründigen Blick auf das historische Rugby-Spiel. Die Rugby WM gab der Nation mit minimalem finanziellem Aufwand den benötigten moralischen Ansporn. Die südafrikanische Mannschaft, die mit dem erfahrenen Chester Williams nur einen schwarzen Spieler stellte, besass einfach genug Dreistigkeit und Courage, um einen Sieg gegen das eigentlich bessere neuseeländische Team herauszuschinden.
Das Moses Mabhida Stadion, Durban; Foto Marcus Bredt
Das Moses Mabhida Stadion, Durban; Foto Marcus Bredt
×Der Sieg einer Nationalmannschaft ist der entscheidende Faktor, um eine Nation geschlossen für eine gemeinsame Sache zu begeistern – doch ein Wunder wäre von Nöten gewesen, damit Südafrika die diesjährige Fussball-WM gewinnt. Die harten Fakten sprachen von Anfang an dagegen. Vor sechs Jahren rechneten Experten aus, dass die Stadien-Neubauten für die WM 2.3 Milliarden Rand, also ca. 300 Millionen Dollar kosten würden – eine scheinbar lächerliche Summe angesichts Londons Fehlkalkulation für die Kosten, die aus den olympischen Spielen 2012 entstehen.
Schlussendlich wird der Betrag zum Teil aufgrund von Preissteigerungen, zum Teil aufgrund der Korruption zehn Mal höher sein, also ca. 100 Milliarden Rand kosten, was ungefähr 13 Milliarden Dollar entspricht. Eine immense Summe für ein Land, in dem ein Grossteil der Bevölkerung in tiefster Armut lebt.
Das Moses Mabhida Stadion, Durban; Foto Marcus Bredt
Das Moses Mabhida Stadion, Durban; Foto Marcus Bredt
×Christopher Merrett, ein politisch links orientierter südafrikanischer Historiker, beschreibt die Rolle Südafrikas als Gastland der WM als „Akt nationaler Prostitution“, dessen einziges Vermächtnis die Verschärfung der Situation der Ärmsten des Landes ist, sowie eine Reihe an unbenutzten Stadien zurücklassen wird.
Merrett rechnete aus, dass durch diese beispiellose Investition maximal 50.000 Arbeitsplätze und 0,94 % Wachstum des BSP generiert werden und schrieb vor kurzem berechtigterweise: „Die FIFA.. hat Südafrika als grosse Arena eines hochlukrativen Medienspektakels angeworben und macht sich dann mit dem Gewinn aus dem Staub.“
Soccer City, Johannesburg; Architekten: Populus and Boogertman Urban Edge + Partners
Soccer City, Johannesburg; Architekten: Populus and Boogertman Urban Edge + Partners
×Zweifellos sind 12 Milliarden – das sind die Gesamtkosten für die Stadien – eine geradezu anstössige Summe für ein Land, das seiner Bevölkerung nicht einmal eine funktionierende Gesundheitsversorgung oder Bildungsstätten garantieren kann.
Das Nelspruit Stadion, das sich im Nordosten des Landes nahe des Krüger Nationalpark befindet, kostete 137 Millionen Dollar und wurde zum Symbol eines finanziellen Exzesses, der in einem verarmten Landstrich zu einer weiteren Verschlechterung der Grundbedürfnisse der dort wohnhaften Menschen führte.
Die New York Times schrieb, dass zwei Schulen, die sich auf dem Grundstück des zukünftigen Stadions befanden, im Jahr 2007 einfach niedergewalzt wurden. Die Schüler wurden fortan in vorfabrizierten, brütend heissen und stickigen Klassenzimmer-Baracken unterrichtet.
Der Bürgermeister von Nelspruit, Lassy Chiwayo, machte seinem Unmut gegenüber der NY Times Luft: „Es ist unmöglich, darüber hinwegzusehen, dass im Zuge der WM eine verantwortungsbewusste Regierungsführung total abhanden kam.“
Darüber hinaus kam es dem NY Times-Reporter zu Ohren, dass bedeutende Persönlichkeiten im Rahmen eines korrupten Bauland-Verkaufes ermordet wurden.
Soccer City, Johannesburg; Architekten: Populus and Boogertman Urban Edge + Partners
Soccer City, Johannesburg; Architekten: Populus and Boogertman Urban Edge + Partners
×Der bemerkenswerte architektonischen Ehrgeiz der Stadion-Projekte scheint von einem Mangel an Chancen für die südafrikanischen Mitbewerber begleitet zu sein. Gerkan, Marg & Partner eröffneten in weiser Voraussicht bereits vor dem Ende der letzten WM 2006 eine Filiale in Südafrika.
Ihr Kalkül, so an Aufträge für die nächste Fussball Weltmeisterschaft 2010 zu bekommen, ging auf: GMP war an drei Stadionprojekten beteiligt, dem Stadion in Kapstadt, Durban und Port Elizabeth. Dies jedoch auch als Berater und in Kooperation mit südafrikanischen Architekten.
Soccer City, Johannesburg; Architekten: Populus and Boogertman Urban Edge + Partners
Soccer City, Johannesburg; Architekten: Populus and Boogertman Urban Edge + Partners
×GMP arbeitete für das Stadion in Kapstadt mit zwei südafrikanischen Firmen zusammen: Louis Karol Architecture und Point Architects.
Die Generalunternehmungen Murray & Roberst und WBHO erstellten das Projekt in 33 Monaten, die Kosten beliefen sich auf 600 Millionen Dollar.
Für das Moses Mabhida Stadion in Durban bestand das Projekt-Team aus nicht weniger als 32 südafrikanischen Architekturbüros mit GMP als projektsteuernden Architekten. Die Kosten für den Bau des Stadions mit 70.000 Sitzplätzen beliefen sich auf 450 Millionen Dollar.
Auch in den Bau des 270 Millionen Dollar teuren Nelson Mandela Bay Stadions waren GMP involviert: Es befindet sich im Herzen von Port Elizabeth mit Blick auf den North End Lake.
Alle drei Projekte sind architektonische Juwelen, und zusammen mit Soccer City in Johannesburg und Nelspruit bilden sie wahrscheinlich das gelungenste architektonische Ensemble, das je für eine Weltmeisterschaft entstanden ist. Auch wenn natürlich an dieser Stelle erwähnt werden muss, dass Nelspruit dazu prädestiniert ist, ungenutzt sozusagen als architektonischer Friedhof am Rande eines Naturschutzgebietes zu enden.
Nelson Mandela Bay Stadion, Port Elizabeth; Foto Marcus Bredt
Nelson Mandela Bay Stadion, Port Elizabeth; Foto Marcus Bredt
×Die Umnutzung der neuen Stadien Südafrikas ist unwahrscheinlich – man sollte jedoch im Hinterkopf behalten, dass dies auch ein Land ist, das seine Schwächen in Vorteile zu wandeln weiss. Eines der Hauptprobleme Südafrikas ist sein Mangel an Homogenität. Die 11 offiziellen Sprachen sind Englisch, Afrikaans, Ndebele, Northern Sotho, Southern Sotho, Swazi, Tswana, Tsonga, Venda, Xhosa und Zulu,
dazu kommen viele inoffizielle Sprachgruppen.
Selbst unter der weissen Bevölkerung bilden sich verschiedene Kulturgruppen heraus, wie die Afrikaans sprechenden Buren und die englisch-sprachigen Weissen.
Doch diese ganzen Verschiedenheiten sind auch eine Stärke Südafrikas: Der Mangel an sprachlicher oder ethnischer Kohäsion wird in das Image der „Regenbogen – Nation“ umgewandelt.
Nelson Mandela Bay Stadion, Port Elizabeth; Foto Marcus Bredt
Nelson Mandela Bay Stadion, Port Elizabeth; Foto Marcus Bredt
×Andere betrachten die Weltmeisterschaft durch die Brille eines fast zwanghaften Optimismus: Der für den Daily Telegraph tätige südafrikanische Journalist Rian Malan schrieb über die Verbesserungen insbesondere des öffentlichen Verkehrs in der Hauptstadt Johannesburg. Neue Busse wurden eingeführt und die Schnellstrassen ausgebessert. Glaubt man der FIFA, so hat die südafrikanische Regierung mehr für die Modernisierung der Infrastruktur ausgegeben als für die sportlichen Einrichtungen der WM selbst.
1.8 Milliarden Dollar wurden in die öffentliche Infrastruktur investiert und 450 Millionen Dollar in die Pforten des Landes nach Aussen, wie z.B. Flughäfen.
Die FIFA besteht darauf, dass die Vorteile und der Nutzen der WM für Südafrika grösser sind als sie von Christopher Merrett eingeschätzt werden. Grand Thornton, eine internationale Consulting Firma, rechnete aus, dass die FIFA WM 2010 der südafrikanischen Wirtschaft 55.7 Milliarden Rand beschert und 400.000 Arbeitsplätze generiert.
Nelson Mandela Bay Stadion, Port Elizabeth; Foto Marcus Bredt
Nelson Mandela Bay Stadion, Port Elizabeth; Foto Marcus Bredt
×Malan hält auch fest, dass bei dem vor kurzem im Orlando Stadion in Soweto durchgeführtes Rugby Match keinerlei Spannungen herrschten – dies ist durchaus bemerkenswert, nachdem die Aggressionen, die durch den Mord an dem weissen Rechtsextremen Eugene Terreblanche verursacht wurden, zu eskalieren drohten.
Die Kapholländer sind zwar mehr Rugby- als Fussball–Besessene, in erster Linie sind sie jedoch Sportverrückte. Selbst wenn sie es aus einer schwierigen Gruppe heraus nur ins Viertelfinale schaffen würden, wäre auch das Grund genug, die Nation zu einen, und wäre dazu ein Akt im Kontext eines wirklichen globalen Wettkampfes (anstelle von Rugby, das weit weniger internationale Wirksamkeit besitzt).
„Die Befürworter der Fussball WM behaupten, dass sie das Schicksal Afrikas verändern kann, indem sie unser Selbstvertrauen stärkt und unser Image in den Augen derer, die den Kontinent abgeschrieben haben, erneuert “, schreibt Malan. „Solche Äusserungen klangen bisher immer albern in meinen Ohren – doch mittlerweile bin ich mir nicht mehr so sicher.“