Musik für das Auge: Time & Style

Ich habe nicht oft das Gefühl, ich bräuchte einen Drink, doch das hier war etwas anderes.

Ich sass im Publikum eines privaten Jazzkonzerts in Amsterdam, lauschte den fantastisch lauten Improvisationen zweier hochkarätiger japanischer Musiker aus Tokio – einer am Saxofon, der andere am Schlagzeug – und der Wunsch nach Alkohol wurde immer dringlicher. Die Performance war ausgeprägt kinetischer Natur und ihre Wirkung beschränkte sich nicht auf die Ohren, sondern sorgte für ein umfassendes, körperliches Erleben. Als die Vorstellung vorbei war, fühlte ich mich wie nach einem intensiven Workout und ging auf kürzestem Weg zur Theke.

Unser Gastgeber war Ryutaro Yoshida und der Ort des Geschehens der europäische Showroom der japanischen Designmarke Time & Style. Von allen Universalgenies der Branche ist Yoshida wohl das konsequenteste. Er hat einen leidenschaftlich wissbegierigen Geist und den Drang, Dinge zu bewegen. Fast könnte man sich darüber ärgern, wenn er nicht zugleich so sympathisch wäre. Hersteller, Kurator, Musikjournalist, Inhaber eines Plattenlabels und erfahrener Koch sind nur einige seiner Beschäftigungen und Talente. Architekturbewahrer kommt auch noch auf die Liste. Der Amsterdamer Showroom der Marke befindet sich in einem bedeutenden historischen Gebäude: einer ehemaligen Polizeistation aus dem 19. Jahrhundert, vollständig aus rotem Ziegelstein und direkt am Kanal gelegen (was sonst?), inklusive Uhrenturm und zinnenbewehrtem Dachgarten. Yoshida macht vieles, aber eines gehört nicht dazu: halbe Sachen.

Free Form

"Wenn Jazzmusiker improvisieren, kreieren sie etwas Neues", erklärt Yoshida, während wir vor dem Konzert in einem der vielen hohen Räume des Gebäudes japanischen Tee trinken. "Sie haben keine Regeln." Dieser freie Geist ist mit Sicherheit auch bei Time & Style zu Hause. Und er ist eine sehr passende Metapher nicht nur für die unlehrbuchhafte Art und Weise, wie der Gründer die Dinge angeht (ein einziger nächtlicher Spaziergang offenbarte ihm durch die beleuchteten Wohnungen der Stadtbewohner ihre Designaffinität und führte zur Entscheidung, einen Showroom in der niederländischen Stadt zu eröffnen), sondern auch für das, was die Marke ihren Kunden bietet: authentisches japanisches Design von den erfahrensten Handwerkern des Landes.

Tatsächlich zieht Yoshida in dem Masse, in dem er Unternehmer ist auch ein Konservierungsprogramm durch. Den Grossteil seiner Zwanziger verbrachte er in Deutschland und kehrte Anfang der 90er Jahre mit einer neuen Wertschätzung der traditionellen materiellen Kultur seiner Heimat nach Japan zurück. Sein erstes Geschäft eröffnete er 1997 in Tokio. Von Beginn an war die Mission klar: Die japanische Handwerkskunst sollte wiederbelebt werden. Yoshida bereiste zu diesem Zweck das gesamte Land, um traditionelle Meisterproduzenten zu entdecken und sie zur Zusammenarbeit einzuladen. "Die meisten KunstHandwerker arbeiteten irgendwo im Verborgenen", sagt er. "Niemand kümmerte sich um diese Tradition, also tat ich es. Time & Style ist eine Reise mit dem Ziel, unsere eigene Geschichte zu finden."

Call and response

Die Kollektion von Time & Style umfasst neben Möbeln, Beleuchtung und Schränken auch Keramik und exquisites Geschirr. Sie ist das Resultat der Partnerschaft mit über 200 Werkstätten aus ganz Japan sowie der Produktion der firmeneigenen Werkstatt in Hokkaido, der nördlichen Insel des Landes. "Wir möchten nur sensible und einfache Produkte schaffen", erklärt Yoshida. "Aber nicht so etwas wie Muji! Das Ziel unserer Präsenz in Europa ist es, nicht nur japanische Qualitätsprodukte, sondern auch japanischen Service vorzustellen. Wir bieten Geschichte, Kultur und natürlich Tee."

Und Zeit. Yoshida ist ein ausgezeichneter Geschichtenerzähler. Und warum auch nicht? Erzählungen sind schon integriert in seine Produkte, die geformt werden von hochqualifizierten Händen im Verbund mit neuen Technologien. Während wir reden, sitzen wir an einem grossen Tisch mit einem markanten Gestell aus Gussbronze. "Der Produzent hat ausschliesslich buddhistische Statuen gemacht, bevor ich ihn traf", sagt mein Gastgeber. "Aber wir erkannten das Potenzial. Es geht darum, die Möglichkeiten zu identifizieren, die in den Techniken und Produktionsprozessen angelegt sind. Unsere Entwürfe knüpfen daran an."

Man muss sagen, dass der Vorrang von Material und Herstellung über die Form ein überzeugendes Angebot an Architekten darstellt, wenn es um Individualisierung oder sogar Einzelstücke geht. "Wir sind in der Lage, die richtigen Produzenten und Handwerker zu finden, um nicht nur massgeschneiderte Produkte, sondern auch einzigartige Objekte zu schaffen – auf Wunsch sogar nach eigenen Designs des Architekten."

Wenn das nicht Jazz ist.

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