Textile Fassaden: State of the Art auf der Techtextil 2015
Text von Ulrich Büttner
Neustadt an der Weinstrasse, Deutschland
10.03.15
Die Techtextil in Frankfurt am Main, internationale Leitmesse für technische Textilien und Vliesstoffe, öffnet ihre Tore vom 4. bis zum 7. Mai 2015. Anwendungen für die Architektur sind neben den unzähligen anderen Einsatzgebieten dieser Produkte im Rahmen industrieller Fertigungsprozesse zwar nur ein Teilaspekt, aber ein offensichtlich sehr attraktiver. Beispielhafte Referenzprojekte einiger Aussteller deuten bereits die enorme Bandbreite und Leistungsfähigkeit der Branche an. Und es liegt in der Natur der Sache, dass es bei textiler Architektur fast ausnahmslos um hoch individuelle Lösungen geht – manchmal ist es das Material selbst, aber immer seine konkrete Verwendung. Hier ziehen Architekten und Hersteller so zu sagen am gleichen Strang.
Die textile Fassade verwandelt das Fritz-Lipmann-Institut in Jena tagsüber in einen weissen Kubus und lässt ihn in der Dämmerung sanft schimmern; Foto: Verseidag Indutex GmbH
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Die textile Fassade verwandelt das Fritz-Lipmann-Institut in Jena tagsüber in einen weissen Kubus und lässt ihn in der Dämmerung sanft schimmern; Foto: Verseidag Indutex GmbH
×Verseidag: Technische Textilien erfahren eine permanente Weiterentwicklung
Die Verseidag Indutex GmbH ist einer der führenden Hersteller von beschichteten technischen Geweben für sehr unterschiedliche industrielle Anwendungen. Mit Produkten für die textile Architektur hat sich das Unternehmen aus Krefeld bereits vor Jahrzehnten nicht nur unter einflussreichen Architekten einen Namen gemacht und steht neben Qualität und Innovation für eine kompetente Beratung im Vorfeld der eigentlichen Projektrealisierung. Als Hersteller der jeweiligen Gewebe übernimmt die Verseidag nicht die Ingenieurleistungen von technischen Konfektionären oder Tragwerksplanern, sondern bietet vielmehr eine aufklärerische Unterstützung zur generellen Machbarkeit eines Entwurfes. „Unsere Produkte machen vieles möglich, aber eben nicht alles“, erklärt Murat Devecioglu, „und so ist es wichtig, dass man gleich zu Beginn entscheidende Aspekte auch jenseits der reinen Konstruktion, wie etwa die geforderte Reflektion, Transluzenz oder den offenen Flächenanteil etc. klärt.“
Bei fortschreitender Dunkelheit wirkt die senkrechte Bespannung wieder etwas durchlässiger; Bild: Verseidag Indutex GmbH
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Bei fortschreitender Dunkelheit wirkt die senkrechte Bespannung wieder etwas durchlässiger; Bild: Verseidag Indutex GmbH
×Die Kundenorientierung reicht noch einen ganzen Schritt weiter, denn ab einer Losgrösse von etwa 2 500 Quadratmetern werden Gewebe und ihre Ausstattung (Beschichtung) projektspezifisch modifiziert oder neu entwickelt. Naturgemäss sind komplexe weite Dachkonstruktionen eine grössere Herausforderung als puristische flach abgespannte Fassaden-Lösungen. Auch hier sind die technischen und ästhetischen Anforderungen hoch und der Nutzer hat bei einer Fassade sowohl das textile Gewebe an sich als auch die konstruktiven Details vergleichsweise nah vor Augen.
So ist es beispielsweise beim Fritz-Lipmann-Institut in Jena; das 2013 fertiggestellte Gebäude von hks Architekten, Erfurt, erhielt eine in der Summe rund 3 800 m2 grosse textile Fassadenbespannung aus einem PTFE beschichteten Glasfasergittergewebe mit A2 Klassifizierung. Diese „Haut“ verleiht der drei- bis fünfgeschossigen Kubatur des Institutes einen nahezu schwebenden Eindruck und verstärkt dabei die Anmutung hoher Präzision. Nach innen wirkt die Gebäudehülle als Einblickschutz bei voller Nutzung des Tageslichtes. Produkte der duraskin-Linie zeichnen sich weiterhin durch hohe UV- und Witterungsbeständigkeit, eine hohe Schmutzabweisung sowie eine Lebensdauer von mindestens dreissig Jahren aus.
Sattler/Ceno Tec: Alles aus einer Hand
64 expressive Fassadensegel umstellen das Fussballstadion in Taschkent. Ein imposanter Anblick – besonders wenn sie hinterleuchtet sind
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64 expressive Fassadensegel umstellen das Fussballstadion in Taschkent. Ein imposanter Anblick – besonders wenn sie hinterleuchtet sind
×Eines ist sicher: Es gibt im Zusammenhang mit textilem Bauen weltweit mehr Architekten als Unternehmen, die ihre Entwürfe umsetzen können. Und wenn es gar darum geht, unter hohem Zeitdruck in einer vom Firmenstandort weit entfernten Weltgegend ein halbfertiges Fussballstadion zu einem guten Abschluss zu bringen, schrumpft diese Zahl signifikant. Die Sattler-Tochter Ceno Tec GmbH aus Greven nahm zusammen mit dem Saalfelder Stahlbauer Oberhofer aus Österreich eine solche Herausforderung an und baute 2012 innerhalb von acht Monaten und ohne Architekt das Fussballstadion Bunyodkor Taschkent in Usbekistan fertig. Neben einer 30 000 m2 grossen textilen Dachfläche wurden zusätzlich rund 10 000 m2 textile Fassade aus PVC beschichtetem Polyestergewebe Typ III realisiert. Ein ambitioniertes Projekt bestehend aus Entwurf, statischer Berechnung, Herstellung und Montage.
Auf dem oberen Umgang gewinnt man einen guten Eindruck von Komplexität und Präzision der Konstruktion, die die textile Haut perfekt und dauerhaft spannt
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Auf dem oberen Umgang gewinnt man einen guten Eindruck von Komplexität und Präzision der Konstruktion, die die textile Haut perfekt und dauerhaft spannt
×Vor Ort existierten als Zwangs- und Fixpunkte ein Kreis von Fundamenten und die obere Betonkante der Tribünenschüssel mit Befestigungspunkten. Das Ceno Team, verantwortlich für Tragwerk und Membran samt aller Details, arbeitete mit dem Stahlbauer perfekt zusammen. „So lagen Mass- und Passgenauigkeit zu hundert Prozent in unserer Hand. Da wir die Fixpunkte am usbekischen Rohbau etwas flexibilisieren konnten, liessen sich die präzise vorgefertigten Elemente gut montieren. Die CAD-Planungsebene war für den Stahlbauer und uns, den Membranhersteller, der ja auch den Sekundärstahl liefern muss, identisch. Das führt zu Masstoleranzen, die mit denen im Maschinenbau vergleichbar sind“, betont Wolfgang Rudorf-Witrin, Geschäftsführer der Ceno Tec GmbH, nicht ohne Stolz. Zufrieden ist er auch mit dem Endergebnis, so zufrieden wie der Bauherr.
Die optische Präsenz des Stadions mit 35 000 Plätzen ist enorm. Mittlerweile gelten die 64 hinterleuchteten Fassadensegel, die die Arena schützend umstellen als „Flammen des Orients“ und formen mit ihrer Höhe von 34 Metern zugleich eine dynamisch-expressive und einladend-offene Spitzbogenabwicklung von fast 640 Metern Länge. Eine zusätzliche Herausforderung lag bei diesem Projekt in der Logistik, denn die LKW mit 3 700 Tonnen Stahl, den Membranfeldern, einigen Kilometern Seil und Randbefestigung etc. erreichten ihren Zielort nicht in der Reihenfolge, in der sie losgefahren waren, so dass aus Zeitgründen vor Ort an verschiedenen Punkten gleichzeitig mit der Montage begonnen werden musste.
GKD: Spezielle Lösungen für exquisite Anforderungen
Spielerisch und leicht! Dieser Eindruck des metallenen Kleides des Grand Théâtre des Cordeliers in Albi ist das Ergebnis einer komplizierten optischen und statischen Modifikation eines Aluminiumgewebes
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Spielerisch und leicht! Dieser Eindruck des metallenen Kleides des Grand Théâtre des Cordeliers in Albi ist das Ergebnis einer komplizierten optischen und statischen Modifikation eines Aluminiumgewebes
×Eine Fassade aus Metallgewebe nicht wie ein mittelalterliches Kettenhemd wirken zu lassen, sondern wie ein optisch leichtes, umhüllendes Gespinst, ist schon eine besondere Leistung. Sehr eindrucksvoll ist das beim Neubau des Grand Théâtre des Cordeliers im französischen Albi realisiert worden. In der Umsetzung der anspruchsvollen Entwurfsabsichten von Stararchitekt Dominique Perrault gelang der technischen Weberei GKD – Gebr. Kufferath AG aus Düren in mehrfacher Hinsicht ein Kabinettstück.
Das Tageslicht beeinflusst die jeweilige Wirkung des Schleiers, der dem funktionalen Kubus des Theaterneubaus einen Großteil seine Strenge und „Härte“ nimmt
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Das Tageslicht beeinflusst die jeweilige Wirkung des Schleiers, der dem funktionalen Kubus des Theaterneubaus einen Großteil seine Strenge und „Härte“ nimmt
×Es ging darum, am Rande der historischen Altstadt das kubische Volumen des Theaters optimal in die Umgebung zu integrieren. Schnell wurde der zu diesem Zweck entwickelte semitransparente und goldschimmernde Überwurf zu einem neuen Wahrzeichen der Stadt, doch bis zu seiner Fertigstellung galt es zahlreiche Hürden zu nehmen. Der Architekt wünschte sich beispielsweise gegenläufige Krümmungen und unterschiedliche Höhen, was zu einer Sonderanfertigung des Aluminium-Spiralgewebes vom Typ Escale mit einer Teilung von 150 x 20 mm führte. Jede der knapp 5 000 Spiralen musste in individueller Länge produziert und zu Paneelen montiert werden. So entstanden 36 Senkrechtpaneele oder Gewebebahnen in individuellen Längen und ohne jeden rechten Winkel; aus ihnen wurde dann der 4 800 m2 grosse und räumlich gekrümmte Schleier zusammengesetzt, der vor allem an den Gebäudeecken die reine Senkrechte vermeidet, im oberen Horizontalabschluss jeder Seite leicht durchhängt und am unteren Rand gegenläufig sanfte Bögen ausbildet. Kreiert wurde auf diese Weise ein äusserst „spannendes“ und den inneren Gebäudekubus verschleierndes Gebilde. Ohne zusätzliche seitliche Abspannungen war das nicht zu machen, wobei die auftretenden Kräfte von fast nicht sichtbaren Edelstahlseilen aufgenommen werden, die eigens in das Aluminiumgewebe eingezogen wurden.
Der poetische Auftritt birgt auch technische Eigenschaften wie eine Reduzierung der Sonneneinstrahlung bei optimaler Tageslichtausbeute sowie einen wirksamen Schutz gegen Wind und Regen. GKD konnte auch beim Goldton des eloxierten Alugewebes den Wünschen des Architekten entsprechen und folgte darin der Farbigkeit der benachbarten Steinfassaden. Werner Freialdenhoven von GKD schätzt die zielführende Zusammenarbeit mit Architekten sehr und erklärt: „Sonderlösungen sind grundsätzlich kein Problem für uns, allerdings ist es wichtig, so früh wie möglich in einen Dialog zu treten. Andernfalls kann es sogar passieren, dass ein Fundament unterdimensioniert wird. Unsere Metallgewebe hängt man nicht auf wie eine Gardine.“