Der Schweizer Biennale-Beitrag „Incidental Space“ von Christian Kerez zeigt eine frappante Nähe zu Kunst. Karin Frei Rappenecker stellt dem Schweizer Architekten Fragen in Bezug auf das Verhältnis von Kunst und Architektur.

Christian Kerez: Incidental Space, Venedig, 2016, Foto: Rahul Mirpuri, © Christian Kerez Zürich AG

Kenntnisse: Christian Kerez – ein Flirt mit der Kunst? | Architecture

Christian Kerez: Incidental Space, Venedig, 2016, Foto: Rahul Mirpuri, © Christian Kerez Zürich AG

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Kunst, die sich dem interdisziplinären und sinnlichen Erforschen einer Terra Incognita, dem Unbekannten, widmet, hat eine lange Tradition. Arbeitest Du in dieser Tradition?

Christian Kerez: Es gibt in der Architektur eine reiche Tradition an Parkgebäuden, Grotten, Tempeln und Ruinen, welche als Teil von Landschaftsparkanlagen entworfen worden sind. Diese Projekte sind frei von jeglicher Nutzung. Es gibt aber auch in der Gegenwartsarchitektur den „Serpentine Pavilion“, der von Architekten jedes Jahr neu entworfen wird. Vielleicht ist es gerade ein Erfolg dieses Programmes, dass er von Architekten gemacht wird und dass er wiederum Teil eines Kunstgalerie-Programmes ist, das keine Architektur zeigt.

Christian Kerez: Incidental Space, Venedig 2016, Foto: Rahul Mirpuri © Christian Kerez Zürich AG

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Christian Kerez: Incidental Space, Venedig 2016, Foto: Rahul Mirpuri © Christian Kerez Zürich AG

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Mit „Incidental Space“ betreibst Du Grundlagenforschung für eine Architektur der Zukunft. Worin siehst Du den Unterschied zu künstlerischen Projekten, die so angelegt sind, dass sie als betret- und benutzbare Architekturen / Utopien funktionieren?

CK: Es gibt viele Projekte von Künstlern, bei denen man sich fragen kann, ob sie außerhalb der Kunst, bzw. als rein architektonischer Entwurf noch Bestand behalten würden. Die Abgrenzung zwischen Kunst und Architektur ist für mich vollkommen unwesentlich. Wie aussagekräftig, konsequent und neuartig jedes Projekt für sich selbst ist, muss für jeden Fall neu entschieden werden können.

Christian Kerez: Modell-Workshop, Foto: Christian Kerez, © Christian Kerez Zürich AG

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Christian Kerez: Modell-Workshop, Foto: Christian Kerez, © Christian Kerez Zürich AG

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Kannst Du Dir vorstellen, solche Grundlagenforschung auch in Deine Auftrags-Architektur einzubeziehen? Sozusagen als integrierte Kunst und Bau?

CK: Ich verstehe letztendlich jedes einzelne Projekt von mir als eine Beschäftigung mit grundlegenden Dingen der Architektur. So ist das „Haus mit einer Wand“ beispielsweise ein Wohnhaus, das große Wohnqualitäten hat, aber gleichzeitig ist es auch eine architektonische Manifestation. Diese Alltäglichkeit, Wohnlichkeit, Behaglichkeit und architektonische Aussagekraft, sowie die Eindeutigkeit, bzw der grundlegende Charakter des Entwurfes sind für mich Sachen, die sich nicht ausschließen. Im Gegenteil. Ich persönlich finde Wohnungen, welche keinen grundlegenden Charakter haben auch in ihrer Wohnerfahrung belanglos und langweilig.

Christian Kerez: Modell Haus Okamura, Prag 2014-2017. Foto: Christian Kerez, © Christian Kerez Zürich AG

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Christian Kerez: Modell Haus Okamura, Prag 2014-2017. Foto: Christian Kerez, © Christian Kerez Zürich AG

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Architektur ist in ihrer Entstehung vielen Zwängen und Anforderungen ausgesetzt. Ist Kunst für Dich ein Instrument zur Befreiung?

CK: Die Kunst, wie auch die Architektur sind immer eingebettet in einen gesellschaftlichen und ökonomischen Kontext. Aus diesem Kontext kann sich die Kunst nur selbst befreien. Dieses Spannungsmoment interessiert mich in der Kunst gleich wie in der Architektur. Wie kann der Einzelne den Zwängen, Einschränkungen und Erwartungen, welche direkt oder indirekt an ihn gestellt werden, entgehen.

Aufbau von Incidental Space in Venedig, 2016, Foto: Christian Kerez, © Christian Kerez Zürich AG

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Aufbau von Incidental Space in Venedig, 2016, Foto: Christian Kerez, © Christian Kerez Zürich AG

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Welche Erkenntnisse kannst Du aus dem venezianischen Experiment gewinnen?

CK: Das venezianische Experiment ist wie jedes andere Projekt von mir ein Einzelfall und nicht Teil einer Serie. Ich versuche mich so wenig wie möglich zu wiederholen und mit jeder architektonischen Arbeit neue Erfahrungen zu machen. Für mich ist das venezianische Experiment eng verknüpft mit räumlichen Vorstellungen, welche sich auch in dem Projekt für die Erweiterung einer Favela in Brasilien, das auch in Venedig gezeigt wird, sowie dem Haus Okamura in Prag zeigen. Es ist die Vorstellung eines atomisierten Raumes, eines Raumes der sich nicht nach außen sondern nach innen ausdehnt, der unendlich wirkt, und das nicht durch seine Größe sondern durch seine Komplexität.

Christian Kerez: Modell Porto Seguro Social Housing, Sao Paolo 2009 – 2014. Foto: Christian Kerez, © Christian Kerez Zürich AG

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Christian Kerez: Modell Porto Seguro Social Housing, Sao Paolo 2009 – 2014. Foto: Christian Kerez, © Christian Kerez Zürich AG

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Welche Funktion sprichst Du der Kunst in Bezug auf Architektur zu?

CK: Ich habe bewusst nie mit Künstlern zusammengearbeitet. Meiner Meinung nach hat sich dieses Thema in den letzten 30 Jahren vor Allem in der Schweiz aber auch in anderen Ländern erschöpft. Ich habe auch ein kritisches Verhältnis dazu, wie viele Architekten sich künstlerische Strategien der Gestaltung und der Vermarktung aneignen.

Christian Kerez: Incidental Space, Venedig, 2016. Foto: Rahul Mirpuri © Christian Kerez Zürich AG

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Christian Kerez: Incidental Space, Venedig, 2016. Foto: Rahul Mirpuri © Christian Kerez Zürich AG

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Was hältst Du von Kunst und Bau heute?

CK: Es gibt sehr gute und es gibt auch sehr schlechte Beispiele zu diesem Thema. Ich kann mich dazu nicht allgemein äußern. Generell interessieren mich aber Kunstprojekte, welche versuchen, Architektur aufzuwerten, nicht. Ich denke, Architektur muss stark genug sein, um auch ohne Kunst auszukommen. Gleichzeitig muss es auch immer möglich sein für Kunst, an jedem Ort und zu jeder Zeit einen Landeplatz zu finden. Dass sich die Kunst nicht auf die geschützten Räume eines Museums beschränkt, ist wohl eine Selbstverständlichkeit. Nichtsdestotrotz gibt es viel Trivialkunst im öffentlichen Raum, welche das Chaos unserer Städte nicht verringert oder auch nur kommentieren kann, sondern nur ein weiterer Ausdruck davon ist.

Christian Kerez: Modell Porto Seguro Social Housing, Sao Paolo 2009 – 2014. Foto: Christian Kerez, © Christian Kerez Zürich AG

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Christian Kerez: Modell Porto Seguro Social Housing, Sao Paolo 2009 – 2014. Foto: Christian Kerez, © Christian Kerez Zürich AG

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Gibt es Beispiele, die Dich besonders faszinieren oder inspirieren?

CK: Es gibt Künstler, die unzweifelbar ein großes architektonisches Verständnis haben und aus dem heraus bedeutende Beiträge geleistet haben, wie zum Beispiel Helmut Federle.


Mit welchem Künstler / welcher Künstlerin würdest Du gerne zusammen arbeiten? Und wie?

CK: Grundsätzlich ist die Arbeit eines Architekten immer mit der Begegnung mit anderen Menschen verbunden. Ich arbeite beispielsweise sehr gerne mit Ingenieuren zusammen. Aber auch die Auseinandersetzung mit Unternehmern auf der Baustelle ist etwas was ich als ungemein bereichernd empfinde. Ich glaube eine Zusammenarbeit muss sich auch aus einer Notwendigkeit ergeben. Ich kenne viele Künstler persönlich und schätze sehr viele. Es hat sich aber bis jetzt noch nie eine Notwendigkeit für eine Zusammenarbeit ergeben. Ich glaube, am liebsten würde ich einem Schriftsteller helfen, ein Buch zu schreiben und wäre der erste Leser und Kritiker. Das wäre eine Form der Zusammenarbeit die mir im Moment sehr gut gefallen würde.

Beton-Elemente für Incidental Space, bereit für den Transport, Foto: Joni Kacani, © Christian Kerez Zürich AG

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Beton-Elemente für Incidental Space, bereit für den Transport, Foto: Joni Kacani, © Christian Kerez Zürich AG

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