60 Jahre 'Wie Wohnen?' und 10 Jahre Markanto
Texto por Architonic
Suiza
31.08.09
Bedingt durch die Kriegszerstörungen des Zweiten Weltkrieges fehlten Ende der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts in der jungen Bundesrepublik Deutschland noch immer mindestens 5 Millionen Wohnungen.
Bedingt durch die Kriegszerstörungen des Zweiten Weltkrieges fehlten Ende der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts in der jungen Bundesrepublik Deutschland noch immer mindestens 5 Millionen Wohnungen. Durchschnittlich teilten sich damals 5,4 Personen eine Wohnung. Neue und kompakte Wohnlösungen und Einrichtungsideen präsentierte 1949 die Ausstellung 'Wie Wohnen?' in Stuttgart (und ein Jahr später in Karlsruhe) – Deutschlands Wiedereintritt in das internationale Design nach dem Zweiten Weltkrieg.
Im Rahmen der damaligen Ausstellung präsentierte das Landesgewerbeamt Stuttgart drei Themenbereiche rund ums Wohnen: Bautechnik, Möbel und Hausrat. Besondere Beachtung fanden die erstmalig gezeigten Möbel-Entwürfe von Egon Eiermann, wie der berühmte dreibeinige Formholz-Stuhl und seine Sessel aus Rattan. Darüber hinaus wurden weitere Entwürfe von Architekten wie Eduard Ludwig, Gustav Hasenflug, Hugo Häring, Sep Ruf oder Jens Risom präsentiert. Auch einige wenige Klassiker aus der Vorkriegszeit der 20er und 30er Jahre wie die Stahlrohrmöbel von Marcel Breuer wurden im Rahmen der Ausstellung nochmals gezeigt.
Im Bereich 'Hausrat' präsentierte die Ausstellung zahlreiche Accessoires wie Vorhangstoffe, Uhren, Geschirr, Glas oder Besteck. Auch hier wurde versucht aktuelle Entwürfe der Nachkriegszeit zu zeigen, aber viele der bedeutendsten Exponate waren Arbeiten aus den 30er Jahren, die von Herstellern wie WMF oder Jenaer Glaswerke noch weiterhin oder wieder produziert wurden. Exemplarisch dafür ist das Geschirr 'Arzberg 1382' von Hermann Gretsch oder der Sintrax-Kaffeezubereiter von Wilhelm Wagenfeld.
Anlässlich des 60-jährigen Jubiläums dieser bedeutenden Ausstellung (und unseres 10-jährigen Bestehens) zeigt Markanto eine Auswahl der wichtigsten Entwürfe an Hand von Originalen, die auch heute noch aktuell sind.
Ausstellungsort: Markanto Depot, Mainzer Strasse 26, 50678 Köln
Öffnungszeiten: September 2009, jeden Samstag von 11.00 bis 16.00 Uhr
Architektur 1944
Wiederaufbau der zerstörten Städte wird vorbereitet
Mit der Landung der Alliierten in der Normandie und dem sowjetischen Vormarsch nach Westen ist das Ende des Zweiten Weltkrieges in greifbare Nähe gerückt. Zu diesem Zeitpunkt liegen ganze Städte in Schutt und Asche. Hunderttausende sind in den Trümmern und Feuerstürmen umgekommen, Millionen sind obdachlos.
Die deutschen Städteplaner reagieren angesichts der drohenden Niederlage in zweifacher Form: Einerseits werden, um das Durchhaltevermögen der Bevölkerung zu stärken, zahllose Entwürfe für Triumphbögen, Siegesalleen und Denkmäler zur Feier des baldiges 'Endsieges' publiziert. Andererseits bereiten die Planungsstäbe um Albert Speer den Wiederaufbau der zerstörten Städte auf modernstem bautechnischem Niveau vor. Fragen der Rationalisierung, Mechanisierung und Typisierung stehen dabei im Vordergrund. Wohnbauten werden dadurch zu industriellen Massenprodukten.
Ähnliche Überlegungen - allerdings aus ganz anderen Beweggründen - stellen auch die international renommierten Architekten Walter Gropius und Le Corbusier an. Gropius, dem es inzwischen gelungen ist, die Staatsbürgerschaft der USA zu erhalten, beschäftigt sich wegen fehlender Aufträge mit der Entwicklung stark standardisierter, am Fliessband produzierbarer Fertigteilhäuser im schlichten Landhausstil, in erster Linie gedacht für den aufstrebenden Mittelschicht-Amerikaner, zur Schnellmontage in den sich immer weiter ausbreitenden Teppichsiedlungen im Dunstkreis der Metropolen.
Le Corbusier macht sich mangels lukrativerer Aufgaben Gedanken über die Anforderungen, denen die Städte in Zukunft prinzipiell genügen müssen, um ihren Bewohnern ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Besonderes Augenmerk richtet er dabei auf die Spannungszonen zwischen Wohnen und Arbeiten, Freizeit und Verkehr. Es entstehen städtebauliche Theorien, die er später einmal in den 50er Jahren bei der Planung und Ausführung der indischen Provinzhauptstadt Chandigarh in die Realität umsetzen kann.
Ausserdem studiert Le Corbusier die Vorteile der Beton-Fertigteilmontage und des Trockenausbaues bei der Errichtung dringend benötigter Notwohnungen. Seine Forschungen münden schliesslich in der Idee einer »unité d'habitation«: 500 zweigeschossige Wohnungen in einem langgestreckten, hohen Gebäude, erschlossen durch innenliegende Flure in jedem dritten Geschoss, mit Läden, Sport- und Freizeiträumen, Kindergarten, Wäscherei und Theatersaal. Er weist nach, dass so auf einer Fläche von nur 160 x 160 m die gleiche Anzahl von Wohnungen untergebracht werden kann wie auf 450 x 450 m in üblicher Bauweise, wobei die flächensparende 'unité' den zusätzlichen Vorteil grosser, zusammenhängender Grünanlagen bietet - angesichts der Kriegsverheerungen und der ungewissen Zukunft Europas ein sicherlich faszinierender architektonischer Entwurf.
In Grossbritannien, Frankreich und den Niederlanden ist man realistisch genug, den Wiederaufbau vorrangig als raumordnerisches und städtebauliches Problem zu betrachten. Weitsichtige Politiker und Architekten sehen die Chance, die zukünftigen Stadtstrukturen von historisch bedingten Fehlentwicklungen zu befreien und Platz zu schaffen für die veränderten Bedürfnisse des modernen Lebens. Die Städte sollen Raum bieten für durchgrünte Wohnquartiere mit viel Luft und Sonne; Gewerbe und Industrie sollen in Randgebiete verlagert werden, weitläufige Freizeitreviere sollen entstehen.
Das markanteste Beispiel für eine solche Planungsweise ist Rotterdam. Am 14. Mai 1940 dem Erdboden gleichgemacht, soll die Stadt nach Beendigung des Krieges unter grosszügigen, modernen Gesichtspunkten Schritt für Schritt wieder aufgebaut werden.
Während man noch mit der Beseitigung des Schutts und dem Abriss zerstörter Gebäude beschäftigt ist, fallen die grundlegenden Planungsentscheidungen für den Wiederaufbau: Das Stadtzentrum soll völlig neu gestaltet werden. Geplant ist ein rechtwinklig ausgelegtes Strassennetz, um möglichst normierte Bauparzellen zu erhalten. Der Wohn- und Geschäftskomplex 'Lijnbaan' der Architekten Johannes Hendrik van den Broek und Jacob Berend Bakema befindet sich 1944 noch im Entwurfsstadium. Ihr zukunftsweisendes Konzept sieht die Errichtung einer grosszügig angelegten Einkaufszone mit breiten Fussgängerstrassen, zahlreichen Geschäften, überdachten Gängen, Kiosken, Bäumen und Bänken vor (errichtet 1952 - 1954).