Der Beginn der modernen Architektur in Deutschland. Mit einem Verzeichnis zu Messels Werken

Wertheim, Hertie, Karstadt - Warenhäuser stecken zur Zeit in einer existentiellen Krise, doch Einkaufen, "Shoppen", bleibt nach wie vor eine beliebte Freizeitbeschäftigung. Doch wie sieht eine wirklich zeitgemässe Architektur aus? Das gestalterische Spektrum von "Shopping-Tempeln" reicht von kargen Outlet-Hallen über pseudo-toskanische Kulissendörfchen bis zu aufwendig dekorierten Passagensystemen mit Megashops an den Enden.

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Alfred Messels Wertheimbauten in Berlin | Novedades

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Alfred Messel baute zwischen 1897 und 1904 in Berlin am Leipziger Platz tatsächlich einen Shopping-Tempel, der diesen Namen verdiente, nämlich das Kaufhaus Wertheim. Dieser Bau ist deshalb so legendär, weil er sich als ein Stück Grossstadt verstand, monumental -selbstbewusst mit einer rhythmisch gegliederten Fassade in einer Länge von über 200 m, gleichzeitig modern in der Konzeption des Typus Warenhaus, mit riesigen Schaufenstern und mehreren Lichthöfen, luxuriös und repräsentativ.

Warenhaus Wertheim, Leipziger Straße, Schnitt durch den Lichthof 1:50, Bleistift aquarelliert, weiß gehöht auf Karton, 68,0 x 93,4 cm © Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin

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Warenhaus Wertheim, Leipziger Straße, Schnitt durch den Lichthof 1:50, Bleistift aquarelliert, weiß gehöht auf Karton, 68,0 x 93,4 cm © Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin

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Zitat Gustav Stresemann, späterer Reichsaussenminister, über das war zu Beginn des 20. Jahrhunderts grösste Warenhaus Europas:
"Wenn man heute in eine Familie hört: Wir gehen zu Wertheim, dann heisst das nicht in erster Linie, wir brauchen irgend etwas besonders notwendig für unsere Wirtschaft, sondern man spricht von einem Ausfluge, den man etwa nach irgend einem schönen Ort der Umgegend macht. Man wählt sich dazu einen Nachmittag, an dem man möglichst viel Zeit hat, verabredet sich womöglich noch mit Bekannten. In der Leipzigerstrasse angekommen, bewundert man erst eine ganze Zeit lang die Schaufenster, dann ergeht man sich in den Erdgeschossräumen, sieht sich die verschiedenen Auslagen an, kauft hier und dort etwas, lässt sich durch den Fahrstuhl nach dem ersten Stock befördern und nimmt womöglich eine Tasse Chocolade nebst dem obligaten Stück Torte oder Apfelkuchen. (...) Die Zeit verfliegt mit dem Betrachten der verschiedensten Rayons, der Toiletten der einkaufenden Damen, der Unterhaltung und anderem, und wenn man auf die Uhr sieht, dass es höchste Zeit ist heimzukehren, so macht man oft wohl gleichzeitig die Wahrnehmung, dass man anstatt der Crawattenschleifen, die man anfänglich kaufen wollte, mit einem ganzen Bündel der verschiedenartigsten Sachen beladen ist. (...) Und zwar spüren die Frauen der verschiedensten Gesellschaftsklassen gleichmässig die Anziehungskraft, welche das Warenhaus gerade in dieser Hinsicht ausübt; die vornehmen Beamtenfrauen aus dem Berliner Westen oder aus Charlottenburg geben sich dem Trubel ebenso willig hin, wie die Handwerker- oder Arbeiterfrauen des Ostens und Nordens, die stets ihr sonst für Festtage aufgespartes 'gutes' Kleid anziehen, wenn sie zu Wertheim gehen."

Warenhaus Wertheim, Fassade zur Leipziger Straße. Fotografie Waldemar Titzenthaler (1869-1937), Abzug auf Kollodiumpapier, Aufnahme 1905, 19,4 x 28,4 cm © Museum für Fotografie, Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

Alfred Messels Wertheimbauten in Berlin | Novedades

Warenhaus Wertheim, Fassade zur Leipziger Straße. Fotografie Waldemar Titzenthaler (1869-1937), Abzug auf Kollodiumpapier, Aufnahme 1905, 19,4 x 28,4 cm © Museum für Fotografie, Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

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Alfred Messel arbeitete und baute fast 20 Jahre für die Familie Wertheim. Er galt um die letzte Jahrhundertwende als einer der wichtigsten Architekten, auch wenn er wie seine Bauherren antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt war. Nach seinem Tod 1909 geriet er unglaublich schnell in Vergessenheit, und erst jetzt wird er sozusagen wiederentdeckt. Robert Habel hat in seiner Dissertation die erste ausführliche Darstellung der Wertheim-Warenhäuser erarbeitet und ergänzt diese an sich schon extrem umfangreiche Abhandlung mit einem vollständigen Werkverzeichnis. Über die genaue Beschreibung des Planungs- und Bauprozesses inkl. mehrerer Erweiterungen hinaus werden die Rolle der Familie Wertheim sowie Vorbilder wie Printemps in Paris oder Hochhäuser wie das Wainwright Building in Chicago genauestens untersucht. Auch der Prozess der Arisierung, die Zerstörung im 2. Weltkrieg, die behelfmäßige Öffnung nach 1945 und schliesslich die kommunistische Enteignung bzw. Fusion mit Hertiewerden minutiös nachgezeichnet. Sehr gut geschrieben, anschaulich und spannend!

Ausstellungspalast für Berlin, Schinkelwettbewerb 1881, Perspektivische Ansicht: Kuppelsaal des zentralen Ausstellungspalastes, Tusche aquarelliert auf Karton, 52,5 x 60,2 cm © Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin

Alfred Messels Wertheimbauten in Berlin | Novedades

Ausstellungspalast für Berlin, Schinkelwettbewerb 1881, Perspektivische Ansicht: Kuppelsaal des zentralen Ausstellungspalastes, Tusche aquarelliert auf Karton, 52,5 x 60,2 cm © Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin

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Noch bis Anfang Februar wird die Ausstellung "Alfred Messel - Visionär der Grossstadt" in der Kunstbibliothek am Potsdamer Platz in Berlin gezeigt. Für diese Ausstellung haben sich zwei der bedeutendsten Architektursammlungen in Berlin in einer idealen Projektgemeinschaft zusammengetan, das Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin, das einen einzigartigen Bestand von rund 1.800 Entwurfszeichnungen Messels besitzt, und die Kunstbibliothek der Staatlichen Museen mit ihrer mehr als fünf Jahrhunderte umfassenden Architektursammlung.

Entwurf für das Landhaus Wolf Wertheim, Berlin - Kladow, 1905-1906, perspektivische Ansicht von Norden, Bleistift, Buntstift auf Transparent, 19,4 x 34,7 cm © Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin

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Entwurf für das Landhaus Wolf Wertheim, Berlin - Kladow, 1905-1906, perspektivische Ansicht von Norden, Bleistift, Buntstift auf Transparent, 19,4 x 34,7 cm © Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin

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Autor: Robert Habel
hg. vom Landesdenkmalamt Berlin, Beiheft 32
824 Seiten, 409 Abbildungen
Format 17 x 24 cm, gebunden mit Schutzumschlag
Gebrüder Mann Verlag Berlin 2008
Preisempfehlung des Verlags: 118,- EUR
Sprache deutsch
ISBN: 978-3-7861-2571-6