Welche Türen werden der Kunst im architektonischen Kontext eröffnet?  Ein Gespräch mit Tobias Rehberger. Von Karin Frei Rappenecker

Mutter 81%, 2002, © Tobias Rehberger, Foto: Wolfgang Günzel, Offenbach, courtesy: Bärbel Grässlin, Frankfurt

Von adipösen Enkelinnen, Hundehütten und Leuchttürmen | Nouveautés

Mutter 81%, 2002, © Tobias Rehberger, Foto: Wolfgang Günzel, Offenbach, courtesy: Bärbel Grässlin, Frankfurt

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Karin Frei: Architekten nutzen Modelle als 3D-Visualisierung einer Idee. Das eigentliche Werk / die eigentliche „Kunst“ ist aber der architektonische Bau selbst. Welche Funktion haben Modelle in Deinem Werk?

Tobias Rehberger: Es gibt Modelle, die im ganz klassischen Sinne, wie beim Autobauer oder beim Architekten, in Vorbereitung für grössere Arbeiten entstehen. Andere Modelle dienen als Vorlage für die Ausführung in einem anderen Massstab durch Dritte, wie dies bei mir beispielsweise mit den Garagen-Arbeiten der Fall ist. Dann gibt es auch Arbeiten, die im Unterschied zur klassischen Verwendung von Modellen, wie Du es beschreibst, in ihrem Status der Modellhaftigkeit auch die endgültigen Arbeiten sind.

Wie zum Beispiel?

Wie zum Beispiel die „adipöse Enkelin“, die zwar ein Modell für ein Baumhaus und auch im Baum installiert war, die aber nicht dazu gedacht war, dass man ein wirkliches Baumhaus danach baut. Dadurch, dass es ein Modell war, hatte es eine andere Funktion als ein Baumhaus, zu dem man hochgehen und in dem man sich aufhalten kann. Für seinen Standort auf dem Baum wurde das Modell von innen beleuchtet und damit in eine Lampe umfunktioniert – und trotzdem war es ein Modell für ein Baumhaus.

Adipöse Enkelin, 2004, © Tobias Rehberger, Foto: Thomas Müller, courtesy: Bärbel Grässlin, Frankfurt

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Adipöse Enkelin, 2004, © Tobias Rehberger, Foto: Thomas Müller, courtesy: Bärbel Grässlin, Frankfurt

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Das sind dann so Momente, wo das Modell eben fertig ist in seiner Modellhaftigkeit. Weil Modelle sich ja dadurch auszeichnen, dass sie als Repräsentation für etwas anderes dienen. Aber was man aus dieser Repräsentation macht und wie man weiter mit ihr verfährt, ist eben nicht so klar. Man denkt, man hat ein Modell und als Fortsetzung des Modells folge ein Originalobjekt. Aber es gibt eben viele Dinge, die dazwischen passieren können, schon alleine die Interpretation. Deswegen gibt es diese ganz verschiedenen Arten von Modellen von mir.


... und wo ist die Grenze zwischen Modell, Skulptur und Architektur?

Das ist eben genau die Frage und das ist auch das Interessante an Modellen. Sie repräsentieren eben, wie gerade gesagt, schon immer etwas Anderes, meist auch etwas Zukünftiges. Sie können zu etwas Wirklichem, oder auch zu etwas imaginär Grösserem werden. Es gibt aber auch Modelle, die den umgekehrten Weg gehen und für die es eine bereits existierende Referenz gibt, wie zum Beispiel Modellautos oder Stadtmodelle, wo das Modell eine Verkleinerung von etwas Grösserem ist. Und in gewisser Weise repräsentieren Modelle ja auch sich selbst.

Dieses etwas Zwitterhafte finde ich interessant. Und den Umstand, dass Modelle in verschiedene Richtungen funktionieren können.

Mutter 93%, 2002, © Tobias Rehberger, Foto: Wolfgang Günzel, Offenbach, courtesy: Bärbel Grässlin, Frankfurt

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Mutter 93%, 2002, © Tobias Rehberger, Foto: Wolfgang Günzel, Offenbach, courtesy: Bärbel Grässlin, Frankfurt

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Du hast „Mütter-Garagen“ in betretbarer Modell-Grösse produziert und Häuser entworfen. Käufer dieser Arbeiten erhalten eine Baugenehmigung für die Ausführung der entsprechenden Architektur in voller Grösse, denn erst die ausgeführte Garage / das ausgeführte Haus ist das eigentliche Kunstwerk. Aber was ist es dann? Skulptur? Architektur?

Je nachdem wie man’s anguckt. Ich interessiere mich für ein Objekt im Verhältnis zu Skulptur und zur Frage, was Skulptur ist und warum etwas Skulptur ist. Das ist mein Bezugssystem. Wenn man dieses Bezugssystem appliziert, geht’s dann eben um Skulptur. Wenn jemand das Bezugssystem Architektur drauf projiziert, dann kann man es auch als Architektur angucken. Ich arbeite aus der Skulpturperspektive und mache daran Probleme der Skulptur fest. Wenn jemand zum Beispiel die „adipöse Enkelin“ als Lampe benutzt, dann ist dies für ihn eine Lampe. Für mich ist es eine Beschäftigung mit dem Problem Skulptur.

Mutter 53% (NSSH), 2002, Portugal, © Tobias Rehberger

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Mutter 53% (NSSH), 2002, Portugal, © Tobias Rehberger

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Haben diese „Mütter-Garagen“ mittlerweile „Garagen-Kinder“ gekriegt?

Ich hatte ehrlich gesagt erwartet, dass es mehr Leute reizen würde, so was weiter zu spinnen und dass das – ich sag es mal ganz flapsig – etwas Lustiges ist, wo man mitmachen kann. Aber die Leute schrecken dann doch vor dem Aufwand zurück. Bei Garagen – klar, das ist gross. Aber ich hab auch wesentlich einfachere Arbeiten dieser Art gemacht. Die Leute kaufen lieber etwas Fertiges.

Oben: Mother table (a doghouse), 2011 © Tobias Rehberger. Unten: newdoghousebaby 1203401, © Tobias Rehberger, Fotos: Studio Berger, courtesy: neugerriemschneider, Berlin

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Oben: Mother table (a doghouse), 2011 © Tobias Rehberger. Unten: newdoghousebaby 1203401, © Tobias Rehberger, Fotos: Studio Berger, courtesy: neugerriemschneider, Berlin

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Nach dem Prinzip des Übersetzens eines Modells in eine Ausführung in einem anderen Massstab habe ich vor ein paar Jahren eine Ausstellung mit kleineren Modellen gemacht, die als Vorlage dienten für Kuchen, die ich beim Konditor in Auftrag gegeben habe. Da waren Kuchen-Regale, -Kamine, -Tische, -Hundehütten, alles mögliche dabei... Bei diesen Modellen gab es dann aber tatsächlich auch ein paar Leute, die sich nicht nur das Zertifikat als Arbeit gekauft haben, sondern die tatsächlich „Kinder“ gebaut haben. Diese nach den Modellen gebauten Arbeiten sind dann auch ganz gleichberechtigt in mein Werkverzeichnis eingegangen.

newdoghousebaby9270164, 2011, Kuchen, © Tobias Rehberger, Foto: Mischa Nawrata, Wien, courtesy: neugerriemschneider, Berlin

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newdoghousebaby9270164, 2011, Kuchen, © Tobias Rehberger, Foto: Mischa Nawrata, Wien, courtesy: neugerriemschneider, Berlin

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Mir gefällt die Idee der Übersetzung von Skizzen / Modellen in einen anderen Kontext: Wenn Du jemanden losschickst, eine Lampe anzuschauen und seine (ungenaue) Beschreibung oder Zeichnung einem Dritten dazu dient, ein Baumhaus zu bauen... Eine Strategie, die in unterschiedlichsten Variationen durchgespielt werden kann. Steht eine Arbeit wie „1661-1910 from Nagasaki, Meiji, Setti“ auch in diesem Kontext?

In gewisser Weise ja, allerdings funktioniert es dort anders. Da geht es nicht darum, dass ich jemanden losschicke, sondern darum, dass man gewisse Übersetzungsstrategien benutzen kann, um was anderes zu sehen, als man erst mal sieht. Aus der Nähe betrachtet kann man durch die sehr groben Pixel nicht viel erkennen. Man kann’s ganz schön finden mit den bunten Farben und den Objekten davor. Fotografiert man es jedoch mit dem Handy, wird das Bild deutlicher. Die Kamera funktioniert wie ein Übersetzungsgerät. Dadurch, dass sie ein grosses Bild zusammenzieht, verkleinert und es quasi interpoliert – ähnlich wie wenn man die Augen zusammenkneift – kommt man zu etwas ganz Anderem, als man ursprünglich erkennt. Die abstrakte farbige Wand wird plötzlich zu einem figurativen Bild.

1661-1910 from Nagasaki, Meiji, Setti, 2015, Details © Tobias Rehberger, courtesy: neugerriemschneider, Berlin. Monochrome Quadrate und im Raum platzierte Objekte, die in klassischer Camouflage-Technik die Wandarbeit in den Raum überführen

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1661-1910 from Nagasaki, Meiji, Setti, 2015, Details © Tobias Rehberger, courtesy: neugerriemschneider, Berlin. Monochrome Quadrate und im Raum platzierte Objekte, die in klassischer Camouflage-Technik die Wandarbeit in den Raum überführen

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Eine Auffassung von Kunst geht davon aus, dass Kunst gewisse Autoritäten unterminieren muss. Welche Autoritäten unterminiert Deine Kunst?

Aller erstens immer mal die eigenen.


Welche sind das?

Naja, deswegen macht man die Arbeiten ja. Weil einem bestimmte Zusammenhänge intern nicht ganz klar sind. Da geht es nicht um Lösungen. Es geht vielmehr um eine Problemstellung. Und deswegen eignet sich das Modell ganz gut, weil es so etwas wie ein Zwitterwesen ist, das nicht genau einzuordnen ist und einem die Möglichkeit gibt, sich mit einem Problem zu beschäftigen, das man ganz gern hat und mit dem man verschiedene Schritte unternimmt, um etwas herzustellen, das in verschiedene Richtungen geht. Dieser Prozess ist notwendig, um zu überprüfen, ob und wie Begrifflichkeiten sitzen, und um die Autorität des eigenen Wissens-Status-Quo, den man ja tendenziell gerne behält, zu untergraben.

1661 - 1910 from Nagasaki, Meiji, Setti, 2015, Installationsansicht Fondation Beyeler, Basel © Tobias Rehberger, courtesy: neugerriemschneider, Berlin

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1661 - 1910 from Nagasaki, Meiji, Setti, 2015, Installationsansicht Fondation Beyeler, Basel © Tobias Rehberger, courtesy: neugerriemschneider, Berlin

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Mit welchen Architekten hast Du bereits gearbeitet und wofür?

Ich mache aktuell mit dem Architekten Nikolaus Hirsch ein Projekt für die DMZ (Demilitarized Zone) zwischen Nord- und Südkorea. Wir sind grade dabei, die Finanzierbarkeit für ein Zweifamilienhaus – kein klassisches Doppelhaus! - zu prüfen, das sozusagen Denkmal zur Teilung von Korea und gleichzeitig auch bewohnbar ist. Erst mal würde eine Familie aus Südkorea darin wohnen. Wenn es irgendwann zu einer Wiedervereinigung kommen sollte, würde in dieses Haus auch eine nordkoreanische Familie einziehen. Ich habe aber auch schon ganz klassisch mit David Adjaye, einem Architekten aus London, mein Haus umgebaut und eine grosse Bandbreite von dem, wie man mit Architekten arbeiten kann durchgeackert.


Was ist für Dich der perfekte Kunst- und Bau-Auftrag?

Wenn man vom Auftraggeber möglichst grosse Freiheiten kriegt. Im Prinzip ist es dann perfekt, wenn die Einschränkungen – und die gibt’s ja immer: im architektonischen Kontext genauso wie im Museum oder in der Galerie, wo sie einfach anders sind – gewissermassen zum künstlerischen Ausgangspunkt werden. Oder anders formuliert: Wenn die Bedürfnisse des Auftraggebers nicht nur in die Arbeit einfliessen, ohne dass diese beeinträchtigt wird, sondern wenn diese Bedürfnisse regelrecht zu etwas führen, was am Ende auch künstlerisch besonders interessant ist.

Obstinate Lighthouse, 2011, ca. 17m, hoch. © Tobias Rehberger, Foto oben: Jennifer Rodriguez, Foto unten: Studio Tobias Rehberger, courtesy: neugerriemschneider, Berlin

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Obstinate Lighthouse, 2011, ca. 17m, hoch. © Tobias Rehberger, Foto oben: Jennifer Rodriguez, Foto unten: Studio Tobias Rehberger, courtesy: neugerriemschneider, Berlin

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Der Leuchtturm in Miami ist das perfekte Beispiel dafür. Es gab da viele Vorgaben: ein grosses Kunstwerk sollte im Park installiert werden, am Ende von Miami Beach, ganz an der Spitze, hin zum Hafen und zum Wasser ... Es sollte hoch und von überall her zu sehen sein. Eine Art Leuchtturm zu machen schien da fast zwangsläufig. Aber nicht einen, der den Schiffen zur Orientierung dient, sondern einen, der einen Ort schafft, an dem sich Leute orientieren und sich aufhalten können. Deshalb gibt es darin ja auch kein Signallicht im üblichen Sinne sondern eine Art Discolicht. Etwas, das dafür steht, worum es in Miami Beach eben geht. Die Vorgaben zwingen einen manchmal, plötzlich Dinge zu denken, die man ohne dieses Projekt nicht hätte denken können.

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