Rezension: 'Andrée Putman – Ihr Gesamtwerk' von Donald Albrecht
Texte par Susanne Junker
Berlin, Allemagne
10.06.10
„Der Künstler blickt immer in die Vergangenheit zurück, während er über die Zukunft nachdenkt,“ sagt Andrée Putman. Anlässlich ihres 85 Geburtstages erscheint eine Monografie, die Einblick in das immense Werk der Künstlerin und ihr aufregendes Leben als Mitglied der Pariser Haute Voleé gibt.
Eine Monographie zu Andrée Putmans 85. Geburtstag? Irgendwie geht das doch gar nicht! Madame Putman ist doch diese stets unfassbar elegante Dame, die einfach ohne Alter ist, für deren Person wie für deren Arbeiten die Regeln der Zeit nicht gelten, mit einer absoluten Ästhetik, von der asymmetrischen Haarlocke über den makellosen Lidstrich bis zur vollendeten Beherrschung von Schwarz, Weiss und Grau. Es ist auch nicht das erste Buch über Madame Putman, doch dieses ist angemessen edel layoutet auf blütenweissem Papier, selbstredend in einem quadratischen Format.
Cover, mit einer Porträtfotografie von Fabrice Gousset und Hocker Baldachin, 2007
Cover, mit einer Porträtfotografie von Fabrice Gousset und Hocker Baldachin, 2007
×Ist der Thierrry-Mugler-Laden mit dem goldenen Glasmosaik tatsächlich schon fast 30 Jahre alt? So schön grau sah die Concorde von innen aus? Was für eine Vorstellung, Tee mit Eileen Gray zu trinken und mit dem jungen Karl Lagerfeld auf Beutejagd über Pariser Flohmärkte zu schlendern! Und überhaupt, welch ein Lebenslauf, als behütete Tochter aus dem Pariser Grossbürgertum die scheinbar vorgezeichnete Karriere als Pianistin und Komponistin an den Nagel zu hängen, um stattdessen als Journalistin, Stylistin, Dekorateurin ohne jegliche Ausbildung neu zu beginnen. Rückblickend ist ihre Gründung von "Ecart" für die Neuauflage von Möbeln des französischen Modernismus so naheliegend und konsequent, mit dem hintersinnigen Wortspiel im Unternehmensnamen, schliesslich bedeutet Ecart andersherum gelesen "trace", also "Spur" oder "Fährte".
Umgestaltung eines 200 m2 grossen Appartments aus der Zeit Haussmanns, Paris, 2008
Umgestaltung eines 200 m2 grossen Appartments aus der Zeit Haussmanns, Paris, 2008
×Andrée Putman bezeichnet sich selbst als "Amateurarchäologin meines Jahrhunderts" - als Innenarchitektin knüpft sie an die grossen Namen des frühen 20. Jahrhunderts an, an Art Deco und die Moderne, an Jean-Michel Frank, Robert Mallet-Stevens und Eileen Gray. Die Monographie listet die Umbauten, Inneneinrichtungen, Entwürfe für Möbel, Objekte bis zu Schmuckstücken und Parfums vollständig und nach Nutzungen gegliedert auf. Natürlich könnte jetzt argumentiert werden, dass die Graunuancen noch nuancierter, die bevorzugte Verwendung von Primärformen und platonischen Körpern noch raffinierter, Proportionen reifer, Materialien luxuriöser, funktionale Details noch ausgeklügelter und dabei noch schlichter - aber in der Quintessenz bleibt doch über die Jahrzehnte eine unerhört gleichbleibend hohe ästhetische Qualität, gepaart mit Sorgfalt, Kontrolle und persönlicher Zurückhaltung, und ein wirklich sehr gutes Auge.
Innenausstattung und Entwurf des Geschirrs der Concorde für Air France, 1994
Innenausstattung und Entwurf des Geschirrs der Concorde für Air France, 1994
ׄBaudelaire sagte, dass Modernität nicht in der Form, sondern in der Art und Weise besteht. Ich glaube, dass ich modern bin, selbst wenn ich einen antiken Gegenstand nehme – die Art der Präsentation, die ich wähle, wird zeitgenössisch sein. Der Künstler blickt immer in die Vergangenheit zurück, während er über die Zukunft nachdenkt.“
Französisches Bildungsministerium, Hotel de Rochechouart, Paris, 2002
Französisches Bildungsministerium, Hotel de Rochechouart, Paris, 2002
×Schade, dass neben den arg elegischen Lobreden von Donald Albrecht und Jean Nouvel keines der zahlreich geführten Interviews abgedruckt wurde, um Andrée Putman selbst zu Wort kommen zu lassen als witzig-eloquente und geistesgegenwärtige Gesprächspartnerin. Die wiederholte Beschwörung des "französischen Stils" in den Einführungstexten wirkt bemüht, zumal "Stil" nicht unbedingt eine Vokabel des Architekturdiskurses im 20. und auch nicht im 21. Jahrhundert ist. Ebenso merkwürdig ist der Verzicht auf eine Auflistung der Mitarbeiter, denn auch die Agence Andrée Putman ist trotz Jet-Set-Powerfrau kein Ein-Frau-Unternehmen. Madame, zum 100. Geburtstag machen Sie bitte auch das Buch selbst!!!
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'Andrée Putman – Ihr Gesamtwerk' von Donald Albrecht, mit einem Vorwort von Jean Nouvel
Gebunden mit Schutzumschlag
324 Seiten
27,9 x 27,9 cm
275 Abbildungen
DVA Verlag München
ISBN 978-3-421-03806-7
Text deutsch
Englische Originalausgabe 'Andrée Putman – Complete Works' bei Rizzoli International
Erschienen 2010