Fotografo: Roger Frei, Zürich
Fotografo: Roger Frei, Zürich
Fotografo: Roger Frei, Zürich
Situation
Plausibel weiterbauen – so liesse sich in zwei Worten die Absicht der Bauaufgabe beschreiben. Bei der Analyse des Bestandes wurden die verschiedenen Bauetappen der Anlage augenfällig. Das «Einsteinhaus» der Alten Kantonsschule, vormals «Tuchschmidhaus», und die heutige Kantonale Schule für Berufsbildung, das ehemalige «Gewerbemuseum», wurden von Karl Moser in den Jahren 1894–1896 erbaut. Für beide Bauvorhaben schrieben die Behörden 1892 einen Wettbewerb aus. Das Programm «verlangte die Einbeziehung der 1862 (angeblich von einem Frankfurter Architekten) für Carl Feer-Herzog erbauten neugotischen Villa, “mit möglichster Schonung der Baumgruppen, speciell derjenigen um den Weiher”». Für das Gewerbemuseum verband Moser die Villa mit einer um vieles grösseren zweiflügligen Anlage und markantem Treppenturm. Noch in den Jahren 1914–1916 ergänzte er selbst das «Tuchschmidhaus» um den Westtrakt mit zugehöriger Sternwarte. Auch das westlich an den Schulpark anschliessende Natur- und Heimat Museum (1920–1922), heute Naturama, wurde ohne störende Brüche erweitert. Selbstverständlich ergänzen sich bestehende und neue Gebäudetrakte zu einer Gestalt und die Parkanlage gibt der stilistischen Vielfalt den nötigen Rahmen.
Dem Besucher, der meist vom Bahnhof her das Areal im Westen betritt, öffnet sich mit der grossen Wiese und den beidseitig verlaufenden Wegen entlang der West-Ost-Achse der Park.
Auf dem breiten Kiesweg begegnen sich Schüler und Lehrerschaft beim Gang zum Unterricht.
Am Ende dieser Achse, mit dem Eingang zur Mensa im Erd- und dem Medienzentrum im ersten Obergeschoss, steht nun der Anbau an das «Frank-Wedekind-Haus», früherer Sitz des Aargauischen Versicherungsamtes (AVA, 1933 erbaut durch die Architekten Richner & Anliker). Da, wo ursprünglich ein kleiner Garagenkomplex an das Versicherungsgebäude mit dreiachsiger Stützenstruktur anschloss, verschränkt sich das neue Gebäudevolumen mit der bestehenden Bausubstanz und fasst die erweiterte Parkanlage, die bis an den Altbau herangeführt wurde. Die gewonnene Fläche zur Bahnhofstrasse ist gross genug, um das alte Versicherungsgebäude an den Park anzubinden und gleichzeitig die Zirkulation für Güteranlieferungen zu ermöglichen. Neben der Pragmatik der Verkehrslösung entstand für den Fussgänger ein zweiter Parkeingang. Vormalig ging hier lediglich der geteerte Fussweg in einen Bürgersteig über. In Konsequenz dieser Massnahmen wurde das Haupttreppenhaus mit den polychromen Glasfenstern von Felix Hoffmann mit einem Eingang ergänzt.
Fassaden
Analog zum Bestand, nicht in direkter Übertragung erfolgte die Materialisierung der Fassaden. Der Gebäudesockel aus eingefärbtem und bestrahltem Ortbeton führt die Granitbasis des Altbaus fort und variiert der Topographie folgend in der Vertikale. Die Höhenstaffelung des Sockels vermittelt zwischen Hochparterre des ehemaligen AVA und neuem Flügel, der zum Parkniveau ebenerdig erschlossen ist. Unauffällig wird die Muschelkalkfassade des AVA in fünffacher Abwicklung am ergänzten Trakt weitergeführt. Geschosshohe, vorgefertigte Betonelemente, durch Muschelkalkzusätze verfeinert, umschliessen in alternierenden Abmessungen das Volumen über die Fassadenecken hinweg. Die Ansichten sind ähnlich, aber nicht gleich. Entsprechend einer Bautradition, die für ein Haus verschiedene Fronten vorsieht, erhielt jede Seite durch unterschiedliche Fensterkonstruktion und Sprossierung, die auch in der Tiefe der Fassade verspringt, einen eigenen Charakter. Hieraus ergeben sich ein Wechselspiel mit der feingliedrigen Fassadengestaltung des benachbarten «Einsteinhauses» und der nötige Respekt gegenüber seiner Architektur.
Innenräume
Die Verbindung von alter und neuer Substanz setzt sich im Innern fort. Im Anschluss an den parkseitigen Haupteingang teilt sich die Erschliessung hin zum Café und in Richtung des Bibliotheksaufgangs, dessen zenital belichtete Wandgestaltung der Künstlerin Katharina Grosse zwischen unten und oben, dem Bereich des Wissens, vermittelt und die Vertikaldisposition der Räume bildnerisch vor Augen führt. Alle Zeichensäle im oberen Geschoss sind über die ursprünglichen Treppenhäuser erschlossen. Auf gleichem Weg gelangt man in das Untergeschoss. Da sind neben Photolabor und Werkstätten die Sanitärräume für das ganze Haus untergebracht – eine zumutbare Konzession an die wertvolle alte Substanz und deren begrenzte Grösse, die es optimal auszunützen galt.
Das Café orientiert sich zur Hauptachse des Schulparks. Von hier führt eine Rampe zur Mensa auf Hochparterreniveau. Im Knotenpunkt des alten und neuen Traktes blickt man zur östlichen Parkerweiterung mit der Zufahrt an der Bahnhofstrasse. Erstmals bemerkt der Gast im Buffetbereich, modern als Free-Flow-Restaurant eingerichtet, die freigelegte Stützenstruktur des Altbaus. Im Obergeschoss ist sie über die ganze Nutzfläche sichtbar. Mit Rücksicht auf diesen architektonischen Gewinn sah man in der Bibliothek (Medienzentrum) von raumhohen Regalen ab. Besucher können über die Büchergestelle hinweg den ganzen Raum wahrnehmen. Erforderliche technische Installationen verlaufen über abgehängten Decken. Aus der Problematik fassadenseitig die Lichthöhe der Fenster nicht zu unterlaufen, ergab sich eine weitere gestalterische Massnahme in Vertikalrichtung. Die Decke verläuft nicht horizontal. Sie steigt zwischen den Stützjochen zur Fassade hin an und bildet, ausgehend von der geringsten Raumhöhe an den Stützenköpfen, einen Negativraum mit trapezoider Grundfläche. Die Plangeometrie des Stützenrasters wird durch die rhythmisch gegliederte Decke volumetrisch abgebildet. An den Fensterarbeitsplätzen eröffnet sich dem Leser der Blick auf den Kreuzplatz und die Laurenzenvorstadt. Das ermüdetet Auge schweift an den passierenden Autos und Lastwagen vorbei hinüber zum alten Güterbahnhof. Gerade der Unterschied, das Nebeneinander von Verkehr und kleinem Schulpark, den man auf der Westseite durch das feinstrukturierte Panoramafenster sieht, bilden einen reizvollen Kontrast. Auch im Neubau wurde die Deckenkonstruktion stereometrisch ausgebildet. In Richtung der Aussenwände steigen die Deckenabschnitte an. Überall bündig, auf gleicher Kote montierte Leuchten treten deshalb in den Fensterzonen aus der Decke hervor. Die neu entwickelte Leuchtenkonstruktion ermöglicht eine homogene und geschlossene Deckenuntersicht, da auf eine sichtbare Plattenteilung der Gipsoberfläche verzichtet werden konnte. Über die ausklappbaren Beleuchtungskästen erreicht man bei Revisionsarbeiten problemlos den Hohlraum mit der Medienführung. Decken, Wände und Böden sind farblich ähnlich gehalten. Der Gusszementboden zeigt die Spuren der Bearbeitung bei der Einbringung. Seine Struktur wird zur Patina beitragen. Ähnliche Phänomene sieht man an der Fassade. Schon jetzt gehen alte und neue Bausubstanz ineinander über – ganz im Sinne des Weiterbauens.
Schneider & Schneider Architekten ETH BSA SIA AG
Fotografo: Roger Frei, Zürich
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